Jens Jeske / jeske20220929-096

"Schlüchterner Weg" bundesweit ein Thema

Kleinstadt-Kommune beplant Herzstück mit Hilfe eines „Strukturierten Bieterverfahrens“ erfolgreich neu

Die Bezeichnung „Schlüchterner Weg“ etabliert sich derzeit in deutschen Fachkreisen. Dahinter verbirgt sich das kluge Vorgehen einer kleinstädtischen Kommune in Hessen, um ein 11000 qm großes frei gewordenes Areal im Kernbereich nicht als Spielball den Interessen von Groß-Investoren zu überlassen, sondern selbst aktiv und geschickt die Zukunft dieser Fläche zum Wohle der Bevölkerung zu steuern.

„Strippenzieher“ dieser Aktion war Matthias Möller (parteilos), seit sechs Jahren engagierter Bürgermeister der knapp 16.000 Einwohner-Stadt Schlüchtern im Hessischen, rund 70 Kilometer östlich von Frankfurt gelegen. Über die Umsetzung der Pläne referierte er jetzt bei der „23. Beschaffungskongress – Das Original aller Beschaffungstage“ in Berlin.

Im Herzen von Schlüchtern gab es über Jahrzehnte das Kaufhaus Langer. Für mehrere Generationen in der Stadt sowie im Umland war es die zentrale Einkaufsstätte. Doch wie allerorten setzten dem einstigen Einkaufsparadies die Märkte auf der grünen Wiese sowie die Einkaufsmöglichkeiten im Internet erheblich zu. Ende April 2018 war dann sein Schicksal besiegelt. Das Kaufhaus schloss für immer seine Pforten. Was nun mit dem einen Hektar großen Grundstück mit weitverzweigter Bebauung? Einfach dem Schicksal irgendwelcher Investoren überlassen?

Matthias Möller
© Stadt Schlüchtern

Das war nicht das Ding von Bürgermeister Matthias Möller. Der 41-Jährige wollte nicht diesen einfachen Weg gehen, sondern er wählte für sich die „Ochsentour“, um größtmöglichen Einfluss auf die künftige Gestaltung dieses Herzstückes seiner Stadt zu haben. Also kaufte die Kommune zunächst das gesamte Areal an und startete den großen Abriss. Dazu bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit im politischen Schlüchtern.

Einen Teil des Areals beplante die Stadt recht schnell selbst auf einer Teilfläche von ca. 2500 qm entsteht derzeit ein Kultur- und Begegnungszentrum, in dem einige Wunschobjekte untergebracht werden. Von dem Leuchtturmprojekt Kindererlebniswelt über diverse Beratungseinrichtungen bis hin zu der überregional bedeutsamen Europa-Akademie.

Für die übrige Fläche ist sein Handwerkszeug das sogenannte „Strukturierte Bieterverfahren“. Zunächst galt es, alle relevanten Unterlagen standardisiert zusammenzustellen. Dazu zählte die konkrete kleingliedrige Objektbeschreibung mit der gewünschten Unterteilung in Wohnen, darunter auch mit bezahlbaren Bereichen, Handel, Gewerbe und Parken. Und dazu wurde eine ausgeklügelte Bewertungsmatrix definiert. Das Ziel war es, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen für die Investoren zu schaffen, um damit schließlich den besten Kaufkandidaten zu identifizieren. „Nicht der höchste Preis, sondern das beste Rezept sollte ausschlaggebend sein“, resümiert Möller.

Um an ein qualifiziertes Bieterfeld zu kommen, folgte die intensive bundesweite Ansprache potenzieller Investoren. Die Stadt nutzte dabei kreative Marketing-Instrumente, beispielsweise mit einer Präsentation auf dem Podium der Messe Expo Real in München, die internationale Fachmesse für Immobilien und Investitionen. Auch auf zahlreichen anderen Podien und bei Foren bundesweit waren Möller und sein Team zu Gast. Selbst der ungewohnte Weg, eine Tanne auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt zu platzieren, sorgte überregional für mehr Blicke auf Schlüchtern.

In zwei Verkaufsrunden präsentierten die Interessenten ihre Pläne und gaben Kaufangebote ab. In einer letzten Phase des strukturierten Bieterverfahrens wurden mit dem finalen Käufer die Endverhandlungen geführt und der Kaufvertrag abgeschlossen. Den Zuschlag beim Langer-Areal erhielt der Fuldaer Investor „Werner Projektentwicklung GmbH“ mit einem 40-Millionen-Konzept.

Die Stadt bewegte sich dabei mitunter auf einem schmalen Grat, durfte sie doch keine direkte Wirtschaftsförderung im Rahmen des EU-Beihilferechts betreiben. Im Kern musste ein solches Verfahren revisionssicher gemacht werden. Dazu war die wertvolle Hilfe von Fachanwälten aus Leipzig nötig, die ein juristisch sauberes Vorgehen definierten.

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„Die Stadt Schlüchtern hat Vorbildcharakter, weil sie sich bei dieser Größe ein solches Jahrhundertprojekt zutraut.“

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Parallel dazu holte bei diesem wichtigen Entscheidungsprozess die Stadt immer wieder die Bürger mit ins Boot, so bei Bürgerbeteiligungs-Foren und den Veranstaltungen „Frag doch mal die Stadt“. Und das alles in Zeiten von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. „Eine immense Herausforderung“, betont der Bürgermeister.

Herausgekommen ist nunmehr eine beispielhafte Quartierslösung, in der sich alle bundespolitisch wichtigen Themen niederschlagen: Leben, Arbeiten, Kultur, Handel, Gewerbe, Büros und Gastronomie, Klimaschutz, behindertenfreundlicher und bezahlbarer Wohnraum. Insgesamt deckt der zu erzielende Verkaufspreis der Langer-Fläche pro Quadratmeter die Aufwendungen ab. Im kommenden Jahr soll gebaut werden.

Dass all dies letztlich erfolgreich über die Bühne ging, sei nicht selbstverständlich, erklärte der Bürgermeister in Berlin. Es gebe auch Beispiele in anderen Kommunen, wo das strukturierte Bieterverfahren ins Leere gelaufen und die Vergabe gescheitert sei. Das Publikum folgte dem Fachvortrag mit großem Interesse.

Für Möller bleibt es dabei: Der Ankauf des Langer-Areals habe Schlüchtern vor dem Kollaps bewahrt. Das Konzept biete künftig Anreiz und Stütze für die gesamte Innenstadt. Damit gelinge die Transformation zu einem nachhaltigen urbanen Zentrum. Möller: „Die Stadt Schlüchtern hat Vorbildcharakter, weil sie sich bei dieser Größe ein solches Jahrhundertprojekt zutraut.“