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Oliver Hölzer (Cassini) im Partner-Interview zur 23. Beschaffungskonferenz

23. Beschaffungskonferenz am 29.-30.09.2022

Die Komplexität und die Herausforderungen in der öffentlichen Beschaffung nehmen zu - Krisen müssen überwunden und alte Strategien neu gedacht werden. Kann die öffentliche Hand von der Privatwirtschaft lernen?
Oliver Hölzer, Management Consultant bei der Cassini Consulting AG, ordnet die derzeitige Situation der öffentlichen Beschaffung ein und gibt uns einen Ausblick, welche neuen Strategien die öffentliche Hand entwickeln kann und muss.
Oliver Hölzer | Cassini

Verwaltung der Zukunft: Sehr geehrter Herr Hölzer, können Sie kurz sich und Ihre Rolle bei Cassini beschreiben?

Hölzer: Ich bin seit 14 Jahren in der Beratung tätig und arbeite hauptsächlich im Public Bereich. Über den Bereich Anforderungsmanagement bin ich zu meinem Herzensthema der Vergabe gekommen. Im Fokus sehe ich hier nicht nur die klassische Vergabeberatung, sondern die ganzheitliche Beratung der Einkaufs- und Beschaffungsinstitutionen. Hierbei begleitet mich die Leitfrage: Wie können sich Beschaffungsstellen optimal aufstellen, sodass den stets steigenden Anforderungen und Herausforderungen Rechnung getragen werden kann?

VdZ: Sie nehmen an dem Fachforum I.III.1 teil: Welche neuen Anreize und Impulse schafft das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen?

Hölzer: Bezüglich eigener Lieferketten haben sich Unternehmen bislang Selbstverpflichtungen in Form von Compliance-Richtlinien auferlegt. Die Folge des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ist, dass der Staat zum ersten Mal umweltbezogene und menschenrechtsbezogene Anforderungen an die Lieferketten von Unternehmen stellt. Hierbei ist relevant, dass Unternehmen nicht das Ausbleiben von Verstößen „garantieren“ müssen, sondern hingegen eine Sorgfaltspflicht für die Vermeidung und den Umgang mit diesen auferlegt werden. Um seiner Kontrollfunktion gerecht zu werden, schafft der Bund 65 Stellen. In den kommenden Monaten wird die Praxis im Detail zeigen, inwieweit und bis zu welcher Tiefe der Bund seiner Kontrollfunktion gerecht werden kann. Vermutlich werden gerade im ersten Halbjahr des kommenden Jahres nur eklatante Verstöße geahndet und verfolgt werden können.

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Es sollte einen vertrauensvolleren und transparenten Umgang mit Dienstleistern und Lieferanten geben.

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VdZ: Kann die öffentliche Verwaltung von der Privatwirtschaft lernen und wenn ja, wo würden Sie als Erstes ansetzen?

Hölzer: Ja, durchaus! Mir fallen da drei besonders relevante Dinge ein: 1. Beschaffungen als strategisches Instrument begreifen, 2. die Operationalisierung von Top-Strategien und politischen Zielen und 3. das Thema Lieferantenmanagement. Bei den ersten beiden Punkten sei als Beispiel das Thema Resilienz genannt. Die Frage, wie sich Resilienz in einem bestimmten Verfahren operationalisieren lässt, ist für viele Beschaffer kaum lösbar. Viele Großkonzerne haben Beschaffungsstrategien, die sich an Unternehmenszielen orientieren und Compliance-Richtlinien miteinbeziehen. Das Thema Operationalisierung einer hinreichenden Resilienz wird als eines von diversen Zielen adressiert. Wie im Detail strategische Ziele in einzelnen Beschaffungen berücksichtigt werden, ist bei vielen Behörden noch ungeklärt und noch seltener dokumentiert. Einzelne Beschaffer sind allzu oft auf sich allein gestellt. Eine Lösung hierfür wäre, eine Beschaffungsstrategie als sogenannte Mittlerstrategie einzuführen: Also Top- Strategien und politischen Zielen konkret für die Praxis zu Übersetzung, um eine konkrete Ausgestaltung in diversen Verfahren forcieren zu können. Zuletzt sei das Thema Lieferantenmanagement genannt. Das Eingehen von strategischen Partnerschaften ist in der Privatwirtschaft gang und gäbe. Hierbei muss sich die öffentliche Hand sehr genau überlegen, was man tun kann, welche Formen von strategischen Partnerschaften zulässig sind und welche Partnerschaften von dem Vergaberecht unterbunden werden.

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Die Beschaffung der öffentlichen Hand ist ein strategisches Instrument und es muss auch strategisch gedacht werden. Es muss auf ein anderes Niveau gehoben werden und mehr Aufmerksamkeit bekommen.

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VdZ: Wie sollte das Verhältnis zwischen der öffentlicher Verwaltung und dem Auftragnehmer aussehen, sollte die Auftragnehmer mehr als Partner gesehen werden? Und wo sind die Grenzen einer solchen Partnerschaft?

Hölzer: Die öffentliche Hand sollte die Auftragnehmer als Partner betrachten. Die Auftragnehmer haben häufig ein sehr strategisches Interesse an der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung. Die Privatwirtschaft ist in der Regel gerne bereit, auf Anforderungen der öffentlichen Hand einzugehen und diese umzusetzen. Man sieht, dass die öffentliche Hand Impulse an den Markt setzen kann und dies auch tut. Diese werden manchmal mehr und manchmal weniger dankend angenommen. Es sollte einen vertrauensvolleren und transparenten Umgang mit Dienstleistern und Lieferanten geben. Im Vergaberecht haben wir die Herausforderung, dass zwischen aktuellen und potenziellen Auftragnehmern Informationsdefizite ausgeglichen werden müssen. Sinnvoll ist ein proaktiver Umgang hiermit. Zum Beispiel könnten Beschaffungsstrategien der öffentlichen Hand publiziert werden. Auch ein Blog von Behörden wäre denkbar, um niedrigschwellig Informationen bereitzustellen. Bei der Planung solcher Maßnahmen ist es sinnvoll, Vergabeexperten hinzuzuziehen, denn Partnerschaft enden dort, wo die Restriktionen des Vergaberechts anfangen.

VdZ: Inwieweit haben die derzeitigen Krisen die öffentliche Beschaffung beeinflusst? Und was muss die öffentliche Verwaltung tun, um solche Krisen in Zukunft gut zu managen?

Ganz konkret haben wir es mit Lieferengpässen zu tun, die die öffentliche Hand beeinflussen. Die Folge ist, das bestimmte Produkte nicht oder schlecht verfügbar sind und dass wir mannigfaltig mit Preissteigerung Umgang finden müssen. Durch die Preissteigerung können einige Firmen, die zum Beispiel vor drei Jahren mit der öffentlichen Hand einen Vertrag eingegangen sind, diesen nicht mehr wirtschaftlich erfüllen. Das ist zum einen unternehmerisches Risiko, allerdings hat wahrscheinlich niemand mit einem Krieg in Europa gerechnet. Es kann für die öffentliche Hand durchaus sinnvoll sein, auf eigene Vertragspartner zuzugehen: Marktgegebene Preissteigerung lassen sich in gewissen Formen ausgleichen oder abmildern. Es gibt beispielsweise hierzu Modelle, welche mögliche Preissteigerung in Verträgen berücksichtigt. Dies geschieht noch viel zu selten in der öffentlichen Hand.
Ein weiterer Gedanke zum Thema Resilienz. Aus meiner Sicht wird vermutlich das Erreichen einer gewissen Resilienz in Vergaben auf die Auftragnehmer der öffentlichen Hand abgewälzt. Genau diese Abwälzung wird allerdings etwas kosten. Es wird sich in vielen Vergaben lohnen, über eine optimale Tarierung zwischen Preis und Resilienz nachzudenken.

Die Beschaffung der öffentlichen Hand ist ein strategisches Instrument und es muss auch strategisch gedacht werden. Es muss auf ein anderes Niveau gehoben werden und mehr Aufmerksamkeit bekommen.