Employer Branding via Gender-Sensibilität; drittes Geschlecht; Behörden; Verwaltung
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Employer Branding via Gender-Sensibilität

Wie sich Behörden im Zuge der Gesetzesnovellierung zum dritten Geschlecht sprachlich und im Umgang mit den Mitarbeitenden fairer aufstellen können

Seit Anfang des Jahres gilt: Es gibt ein politisch anerkanntes drittes Geschlecht. Behörden müssen diesem Umstand im Personenstand Rechnung tragen. Neben „männlich“ und „weiblich“ ist nun grundsätzlich auch der Eintrag „divers“ möglich. Das bedeutet erst mal, dass einige bürokratische Formulare und Prozesse anzupassen sind. Über diese „Notwendigkeiten“ hinaus, gibt es aber noch mehr Gelegenheiten, sprachliche Diskriminierungen in Schrift, Bild und Ton zu vermeiden. Oft ist das gar nicht so schwierig. Und kann sogar Teil der Marke – des „Brandings“ – einer Organisation werden.

„Jetzt will sie auch noch unsere Sprache ändern!“ Mit solchen oder ähnlichen Reaktionen musste Denise Hottmann anfänglich schon einmal rechnen. Die Managerin Diversity & Inclusion beim Pharma-Hersteller Boehringer Ingelheim begann vor rund drei Jahren damit, ihre Kolleg*innenenschaft verstärkt für eine Sprache zu sensibilisieren, die bewusst auf Diskriminierungen jeglicher Art verzichtet. „Am wichtigsten ist es, mit den Kolleg*innen überhaupt erst einmal darüber zu sprechen und dadurch langsam ein Bewusstsein für unser Anliegen zu schaffen“, so Hottmann. Ein Anliegen, das sich vielfältig gestaltet. Und in den letzten zwei Jahren an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen hat.

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Am wichtigsten ist es, mit den Kolleg*innen überhaupt erst einmal darüber zu sprechen und dadurch langsam ein Bewusstsein zu schaffen.

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weiblich/divers/männlich

Denn Mitte Dezember 2018 verabschiedete der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“ und änderte das Personenstandrecht insofern, dass der Staat nun ein drittes Geschlecht anerkennt und Registereintragungen unter dem Begriff „divers“ zulässt.   

Bundestag reagiert auf Bundesverfassungsgericht

Bislang galt mit Blick auf das Geschlecht, dass neben „weiblich“ und „männlich“ keine weiteren „positiven Eintragungen“ zugelassen waren. Eine Person, dies sich weder dem einen noch dem anderen zugehörig fühlt, konnte bisher höchstens auf eine Eintragung des Geschlechts verzichten. Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, entschied das Bundesverfassungsgericht (BverfG) im November 2017 (1BvR2019/16). Demnach schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) auch die geschlechtliche Identität derjenigen, „die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“. Zudem verstößt das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen wird.

Im Dezember beschloss der Bundestag, dass staatliche Einrichtungen ein drittes Geschlecht anerkennen müssen und Registereintragungen nun unter dem Begriff „divers“ zugelassen sind.

Geringe Bürokratiekosten

Mit der Bundestagentscheidung entsteht den Kommunen nun ein gewisser Erfüllungsaufwand. Die eingesetzte Software der Fach- und Registerverfahren für die elektronische Personenstandsbeurkundung muss in den Standesämtern angepasst werden. Hinzu kommen Beurkundung und Entgegennahme von Erklärungen zum Geschlecht sowie etwaige Abstimmungsprozesse mit dem Familiengericht. Alles in allem wohl relativ überschaubare Kosten, die einem hohen Mehrwert für die Gesellschaft gegenüber stehen können – wenn Unternehmen, Behörden und Organisationen das öffentliche Bewusstsein zu nutzen wissen! 

Denise Hottmann ist Managerin Diversity & Inclusion beim Pharma-Hersteller Boehringer Ingelheim.
© Boehringer Ingelheim

Antidiskriminierende Haltung zeigen

In Ingelheim bei Mainz begrüßt man die Neuregelung und integriert die Gleichstellung des dritten Geschlechts als einen von vielen Ansätzen in die eigene Strategie. „Uns geht es insgesamt darum, eine wertschätzende Haltung für alle Menschen zu zeigen – und das möglichst in allen Bereichen und ohne dogmatisch zu wirken“, unterstreicht Personal-Expertin Hottmann. Der Pharma-Konzern nutzte die Einführung einer neuen Software zur Standardisierung des Bewerbungsmanagements als Anlass dafür, seine digitalen Verfahren insgesamt diskriminierungsfrei und geschlechtsneutral und damit rechtlich einwandfrei auszugestalten. Seither wird die Kommunikation des Unternehmens genauer unter die Lupe genommen. „Ziel ist es nicht einfach in Texten auf das „generische Maskulinum“ zu verzichten. Wir hinterfragen auch tradierte Sprachwendungen.“ Dabei muss es sich gar nicht immer um das Geschlecht drehen.

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Ziel ist es nicht einfach in Texten auf das „generische Maskulinum“ zu verzichten. Wir hinterfragen auch tradierte Sprachwendungen.

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Auf die Tonalität achten

Es geht um die „Tonalität“. Ausdrücke wie „an den Rollstuhl gefesselt“ seien zwar Usus im deutschen Sprachgebrauch, vermittelten jedoch einen negativen Beigeschmack. Im Kreis der Mitarbeitenden fragt Hottmann deshalb schon einmal nach, ob solche Formen wirklich ausdrückten, was sie sollen und ob tatsächlich bekannt sei, inwiefern sich jemand „gefesselt“ oder in diesem Maße eingeschränkt fühle.

Relevant – gerade für Behörden

Auch wenn Boehringer Ingelheim global agiert und zu den 20 größten Unternehmen der Branche zählt, könnten sich kleinere Organisationen vom Konzern etwas abschauen, erklärt Michael Martens. „Egal ob klein oder groß, Wirtschaft oder Behörde – künftig stehen alle miteinander im Wettbewerb um gutes Personal.“ Martens ist Mitgründer des Startups „Fairlanguage“ und hat sich nichts Geringeres zur Aufgabe gemacht, als der Name des Startups vermittelt: diskriminierungsfreie Sprache an den Mann und an alle anderen Geschlechter zu bringen. „Gerade der öffentlichen Hand muss nun erst einmal klar werden, dass es sich um eine für sie besonders relevante Sache handelt.“

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Egal ob klein oder groß, Wirtschaft oder Behörde – künftig stehen alle miteinander im Wettbewerb um gutes Personal.

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Als moderne Arbeitgeberin positionieren

Für Martens geht es dabei weniger um juristische Spitzfindigkeiten. Der Gründer sieht durch die Entscheidungen von BVerfG und Bundestag vielmehr einen passenden Zeitpunkt, sich als moderne Arbeitgeber*innen zu positionieren. Neben Boehringer Ingelheim berät Fairlanguage weitere Unternehmen wie Siemens, die Volksbank Karlsruhe und die TÜV Nord-Gruppe. „Immer mehr Akteur*innen aus der Wirtschaft bemühen sich, der gesellschaftlichen Diversität sprachlich gerecht zu werden. Das ist eine positive Entwicklung.“

Michael Martens wirbt für "faire Sprache".
© Martens

Mit Stellenausschreibungen beginnen

Auch im öffentlichen Sektor ist „Fairlanguage“ gefragt. Sei es beim Jobcenter Köln oder in der Stadt Kiel. Die Landeshauptstadt koordiniert derzeit noch das genaue Vorgehen, will aber bald mit einer eigenen Strategie aufwarten, um ihren Beschluss, die Stadt fit für geschlechtliche Vielfalt zu machen, umzusetzen. Auch die schwarz-grün-gelbe Landesregierung von Schleswig-Holstein macht sich bereits Gedanken, wie sie Sprache und Außenwirkung künftig fairer gestalten kann. 

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Prüfen Sie doch einmal ein paar geläufige Begrifflichkeiten und sprechen z. B. nicht mehr von „jeder“, sondern von „alle“.     

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Geschlechter-inklusive Berufsbezeichnungen

Ein erster Schritt, den schon viele Organisationen gehen, sind ausdrücklich deklarierte Stellenanzeigen. Jobs, die zuvor mit dem Zusatz „m/w“ ausgeschrieben wurden, können Behörden leicht durch „m/w/d“ erweitern. Die sprachliche Wirkung ändert sich hierdurch allerdings nicht, eine in der männlichen Form ausgeschrieben Stelle wirkt weiterhin männlich und schließt nicht alle Geschlechter ein. Daher empfiehlt sich die Verwendung von geschlechter-inklusiven Berufsbezeichnungen. Noch einfacher ist es, eine Stelle komplett geschlechtsneutral auszuschreiben.

„In Kanada werden Bürger*innen bei schriftlichen Vorgängen oft zuerst neutral angesprochen und erst dann nach einem „Pronomen“ gefragt und gender-spezifisch angesprochen.“ Wer sich hierzulande noch nicht soweit fühlt, dem stehen trotzdem viele kleine Türen offen, sich „fair“ auszudrücken.    

Eine Möglichkeit, alle Geschlechter einzubeziehen, ist eine Lücke zu lassen und diese durch einen Unterstrich ( _ ) zu symbolisieren - wie z. B. in "Mitarbeiter_innen".

* oder _ ? – alles eine Frage der Gewöhnung 

Die bislang wohl am weitesten verbreitetste Ausdrucksweise, um alle Geschlechter gleichermaßen einzubeziehen ist das Einfügen eines Satzzeichens, z. B. Sternchen ( * ) oder Unterstrich ( _ ) sowie der Endung „innen“. Ob „Student_innen“, „Arbeiter_innen“ oder „Mitarbeiter*innen“ – alles eine Frage der Gewöhnung, sagt Martens. Diese Formen kommen aus den queer-feministischen Communities, also von den Menschen, die nun Sichtbarkeit in der Sprache bekommen. Das Sternchen symbolisiert hierbei die Vielfalt der Geschlechter, der Unterstrich schafft Raum zwischen der männlichen und der weiblichen Form. „Das kann nicht nur geschrieben, sondern sogar gesprochen werden, indem eine kurze Pause für das Sternchen gemacht wird. Versuchen Sie es mal!“

Recht etabliert sind mittlerweile auch Partizip-Konstruktionen wie „die Studierenden“, „die Arbeitenden“ oder „liebe Mitarbeitende“. „Prüfen Sie doch einmal ein paar geläufige Begrifflichkeiten und sprechen z. B. nicht mehr von „jeder“, sondern von „alle“.“     

Rollenbilder nicht an einem Geschlecht festmachen

Websites, soziale Medien, Stellenanzeigen: Häufig seien Benachteiligungen auch erst indirekte Folgen oder Verknüpfungen von unfairer Sprache. Die TÜV Nord Gruppe berät Martens darin, ihre Kommunikation so zu gestalten, dass sich vermehrt Frauen auf die häufig sehr technischen Berufe bewerben. „Wenn Führungspositionen nie in einer weiblichen Form ausgesprochen und dargestellt werden, egal wie die Geschlechter auf diesen Positionen bislang verteilt sein mögen, dann wird auch kein Bild von einer weiblichen Führungskraft entstehen.“

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Wenn Führungspositionen nie in einer weiblichen Form ausgesprochen und dargestellt werden, egal wie die Geschlechter auf diesen Positionen bislang verteilt sein mögen, dann wird auch kein Bild von einer weiblichen Führungskraft entstehen.

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Führungskräfte gewinnen

Auf die Leitungsebene kommt es dann auch an, wenn Gender-Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden sollen. Martens: „Es funktioniert, wenn es eine von oben getragene Entscheidung gibt, die die Mitarbeitenden gleichzeitig informiert, über die gesellschaftliche Bedeutung aufklärt und dann Möglichkeiten aufzeigt und Freiraum für Diskussionen schafft.“ Schließlich, erklärt Martens, brauche es für die Umsetzung digitale Lösungen, die es Menschen einfach und niederschwellig ermöglichen, gendergerecht zu kommunizieren. „Hier bietet gerade die Digitalisierung viele neue Möglichkeiten, damit alle Mitarbeitenden unterstützt und beim Wandel mitgenommen werden.“ So wie beim Pharmazeuten Boehringer-Ingelheim.

Wer die qualifiziertesten Bewerber zum Gespräch einladen möchte, der sollte Ausschreibungen offen formulieren und möglichst an alle gesellschaftlichen Gruppen adressieren.
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 Schrift und Sprache beeinflussen sich

„Schriftsprache und mündliche Sprache beeinflussen sich gegenseitig.“ Der Weg zu tatsächlicher Barriere- und Diskriminierungsfreiheit ist aus Sicht Hottmanns ein langer und gerade erst begonnener Prozess. „Trotz unserer Bemühungen haben wir zuerst noch vieles übersehen. Um selbst ein Auge für die Dinge zu bekommen, macht es durchaus Sinn, sich Unterstützung von außen zu holen – so hat uns Fairlanguage auf viele Wendungen aufmerksam gemacht, die wir bis dahin noch gar nicht auf dem Schirm hatten.“ Bildsprache bringe zum Beispiel oft unbemerkt noch tradierte Haltungen zum Ausdruck. Weiteren Bedarf gebe es bei der Inklusion von gehör- und seheingeschränkten Menschen und auch jenen mit Farbseheinschränkungen.

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Sie können jederzeit niederschwellig beginnen und sich einmal sprachlich auf der eigenen Website umschauen – da findet sich bestimmt etwas.

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Auch wenn nicht alles gleichzeitig getan werden kann und in vielen Unternehmen – geschweige denn im öffentlichen Sektor – nicht immer alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, rät HR-Expertin Hottmann dazu, es mit der Haltung ernst zu meinen. „Sie können jederzeit niederschwellig beginnen und sich einmal sprachlich auf der eigenen Website umschauen – da findet sich bestimmt etwas.“

Bewerbungen auf dem CSD

Als globaler Konzern geht Boehringer Ingelheim weit darüber hinaus. Am vergangenen Christopher Street Day (CSD) in Mainz nahmen Mitarbeiter*innen offiziell mit einer „Fußgruppe“ teil, inklusive Fahne und einheitlichen Shirts. Seit 2018 ist das Unternehmen zudem „Prout Employer“ und damit Teil eines Programms, das sich für ein offenes Arbeitsumfeld einsetzt, unabhängig von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität. Hottmann dazu: „Das Unternehmen soll ein sicherer Platz für alle sein.“ Und ein attraktiver Arbeitgeber für alle Mitarbeiter*innen. Das Engagement auf dem Mainzer CSD scheint beides vereint zu haben: „Uns haben auf der Veranstaltung gleich mehrere Teilnehmer*innen angesprochen, um sich zu informieren und danach direkt zu bewerben.“