Polizei

„Polizeifachlich wünsche ich mir größtmöglichen, länderübergreifenden Konsens“

Im Interview: Andreas Backhoff

Aufgeteilte Verantwortlichkeiten, neue Anforderungen an Kompetenzen und Ressourcen, Doppelstrukturen, Abstimmungserfordernisse, unterschiedliche Befugnisse: Die Innere Sicherheit ist in Deutschland sowohl Bundes-, als auch Ländersache. Andreas Backhoff erklärt, wie die Zusammenarbeit im Föderalismus funktioniert und welche Herausforderungen für die Zukunft bestehen.
Andreas Backhoff wurde 1964 in Wuppertal geboren. Im Anschluss an sein Abitur begann Backhoff 1984 eine Ausbildung zum Polizeibeamten. Von 1986 bis 1993 war Backhoff als Polizeibeamter in Nordrhein-Westfalen tätig. Im Jahr 1989 bis 1992 folgte ein Studium der Verwaltungswissenschaften und Polizei an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Wuppertal. Im Anschluss an sein Studium an der Polizei-Führungsakademie, welches Backhoff im Jahr 2000 vollendete, war er im höheren Dienst der Polizei im Land Brandenburg tätig. Von 2013 bis 2018 war er Landespolizeidirektor in Brandenburg. Seit Dezember 2018 ist Backhoff Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.
© Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
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Allerdings stellen sich seit Jahren und auch aktuell zunehmend Sicherheitsfragen in Teilen in überregionalem, internationalem und auch globalem Kontext.

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VdZ: Die Verantwortlichkeiten rund um die öffentliche Sicherheit sind in Deutschland zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Ist das hinderlich und stößt der Föderalismus hier an Grenzen?

Backhoff: Die zwischen Bund und Ländern aufgeteilten Verantwortlichkeiten „rund um die öffentliche Sicherheit“ bestehen dem Grunde nach bereits seit Inkrafttreten unserer Verfassung.

Es wäre falsch zu behaupten, seit 1949 kämen Bund und Länder diesbezüglich „an ihre Grenzen“. Seit den 50er Jahren wurden u.a. sehr erfolgreiche Instrumente bundesweiter Sicherheitskoordinierung, wie die Konferenz der Innenminister und -senatoren und wiederum deren Gremienstruktur, geschaffen. Allerdings stellen sich seit Jahren und auch aktuell zunehmend Sicherheitsfragen in Teilen in überregionalem, internationalem und auch globalem Kontext. Die besondere Herausforderung ist, sich zu einigen dieser Fragen – wo erforderlich auch zentral gut aufzustellen und unter Beachtung unseres austarierten föderalen Systems koordiniert vorzugehen.

Das ist in der Vergangenheit weitestgehend gut gelungen und ich habe keine Zweifel daran, dass das den Ländern und dem Bund nicht auch in Zukunft gut gelingen wird. Neben den Gremien stehen Bund und Ländern hierfür eine Vielzahl von Formaten zur Verfügung, wie zum Beispiel Bund-Länder-Arbeitsgruppen, Projektgruppen, gemeinsame fachbezogene Zentren, um nur einige zu nennen. Dies sind teils aufwändige Verfahrensweisen, die aber in unserem föderalen System teilweise alternativlos sind.

VdZ: Ob Cyberkriminalität oder Terrorismus: Die Entwicklungen der letzten Jahre erfordern ganz neue Kompetenzen und Ressourcen, die jedes Bundesland im Rahmen seiner Zuständigkeiten selbst aufbauen muss. Ist das überhaupt möglich?

Backhoff: Nicht jedes Land wird für alle Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcen in gleichem Umfang und in gleicher Qualität abbilden können. Deshalb haben sich die Länder – wo erforderlich – beispielsweise in entsprechenden Verbünden zusammengefunden, wie etwa die Sicherheitskooperation der Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

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Nicht jedes Land wird für alle Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcen in gleichem Umfang und in gleicher Qualität abbilden können.

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Einige gemeinsame Aufgaben werden beispielsweise durch Staatsverträge geregelt. Wo möglich, erforderlich und gewollt, werden aber auch Zentralstellen des Bundes Kompetenzen übertragen, sei es dauerhaft (z.B. BKA-Gesetz) oder temporär (z.B. Projekt „Polizei 2020“, mit entsprechenden Beteiligungen der Länder). Oder ein Land übernimmt Aufgaben für alle Länder, so zum Beispiel Nordrhein Westfalen mit der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“.

VdZ: Es gibt in allen wesentlichen Bereichen Doppelstrukturen: bei der Polizei, bei Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, bei Staats- und Verfassungsschutz usw. Auf Bundesebene gibt es Zentralisierungsbestrebungen, die Länder wehren sich dagegen. Warum?

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Zentralisierte Expertise kann auch als Dienstleistung zur Verfügung stehen.

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Backhoff: „Doppelstrukturen“ klingt negativ – man sollte unterscheiden: da, wo Aufgaben übertragen sind, müssen diese auch in erforderlicher Breite und Güte eigenverantwortlich wahrgenommen werden, das gilt für die Länder wie für den Bund. In speziellen Bereichen, etwa Beschaffungen für die Bereitschaftspolizeien oder Cybercrime, bieten sich in bestimmten Segmenten meines Erachtens zweckmäßige Bündelungen an, ohne dass dadurch zwingend Kompetenzen verschoben werden müssen. Zentralisierte Expertise kann auch als Dienstleistung zur Verfügung stehen.

Mir ist nicht bekannt, dass sich jemand gegen gebotene, vernünftige und mögliche Bündelungen „wehrt“.  Die Gestaltung der Sicherheitsarchitektur und – soweit verfassungsrechtlich gestaltbar – die damit verbundene politische wie fachliche Verortung von Verantwortung sind in unserem föderalen System ein ständiger Diskussions-, Abwägungs- und Gestaltungsprozess.

In den vergangenen Jahren haben sich einige Zuständigkeiten geändert und Nuancen verschoben; es steht für mich völlig außer Zweifel, dass es auch weitere Veränderungen geben muss und wird.

VdZ: Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche 2016 offenbarte sowohl Abstimmungsdefizite zwischen Bundes- und Landesbehörden, als auch zwischen den Ländern. Lässt die Vielzahl der Akteure in Deutschland überhaupt eine funktionierende Abstimmung zu?

Backhoff: Der Anschlag vom 19. Dezember 2016 war ein furchtbares Ereignis, vor allem für die Opfer, für die Hinterbliebenen, aber auch alle Einsatzkräfte. Es steht mir nicht zu, etwaige Defizite zu diskutieren. Überdies ist die parlamentarische Aufbereitung noch nicht abgeschlossen.

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Mehrere Anschläge konnten durch professionelle Bund-/ Länder-Zusammenarbeit verhindert werden.

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Ich nehme aber wahr, wie davon unabhängig permanent erforderliche Abstimmungs- und Koordinierungsprozesse bei erforderlichen Bund-/Länderkooperationen wo nötig und möglich weiter forciert und optimiert werden. Mehrere Anschläge konnten durch professionelle Bund-/ Länder-Zusammenarbeit verhindert werden.

Nichts ist so gut, als dass es nicht noch weiter verbessert werden könnte. Und daran arbeiten, sozusagen als selbstverständliche Daueraufgabe, nach meiner Wahrnehmung alle Verantwortlichen mit großer Professionalität.

VdZ: Zwischen den einzelnen Bundesländern gibt es – je nach politischer Ausrichtung der Landesregierung – unterschiedliche Befugnisse hinsichtlich Telekommunikationsüberwachung, Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung oder Auskunft über Nutzungsdaten gemäß § 15 TMG. Brauchen wir ein Muster-Polizeigesetz als Richtschnur?

Backhoff: Generell erscheint mir ein Musterpolizeigesetz nicht nur sinnvoll, sondern auch erforderlich, insbesondere mit Blick auf das „Kerngeschäft des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder“. Nahezu jedes Wochenende finden sogenannte länderübergreifende Unterstützungseinsätze statt, zur Verdeutlichung:

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Generell erscheint mir ein Musterpolizeigesetz nicht nur sinnvoll, sondern auch erforderlich.

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Polizeibeamtinnen und -beamte der Bereitschaftspolizei aus Land A unterstützen in Bundesland B und werden dort nach dessen Recht tätig, denn es gilt im Gefahrenabwehrbereich das jeweils örtliche Landesrecht. Dies bedeutet, dass die Beamtinnen und Beamten der Bereitschaftspolizeien (übrigens auch der Bundesbereitschaftspolizei) alle Landesgesetze kennen und auch unter Zeitdruck richtig anwenden können müssen. Diese weichen jedoch teils erheblich voneinander ab.

Besonders unter dem Gesichtspunkt solcher Unterstützungseinsätze ist diese Situation misslich. Daher begrüße ich  persönlich das Ansinnen eines Musterpolizeigesetzes sehr. Man wird sehen, was sich politisch umsetzen lässt – zumal einige Länder auch aktuell Fortschreibungen vorgenommen haben und insofern ein jeweils neuer, parlamentarischer Willensbildungsprozess zu betreiben wäre. Dies ist eine große Herausforderung. Polizeifachlich wünsche ich mir größtmöglichen, länderübergreifenden Konsens.