Eine Frau sitzt mit geöffnetem Laptop am Schreibtisch und berät eine andere junge Frau
© Anastasia Gepp / Pixabay

Berliner Jugendhilfe: Mehr Zeit für Beratung!

Digitalisierte Prozesse auf Basis der dienste-zentrierten IT-Plattform ISBJ beschleunigen die Arbeit der Berliner Jugendhilfe

Beratung und Unterstützung in Erziehungs- und Unterhaltsfragen, ambulante und stationäre Hilfen für Kinder und deren Familien sowie Kindernothilfe – dies und mehr gehört zu den Aufgaben der Berliner Jugendhilfe, einer Einrichtung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Mehr als 3.000 Mitarbeitende der Berliner Jugendämter und der Senatsverwaltung selbst gewähren für zehntausende Kinder Leistungen von mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr. Seit Beginn des Jahres 2021 können hier die Arbeitsprozesse nun deutlich schneller ablaufen: Der Geschäftsbereich Digital Public Services von Fraunhofer FOKUS hat mit und für den Senat die Digitalisierung des Fachverfahrens Berliner Jugendhilfe erfolgreich und innerhalb des geplanten Timings und Budgets abgeschlossen.

Für die Beschäftigten der Jugendämter heißt das: Sie können Anträge, Bedarfserfassung, Abrechnung und Dokumentation jetzt komplett digital abwickeln und Falldaten untereinander austauschen. Auch das Urkundenregister ist digitalisiert. Die Zugriffe auf Einwohnermeldedaten, Adress- und Sozialraumdaten sowie der Zahlungsverkehr erfolgen unter Einhaltung des Datenschutzes direkt aus dem Fachverfahren. Möglich wird das durch die eigens entwickelte IT-Plattform „Integrierte Software Berliner Jugendhilfe“ (ISBJ), die sämtliche Verfahren und Dienste bündelt. „Das beschleunigt die Prozesse und es bleibt mehr Zeit für persönliche Beratungen“, freute sich die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Sandra Scheeres, bei deren Livegang. „All dies ist eine enorme Arbeitserleichterung und ein Schritt in die Zukunft der Verwaltung.“ Die erste Testphase in der Praxis ist durchweg positiv verlaufen. Im nächsten Schritt ist eine Wirkungsmessung inklusive Evaluation der Hilfearten geplant.

Komponentenbasierte, dienstezentrierte IT-Architektur bündelt Fachverfahren

Als zentrale Verantwortliche für alle IT-Fachverfahren für das Jugendwesen im Land Berlin initiiert und steuert die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie deren Einsatz in den zwölf bezirklichen Jugendämtern sowie dem Landesjugendamt. Ziel des Digitalisierungsvorhabens ist, sämtliche IT-Fachverfahren und Dienste zu konsolidieren, zu standardisieren und zu modernisieren und diese in die IT-Plattform ISBJ zu integrieren. Dabei wird die Konformität zu den Vorgaben der IKT-Architektur des Landes Berlin gewahrt. Schwerpunkte des Vorhabens ISBJ sind die beiden Teilprojekte Jugendhilfe und KiTa (Kinder in Tagesbetreuung).

Technisch basiert die ISBJ-Plattform auf einer komponentenbasierten und dienstezentrierten Architektur. Komponenten sind unabhängig zu entwickelnde und verteilbare Software-Entitäten, die bestimmte Dienste bereitstellen. Diese Dienste können allein aufgrund der Kenntnis ihrer publizierten Schnittstellen benutzt werden, ohne dass die zugrunde liegende Implementierung bekannt ist. Die Komponenten selbst laufen im Kontext einer dedizierten Komponentenplattform ab, die die Verwaltung des Lebenszyklus der Komponenten übernimmt und Infrastrukturdienste wie Sicherheit, Persistenz- und Transaktionsverwaltung bereitstellt.

Kern des neuen IT-Fachverfahrens Jugendhilfe ist die aus wiederverwendbaren Diensten und Komponenten bestehende serviceorientierte Referenzarchitektur (SOA), die die Fraunhofer-Digitalisierungsexpertinnen und -experten als technische Basis entworfen haben. Als Software kommt „SoPart“ der Firma GAUSS-LVS zum Einsatz. Sie wurde modular in den Aufgabenfeldern wirtschaftliche Jugendhilfe, Regionaler Sozialer Dienst, Kinderschutz, Vormundschaften, Beistandschaften, Unterhaltsvorschuss sowie bezirkliche und zentrale Jugendgerichtshilfe eingeführt und als weiterer Baustein in die Plattform integriert.

IT von Anfang an mitdenken

Den Digitalisierungsprozess der Berliner IT-Fachverfahren begleitet Fraunhofer FOKUS bereits seit 2004, das Projekt „Jugendhilfe“ wurde in fünf Jahren umgesetzt – von der Idee bis zum Rollout. Zum Projektumfang für das wissenschaftliche eGovernment-Team gehörten neben Anforderungsanalyse, Leistungsbeschreibung für fachliche und technische Anforderungen, Begleitung der Vergabe und Qualitätssicherung auch die Entwicklung von Konzepten zu Informationssicherheit und Datenschutz samt Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden.

Die größte Herausforderung im gesamten Digitalisierungsprozess war, die Bedarfe aller beteiligten Prozesse, Verfahren und Beteiligten zu erfassen, zu bündeln und unter einen Hut zu bringen – und dabei Zeit und Kosten stets im Blick zu behalten. Dass das Projekt innerhalb des geplanten Zeit- und Kostenbudgets umgesetzt werden konnte, ist bei Digitalisierungsprojekten dieser Größenordnung keine Selbstverständlichkeit.
 

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Damit das gelingt, lautet unsere Empfehlung für ähnliche Projekte zur Digitalisierung von Fachverfahren der öffentlichen Verwaltung, strukturelle Weiterentwicklungen von Organisationen immer auch unter IT-Gesichtspunkten zu betrachten – und zwar am besten von Anfang an.

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Die Modellierung von Geschäftsprozessen macht schon zu Beginn eines Projekts deutlich, welche IT-Architektur und -Systeme notwendig werden. Kommen – wie im Beispiel der Berliner Jugendhilfe – personenbezogene Daten zum Einsatz, sollten zudem die Datenschutzbehörden frühzeitig in den Prozess eingebunden werden. Diese frühzeitige Planung und Abstimmung ermöglicht es, alle wichtigen Aspekte und Akteure zu berücksichtigen – und spart zeit- und kostenintensive Korrekturen im Nachhinein. Dieses Vorgehen bringt Vorteile für alle: für die Mitarbeitenden der Verwaltung ebenso wie für die Bürgerinnen und Bürger, die deren Services nutzen.