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Die 115 wählen - und dann?

EfA-Mindestanforderungen an den Betrieb – Teil 2 von 2

Die EfA-Mindestanforderungen für den Betrieb können als Reaktion auf die Kritik am Onlinezugangsgesetz gesehen werden. Fristen und Ziele konnten nicht eingehalten werden und der Fokus auf die Entwicklung und den Rollout des Frontends wurde kritisiert. Anstatt sich auf die Bürgerinnen und Bürger zu konzentrieren, sollten die Prozesse ganzheitlich betrachtet und durchgängig digitalisiert werden. Standards für den Betrieb von Online-Diensten wurden außen vor gelassen. Anne Heimberg, Beraterin bei Cassini Consulting AG, bewertet die Vorhaben der Behördennummer 115 und erläutert ihre persönlichen Projekterfahrungen im OZG-Kontext.

– Lesen Sie für ein Gesamtbild den ersten Beitrag von Anne Heimberg


Management Practice „Incident Management“

Von „Incident Management“ wird im ITIL 4-Kontext gesprochen, wenn eine ungeplante Unterbrechung eines Services erfasst und gemanagt wird, mit dem Ziel negative Auswirkungen auf den Servicebetrieb möglichst gering zu halten und den Betrieb schnellstmöglich wieder neu aufzunehmen. Damit ist das Incident Management ein entscheidender Beitrag im Bereich des Supports. Die Intention ist, die Organisation so aufzubauen, dass Incidents entsprechend ihrer Komplexität ressourcenschonend behoben werden können. Klassisch werden Incidents daher nach Komplexität und Schwierigkeit oder Art kategorisiert und von unterschiedlichen Gruppen bearbeitet. Einige Incidents können von den Nutzenden selbst gelöst werden, wie die Wiederherstellung eines Passworts nach vorübergehender Sperrung eines Accounts. Andere Incidents werden vom First-, Second- oder Third-Level-Support analysiert und gelöst. Fundamental ist dabei auch die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den jeweiligen Support-Teams.

EfA-Supportstrukturen (vereinfacht dargestellt)
© Anne Heimberg

Zunächst wird in den EfA-Mindestanforderungen nicht explizit von „Incident Management“ gesprochen. Die AG RaBe-EfA räumt ein, dass insbesondere in diesem Bereich viele Fragen ungeklärt sind[1]. Trotzdem werden in den EfA-Mindestanforderungen an den Betrieb Rollen beschrieben, die einem Support-Level zugeordnet sind. Auf den bereitgestellten Informationen soll aufgebaut werden. Der First-Level-Support findet sich in dem Service-Desk (z.B. Behördennummer 115) wieder. Der Second-Level-Support ist aufgeteilt zwischen fachlichem Support oder technischem Support durch den IT-Dienstleister des mitnutzenden Landes, alternativ der Kommune sowie dem Bereitsteller des Online-Dienstes im betreibenden Land. Der Third-Level-Support liegt alleinig beim Bereitsteller des betreibenden Landes. Auf den Service-Desk gehe ich im nächsten Abschnitt noch einmal ein, daher liegt zunächst der Fokus auf dem Second- und Third-Level-Support.

Die EfA-Mindestanforderungen geben keine Hilfestellung zur Kategorisierung oder Priorisierung von Incidents oder Supportanfragen, sie differenzieren im Second-Level-Support allein zwischen fachlichen und technischen Anfragen. Für beide Arten sind Routing-Ziele (Kommunikationswege) der Tickets vom betreibenden Land bereitzustellen und vom mitnutzenden Land weiterzuentwickeln. Dem betriebsverantwortlichen Land wird ebenfalls zugestanden, die zulässigen Kommunikationswege einzuschränken, mit dem Ziel die Effizienz zu  steigern und Kosten zu kontrollieren. Für die Weiterleitung von Tickets empfehlen die EfA-Mindestanforderungen ein übergreifendes Ticketsystem, um eine strukturierte und nachhaltige Übergabe der Informationen sicherzustellen. Bei einem unzureichenden Ticketsystem wird als Alternative eine E-Mail-Schnittstelle angeraten.

Hier gehts zum ersten Teil des Beitrags
Zu weit, oder nicht weit genug gedacht?
Komplexität im EfA

Zu weit, oder nicht weit genug gedacht?

EfA-Mindestanforderungen an den Betrieb – Teil 1 von 2

Die Umsetzung der Anforderungen wird die Projekte vor einige Herausforderungen stellen. Im Zuge einer Nachnutzung von bis zu 16 Bundesländern, die wiederum ca. 580 OZG-Leistungen umsetzen bzw. nachnutzen, erscheint die Entscheidungsfindung bezüglich eines länderübergreifenden Ticketsystems als unrealistisch. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass Ticketsysteme bei den Online-Dienst-Bereitstellern bereits etabliert sind. Die Flexibilität bei der Wahl von Ticketsystemen kann hierdurch begrenzt sein. Ineffizient und kostspielig wäre ein Szenario, in dem Kommunen eine Vielzahl an Ticketsystemen nutzen. Wahrscheinlich ist es, dass eine Vielzahl von mitnutzenden Ländern vorerst auf bestehende Funktions-E-Mail-Adressen zurückgreifen wird und eine Nachverfolgung der Tickets hinsichtlich ihrer Erledigung ermöglicht. Ein Rückkanal zur Information an den Bürger bzw. die Bürgerin ist bisher nicht von den EfA-Mindestanforderungen geregelt.

Management Practice „Service Desk“

Der Service-Desk hat laut ITIL die Funktion des Erfassens, Klassifizierens und Weiterleiten von Incidents und Service Requests. Er dient als Single Point of Contact (SPOC) für die Anwendenden und den Betreiber von Services. Der Service-Desk kann aus einer Vielzahl von Eingangskanälen bestehen (Telefon, E-Mail, Ticketsystem, Vor-Ort-Counter etc.). Er hat nicht die Aufgabe, hoch spezialisierte Fragen zu beantworten, sondern einen guten Überblick der Geschäftsprozesse zu schaffen, damit die Fragen an die richtige Stelle weitergeleitet werden. Im Rahmen der EfA-Mindestanforderungen an den Betrieb wurde die Rolle des Service Desks wie bereits beschrieben der Behördennummer 115 zugewiesen.

Neben den bereits angesprochenen Herausforderungen in Bezug auf XZuFi und ein einheitliches Ticketsystem gehe ich hier noch einmal auf die Auswirkungen eines länderübergreifenden Service-Desks ein. Es herrscht bisher kaum Erfahrung zur Arbeit der 115 in Bezug auf OZG-Leistungen, bisher wird der Support für Nutzende durch einzelne Verfahren abgedeckt. Der Vorteil eines Online-Dienst-übergreifenden Service-Desks sind unter anderem eine einheitliche Sprache und eine einheitliche Qualität.

Die 115 ist der direkte telefonische Draht in die Verwaltung.
© 115.de

Es ist davon auszugehen, dass im Zuge der OZG-Umsetzung auch vermehrt Supportanfragen eingehen. Dem will die 115 unter anderem mit der Multikanalstrategie entgegenwirken. Auch das ITIL-Framework befürwortet eine zunehmende Automatisierung von Prozessen. Neben dem bestehenden Telefonservice sind Kommunikationskanäle wie eine Lotsenfunktion, ein Chatbot und ein Sprachdialogsystem bereits in der Testphase. Die Lotsenfunktion soll Bürgerinnen und Bürger durch das Angebot der Verwaltung führen und bei der Auffindbarkeit sowie der Bedienbarkeit der Online-Dienste helfen. Einfache technische und Online-Dienst-bezogene Fragen (Kosten, Dauer etc.) soll der Lotse beantworten können. Der Chatbot ist bereits in Leipzig, Hamburg und Karlsruhe als Pilotkommunen erprobt. Er bietet insbesondere durch seine 24/7-Erreichbarkeit eine Verbesserung zur aktuellen Verfügbarkeit montags bis freitags von 8 Uhr bis 18 Uhr. Mit dem Sprachdialogsystem (SDS) können Nutzende über das Telefon zu den gesuchten Online-Diensten geleitet werden. Vorausgewählte Antwortoptionen können entweder über die Ziffern oder eine Sprachansage beantwortet werden. Falls das SDS keine ausreichenden Informationen liefert, wird der Anfragende an das Service Center weitergeleitet.

Der Chatbot wurde bereits Anfang 2021 als Pilotprojekt in den Kommunen Leipzig, Hamburg und Karlsruhe getestet. Der Prototyp mit Anbindung an die Wissensplattform 115 ist seit Juni 2022 verfügbar. Inwieweit er in der Zwischenzeit genutzt wird, ist unklar.
© 115.de

Durch diese Prozessautomatisierung werden Standardfragen abgedeckt, folglich kann sich der persönliche Kundenkontakt auf individuelle und herausfordernde Fragestellungen konzentrieren. Eine Überlegung wäre daher, Mitarbeitende des Servicecenters auf bestimmte Online-Dienste zu spezialisieren, um somit auch spezifischere Fragen beantworten zu können. Eine schnellere Abwicklung von Supportanfragen könnte bspw. zu einer höheren Kundenzufriedenheit führen. 

Es ist jedoch nicht geplant ein spezifisches Servicecenter für Online-Dienste zu etablieren, welches tiefergehende Fragen zu den Online-Diensten beantworten kann. Fragen bspw. zur Befüllung von Formularen müssen an den Second-Level-Support weitergeleitet werden.  Strukturen zur Ausleitung von offenen Tickets als E-Mail und über Schnittstellen an externe Ticketsysteme sind in Planung. Wie diese Schnittstelle genau aussieht, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht bekannt. Zu befürchten ist, dass die 115 aufgrund von Landes- und IT-Betreiber-spezifischen Ticketsystemen auf eine heterogene Landschaft stößt.

Die Nutzung der 115 ist für Länder nicht verpflichtend, für einige Notfälle wie für den Einsatz von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr gibt es bereits etablierte Telefonnummern zur Soforthilfe. Es wird wohl der individuellen Entscheidung obliegen, ob die 115 als Service-Desk genügend Vorteile bringt oder doch ein Online-Dienst-spezifischer SPOC adäquat erscheint. Schlussendlich wird der Vor-Ort-Service in den Behörden ggf. geringer ausfallen, eine völlige Auflösung der analogen Beantragung von Leistungen und der damit verbundenen Supportstrukturen, sind im OZG-Kontext nicht angedacht. 

Mein Fazit

Exklusiv: EfA als digitaler Marktplatz - Webinar Präsentation

Auf den ersten Blick scheinen die EfA-Mindestanforderungen viele wichtige Aspekte im Bereich Support und Betrieb abzudecken, ohne das Korsett zu eng zu schnüren. Trotzdem fehlen in den Mindestanforderungen weiterhin wichtige Inhalte, wie beispielsweise Standards für Datenschutz und IT-Sicherheit. Es ist wohl abzuwarten, wie sich die EfA-Mindestanforderungen an den Betrieb in der Praxis etablieren.

Laut OZG-Informationsplattform sind nur knapp 130 Online-Services zum aktuellen Zeitpunkt verfügbar. 15 Online-Services sind in drei oder mehr Ländern ausgerollt. Auf dem Marktplatz für EfA-Leistungen werden derzeit 47 EfA-Leistungen durch den Anbieter FITKO und 28 EfA-Leistungen über den Anbieter govdigital angeboten. Der Weg zu einer flächendeckenden Nutzung ist also (noch) weit. Die EfA-Mindestanforderungen an den Betrieb sind derzeit Richtlinienempfehlungen. Die AL-Runde hat im Jahr 2024 die Aufgabe, eine Evaluation der Mindestanforderungen durchzuführen. Bei einem positiven Ergebnis werden diese ab dem Jahr 2025 verpflichtend. Fraglich ist dann jedoch, wie hoch die Durchsetzungskompetenz der AL-Runde sein wird, ohne Zusicherung von Konjunkturmitteln für die Umsetzung im EfA-Kontext.

Einige abschließende Handlungsempfehlungen:

  • Umsetzungsverantwortliche von OZG-Leistungen sollten sich frühzeitig mit den neuen Anforderungen vertraut machen und sie im Kontext Ihres Online-Dienstes auf die Probe stellen. Im ersten Schritt sollten die bestehenden Strukturen analysiert und diese im zweiten Schritt mit den Anforderungen abglichen werden. Welche Rollen und Aufgaben werden bereits vollumfänglich umgesetzt und wo gibt es ggf. noch Entwicklungsbedarfe?
  • Können die Entwicklungsbedarfe im Bereich Betrieb und Support nach den Vorgaben der EfA-Mindestanforderungen umgesetzt werden? Ergebnisse der Analyse sollten als Feedback direkt an die AG RaBe-EfA übermittelt werden. Wichtig ist, eine hohe Partizipation bei der Evaluation der Anforderungen zu erreichen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die verpflichtenden Attribute für alle Online-Dienste umsetzbar sind.
  • Wichtig ist überdies, landesspezifische Informationen einzuholen. Recherchieren Sie, ob das betroffene Land oder Kommune durch die 115 vertreten wird, und nehmen Sie Kontakt zum Verantwortlichen der Behördennummer 115 auf. Die Teilnehmer sind auf der Webseite der 115 aufgelistet.