Ein Framework für digitale Transformationsprojekte in der öffentlichen Verwaltung
Hilfestellung für die strategische Analyse und agile Planung und Steuerung von Projekten
Fangen wir doch einmal ganz vorne an. Was versteht man eigentlich qua Definition unter der digitalen Transformation, die zurzeit in aller Munde ist? Eine Neuausrichtung der Produkte, Dienstleistungen und des Geschäftsmodells eines Unternehmens an den Möglichkeiten digitaler Technologien für mehr Kundennutzen und Profitabilität. Ausschlaggebend für die Veränderung ist also der Nutzen, der natürlich immer in Relation zu den Kosten zu bewerten ist.
Was bedeutet eigentlich digitale Transformation?
Eine häufig zitierte Quelle zum Thema digitale Transformation ist die „Road Map for Billion Dollar Organizations“. Dort werden drei Facetten der digitalen Transformation ausfindig gemacht. Typischerweise starten Unternehmen damit, das Kundenerlebnis zu verändern. Sie entwickeln Apps für die mobile Interaktion der Kunden mit dem Unternehmen. Die nächste Stufe besteht darin, betriebliche und auch unternehmensübergreifende Prozesse zu digitalisieren. In der letzten Stufe stellen Unternehmen ihr Geschäftsmodell infrage und versuchen, ganz neue Formen des Kundennutzens mit Hilfe digitaler Technologien zu entwickeln.
Am Nutzen der Bürger oder Verwaltungsangestellten messen
Aber was ist eigentlich ein Geschäftsmodell? Eine allgemein verbindliche Definition gibt es überraschender Weise dafür nicht. Die Quersumme aus vielen verschiedenen Definitionen lautet: Ein Geschäftsmodell ist die Logik, mit der eine Organisation ihre finanzielle Überlebensfähigkeit sicherstellen will. Man könnte jetzt polemisch behaupten, die Verwaltung tut sich mit der Neuausrichtung des Geschäftsmodells schwer, weil sie nicht auf einem Markt um ihr Überleben kämpfen und streng genommen auch kein Geschäft machen muss. Der zu schöpfende Wert wird gemessen am Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger oder Verwaltungsangestellten, d.h. nicht durch einen finanziellen Gewinn wie vergleichsweise beim Verkauf von Produkten oder Services, sondern eher durch die Reduktion von Kosten und die Steigerung der Effizienz.
Dennoch lohnt es sich auch für die öffentliche Verwaltung, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken, um neue Services hervorzubringen, wovon schließlich auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands abhängt. Eine veritable Transformation geschieht nicht im Kleinen durch die Digitalisierung von Dokumenten, sondern durch einen Wandel des Gesamtsystems.
Strategie ist ein Muster in einem Strom von Entscheidungen.
Die Öffnung für Ideen und Einflüsse von Stakeholdern schafft Innovation
Allgemein gibt es die Erkenntnis, dass man sich mehr um die Anforderungen der Stakeholder kümmern muss, um echten Nutzen zu erzeugen. Disziplinen wie das Requirements Engineering und die Business Analyse werden von unterschiedlichen Vereinigungen (IREB, IIBA, PMI) gefördert und sind auch bei der Entwicklung von digitalen Lösungen ein Schlüssel zum Erfolg. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2017, die eine gesamtstaatliche Strategie für die digitale Transformation der Verwaltung empfiehlt, fordert Prof. Dr. Dennis Hilgers „Strategien, um sich mit unterschiedlichen Stakeholdern auszutauschen und mit diesen gemeinsam neue Ideen und Ansätze zu entwickeln und zu pilotieren.“ Stakeholder liefern also die Quelle für Innovation. Was sind Stakeholder denn nun genau und wie findet man heraus, welchen Bedarf sie haben? Laut IREB ist ein Stakeholder eine Person oder Organisation, die (direkt oder indirekt) Einfluss auf die Anforderungen des betrachteten Systems hat. Das sind also nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Für das Eruieren der Ziele und Wünsche dieser Stakeholder gibt es eine Vielzahl von Methoden, die man in den jeweiligen Standardwerken nachlesen kann.
Fundament für Wertschöpfung: das Dreieck aus Bedarf – Lösung – Nutzen
Die Strategieanalyse setzt jedoch noch eine Stufe höher an, nämlich bei der Ermittlung des Bedarfs. Der Bedarf ist ein zu lösendes Problem oder eine wahrzunehmende Chance. Um den Bedarf zu analysieren, müssen Probleme gesammelt und dokumentiert werden. Der Markt, auf dem man sich bewegt, muss betrachtet und Chancen müssen erkannt und ebenfalls dokumentiert werden. Um Innovation zu kreieren, reicht es nicht, Anforderungen zu erfüllen, die bewusst und bekannt sind. Echte Innovation entsteht, wenn Kunden und Anwender einen Mehrwert erfahren, den sie gar nicht erwartet haben. Professor Noriaki Kano nannte das „Begeisterungs-Merkmale“. Sie zeichnen ein Produkt gegenüber der Konkurrenz aus und rufen Begeisterung hervor, allerdings nur für den Zeitraum, in dem sie als innovativ wahrgenommen werden.
Natürlich sollte ein Nutzen referenziert werden, den man schaffen kann, wenn ein Problem gelöst wird. Unter Nutzen versteht man die für die Stakeholder geschaffenen Vorteile – natürlich in Relation zu den Kosten (z.B. sozialer Nutzen, Shareholder Value, Kundennutzen). Der erkannte Bedarf und der potenzielle Nutzen sind noch ziemlich weit von konkreten Anforderungen entfernt, auf deren Basis man eine Lösung implementieren kann, aber für die Analyse immanent wichtig. Die Lösung ist zu diesem frühen Zeitpunkt der strategischen Analyse noch nicht mehr als ein spezifischer Ansatz, um Bedarfe in einem Kontext zu erfüllen. Die Lösung sollte – dem Meta-Modell der Business Analyse (BACCM = Business Analysis Core Concept Model, siehe Abbildung) entsprechend – auch Referenzen auf den Bedarf und den jeweils erwarteten Nutzen enthalten.
Die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Elementen sollen zeigen, wie Vorgehen und Bewertungen der Ergebnisse sich gegenseitig beeinflussen.
Die sechs grundlegenden Konzepte sind:
- Veränderung – der Prozess der Veränderung als Antwort auf den Bedarf
- Stakeholder – die einen Bedarf haben
- Kontext – Umstände, die eine Veränderung beeinflussen oder davon beeinflusst werden
- Bedarf – ein Problem oder eine Chance zur Veränderung
- Lösung – um den Bedarf in einem Kontext zu erfüllen
- Nutzen – für einen Stakeholder in einem Kontext
Diese sechs Grundkonzepte dienen Business Analysten zur Überprüfung der Vollständigkeit und der Qualität ihrer Arbeit. Das Hinterfragen aller Komponenten ist vor allem dann notwendig, wenn sich eines der Konzepte ändert. Jede Säule muss solide stehen, um eine valide Analyse darauf aufzubauen.
Aus dem Bedarf systematisch Lösungen entwickeln
Sobald man den Bedarf ermittelt hat, wird man feststellen, dass daraus konkrete Anforderungen entwickelt werden müssen, die strukturiert, priorisiert, verwaltet und überprüft werden müssen. Und das kontinuierlich, denn Anforderungen sind volatil, d.h. werden oft und gerne geändert. Aber auch ein veränderter Kontext, wie z.B. neue Regularien, Normen und Gesetze können der Grund für die Änderung von Anforderungen sein. Die Krux bei vielen Projekten. Zudem können Anforderungen nie isoliert betrachtet werden. Sie stehen häufig in Beziehungen zueinander, was bei Änderungen nicht selten einen Dominoeffekt zur Folge hat. Dafür benötigt man Hilfe, die über bloße Excel-Listen definitiv hinausgehen sollte. Visualisierung mit Modellen, Filter- und Abfragefunktionen und vor allem die einfache und durchgängige Nachvollziehbarkeit von Änderungen über den ganzen Lebenszyklus hinweg sollten bei der Auswahl eines Tools eine essentielle Rolle spielen.
Agilität hilft, aber nicht als Selbstläufer
Wie erfüllt man nun die Anforderungen? Anforderungen müssen präzisiert und so aufbereitet werden, dass sie von Entwicklern in eine Lösung umgewandelt werden können. Bei agilem Vorgehen landen sie dann als User Storys in einem Backlog. Agil bedeutet, dass inkrementell und iterativ Lösungsergebnisse geliefert werden, deren Nutzen also schrittweise und wiederholt überprüft wird. Das ist unbestritten die beste Lösung, um zeitnah auf Veränderungen zu reagieren und echte Innovation zu ermöglichen. Trotzdem ist es gut, wenn man die Herkunft einer Anforderung und den intendierten Nutzen noch nachvollziehen kann. Ein Verzicht auf zu viel Dokumentation, den agile Vorkämpfer in Anlehnung an das agile Manifest oft fordern, erschwert dieses Nachforschen aber enorm. Oftmals werden in der Praxis Anforderungen auf ihrem Lebensweg in unterschiedlichen Systemen verwaltet und über Schnittstellen weitergereicht. Schnittstellen bergen immer die Gefahr von Informationsverlust. Deshalb sollte die Lösungsentwicklung sich nicht als losgelöst von der ursprünglichen Bedarfsanalyse begreifen. Wenn der Nutzen einer Lösung nicht feststellbar ist, muss eine Rückmeldung an die Bedarfsermittler erfolgen und nachjustiert werden. Damit lässt sich auch vermeiden, dass zwar sehr schnell neue Lösungen entstehen, allerdings zu viele davon komplett verworfen werden müssen. Für die Qualitätssicherung und Nachvollziehbarkeit ist ein gewisses Maß an Dokumentation unabkömmlich.
Muster nutzen für wiederkehrende Aufgaben
Nicht nur agiles Vorgehen beschleunigt Prozesse, sondern auch die Verwendung von Mustern für wiederkehrende Abläufe in Projekten. Daher lohnt es sich, einen Prozess für den gesamten Wertschöpfungskreislauf zu definieren. Dieser sollte auch vorgeben, welche Artefakte (z.B. Dokumente, Modelle oder Quellcode) im Prozess in welcher Form entstehen sollen. Vorlagen hierfür schaffen ebenfalls einheitliche Standards. Muster können zudem die Projektgliederung, Reviews, Tests und die Risikoerhebung vorkonfigurieren. So könnte auch ein gemeinsames Vorgehensmodell für mehrere Projekte erarbeitet werden, damit einzelne Projekte basierend auf einer Vorlage schnell gestartet werden können und nicht jeweils aufwändig Prozesse neu definiert werden müssen.
Management-Komplexität reduzieren
Man kann das Phänomen VUKA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität), das für viele scheiternde Projekte als Grund genannt wird, in den Griff bekommen. Im englischen Sprachraum wird als Gegenmittel: Vision, Understanding, Clarity, Agility (VUCA) vorgeschlagen. Die strategische Analyse liefert eine klare Vision von Bedarf, Lösung und Nutzen. Für das Verstehen braucht man Information über den Projektstatus in Echtzeit. Also Daten mit Auswertungen. Diese können bei der Datenmenge heutiger Projekte nur mit Hilfe von Software erzeugt werden. Klarheit erhält man über eine zentrale Datenverwaltung (one only), eindeutige Quellen mit hundertprozentiger Transparenz aller Änderungen und eine sichere Kommunikation mit möglichst wenig Schnittstellen. Agilität entsteht über einen Kulturwandel in der Organisation hin zu sich selbstorganisierenden Teams, die hochmotiviert sind, ihre Ergebnisse ständig zu überprüfen und das bestmögliche Ergebnis hervorzubringen.
Nur wenn Fortschritt messbar ist, kann Transformation stattfinden
Ein Framework für digitale Transformationsprojekte sollte den Kreislauf von der strategischen Analyse über das Requirements Engineering (Anforderungsmanagement), den Lösungsentwurf, die Lösungsimplementierung und -bewertung abbilden und mit Vorlagen und Mustern für Dokumente, Modelle und Workflows eine einheitliche Basis schaffen, auf der man Projekte schnell und zielführend aufsetzen kann. Für die effiziente und sichere Zusammenarbeit im Team ist ein Konfigurationsmanagementsystem mit Versionierung aller Projektergebnisse unabdingbar. Controlling-Instrumente und Übersichten muss ein solches Framework bieten, damit richtige Entscheidungen getroffen werden können. Denn nur wenn Fortschritt messbar ist, kann eine Transformation überhaupt stattfinden.
Der Artikel ist Gastbeitrag von Tanja Sadrinna, Marketing Managerin & Presse- und Öffentlichkeitsarbeit , microTOOL GmbH.