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Es braucht eine echte Digitalisierung der Justiz

Interview mit Stefanie Otte, Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle

Eine echte Digitalisierung in der Justiz. Das ist die Forderung von Stefanie Otte, Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle. Im Zuge des 1. Digital Justice Summits sprachen wir mit ihr über eine erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung in der Justiz. Klar ist: Vieles ist schon passiert, aber einiges muss noch getan werden.

VdZ: Sehr geehrte Frau Otte, können Sie kurz sich und Ihre Aufgaben beschreiben?

© Stefanie Otte / Oberlandesgericht Celle

Stefanie Otte: Der Bezirk des Oberlandesgerichts Celle umfasst neben dem Oberlandesgericht 47 Amts- und Landgerichte, an denen etwa 800 Richterinnen und Richter sowie über 4.000 weitere Beschäftigte tätig sind. Zu meinen Hauptaufgaben als Präsidentin gehört es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass diese Gerichte unabhängig, auf hohem fachlichen Niveau und zugleich bürgernah Recht sprechen können. Zu diesem Zweck führe ich im Oberlandesgericht eine Verwaltungsabteilung, die unter anderem die Bereiche Personal, Haushalt, Organisation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Konfliktmanagement- und Mediation umfasst. Gemeinsam mit den Gerichtsleitungen des Bezirks arbeiten wir an verschiedenen Schwerpunktthemen wie etwa der Digitalisierung der Gerichte, der Qualität gerichtlicher Entscheidungen oder der Frage, wie die Justiz noch transparenter und bürgernäher werden kann. Neben meiner Tätigkeit als Führungskraft in der Justizverwaltung bin ich – was mir sehr wichtig ist – weiterhin als Richterin tätig: Am Oberlandesgericht leite ich einen Zivilsenat und gehöre zudem als ständiges Mitglied dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof an.

 

VdZ: Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung der Justiz aus Ihrer Sicht und welche Herausforderungen kommen hier auf die Gerichte zu?

 

Otte: Der nahezu ungebremste digitale Fortschritt hat die meisten Akteure des Rechtsmarkts bereits erreicht. Daraus sind vielfältige Legal Tech-Innovationen und neue anwaltliche Geschäftsmodelle entstanden, die den bevorstehenden drastischen Wandel der Zivilgerichtsbarkeit schon jetzt erahnen lassen. Diesen Umbruch gilt es aktiv zu gestalten. Nur so können wir weiterhin eine qualitativ hochwertige Rechtsprechung gewährleisten, die den sich wandelnden Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen – auch im internationalen Umfeld – gerecht wird.

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Den digitalen Umbruch gilt es aktiv zu gestalten.

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Voraussetzung hierfür ist eine echte Digitalisierung der Justiz, die über die bloße Abbildung hergebrachter Abläufe in elektronischer Form hinausgeht. Sie wird nur gelingen, wenn wir bereit sind, unsere Arbeitsweisen ebenso wie die Verfahrensordnungen grundlegend neu zu denken. Der Einsatz von KI-basierten Unterstützungs- und Assistenzsystemen an den Gerichten oder verbindliche Strukturierungsmöglichkeiten für den Parteivortrag sind nur erste (wenn auch wichtige) Schritte in diese Richtung. Ebenso dringend bedarf es „nach außen“ gerichteter Neuerungen wie etwa der Etablierung von digitalen Rechtsantragstellen oder eines Online-Klageverfahrens. Ein umfassender Transformationsprozess kann aus diesen Einzelansätzen aber nur entstehen, wenn wir sie mit der Vision eines „Digitalen Rechtsstaats“ untermauern. Hierfür brauchen wir noch weitere, mutige Ideen, die das Potential der neuen Technologien voll ausnutzen und in eine moderne und bürgernahe Justiz passen.

 

VdZ: Denken Sie, ein Digitalpakt ist der richtige Schritt in eine digitalisierte Justiz oder reicht das noch nicht aus?

 

Otte: Wie gesagt halte ich es für zwingend, dass wir der weiteren digitalen Entwicklung nicht von der Seitenlinie zuschauen, sondern sie aktiv gestalten und Ideen dazu entwickeln, wie der Zivilprozess in unserem digitalen Zeitalter aussehen soll. Diese Vision müssen wir engagiert umsetzen, was neben den bereits angesprochenen Anpassungen der Verfahrensordnungen auch erhebliche finanzielle Investitionen erfordert. Vor diesem Hintergrund braucht die Justiz ein schlagkräftiges Finanzierungspaket von Bund und Ländern. Dabei geht es meiner Überzeugung nach nicht um ein bloßes „nice to have“, sondern vielmehr darum, die dritte Gewalt in Deutschland zukunftsfest zu machen.

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Wichtig ist, dass wir weiter im Gespräch bleiben und Seite an Seite zusammenarbeiten.

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VdZ: Fühlen sich die Gerichte manchmal von der Politik beim Thema Digitalisierung alleingelassen?

 

Otte: Nein, alleingelassen fühlen wir uns nicht. Nach meinem Eindruck hat die Politik verstanden, welcher Stellenwert der Digitalisierung für die Arbeit der Gerichte zukommt. Wichtig ist, dass wir weiter im Gespräch bleiben und Seite an Seite zusammenarbeiten. Die vor uns liegenden Herausforderungen können wir nur gemeinsam bewältigen und brauchen dafür das Know-How aus den Gerichten ebenso wie eine Justizpolitik, die erkennt, welche personellen, organisatorischen und finanziellen Erfordernisse mit dem bevorstehenden Wandel einhergehen.

 

VdZ: Sie haben in der Politik gearbeitet und jetzt arbeiten Sie in der Justiz, was kann man voneinander lernen?

 

Otte: Um beim Thema Digitalisierung zu bleiben: Hier ist es einerseits die Aufgabe der Justiz, der Politik die Anforderungen und Bedürfnisse der gerichtlichen Praxis zu vermitteln. Zugleich sollten wir uns aber nicht zu sehr auf die justizinternen Abläufe fokussieren, sondern den Blick – gemeinsam mit der Politik – auch auf unser Umfeld und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft richten. Diese erwarten von den Gerichten mit Recht transparente, zügige Lösungen und eine gute Erreichbarkeit. Es braucht dringend Fortschritte, für die wir uns mit allen Akteuren austauschen und voneinander lernen müssen. Im Ergebnis ist jede staatliche Institution auf Akzeptanz von außen angewiesen - die Justiz bildet da keine Ausnahme!