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„Haft trotz Unschuldsvermutung! Skandal! Oder doch nicht?“

Spätestens seit dem sich Ordnungsämter, Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Strafgerichte immer intensiver mit dem munteren Treiben der sogenannten „Klimatreiber“ auf unseren Straßen, Plätzen und gelegentlich auch auf Flughäfen beschäftigen müssen, ist das Thema „Unterbindungsgewahrsam“ wieder einmal aktuell.

Unterbindungsgewahrsam
 

Zwar erlangt dieser Begriff regelmäßig dann Popularität, wenn ein Bundesland an einem (neuen) Polizeigesetz arbeitet. Dann geht es immer um die Fragen, ob überhaupt und wenn ja, wie lange? Aber in der polizeilichen Praxis findet das Instrument eher spärlich Anwendung - und wenn, dann allenfalls nur für relativ kurze Zeit. So wurde auch 2017 in Bayern kritisiert, die dortigen Pläne zur „Vorbeugehaft“ seien unverhältnismäßig und in NRW sollte eine deutliche verlängerte Gewahrsamsdauer gar zum „Freifahrtschein für Polizeiwillkür“ werden…

Besonders interessant wird es, wenn ernsthaft(?) die Ansicht vertreten wird, dass der Unterbindungsgewahrsam schon deshalb verfassungswidrig sein müsse, weil dadurch die strafprozessuale Unschuldsvermutung faktisch außer Kraft gesetzt würde. Wenn das richtig wäre, müsste auch eine U-Haft gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, denn in beiden Fällen liegt ja dem Freiheitsentzug keine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung zugrunde. Spätestens an dieser Stelle merken wir, dass diese Argumentation nicht richtig sein kann.

Sogar europarechtlich, in der Europäischen Menschenrechtskonvention, ist geregelt, dass „jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gilt.“ Also: Keine Vor-Verurteilung! Das allerdings schließt U-Haft, beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, nicht aus, denn sie dient ja gerade dazu, die strafrechtliche Hauptverhandlung ordnungsgemäß durchführen zu können. Anders formuliert: Haft trotz Unschuldsvermutung!
 

Unschuldsvermutung
 

Der „Unterbindungsgewahrsam“ ist demgegenüber keine strafprozessuale Maßnahme - sondern eine polizeiliche. Sie dient nicht der Strafverfolgung, sondern der Prävention, der Verhinderung von Straftaten beziehungsweise der Gefahrenabwehr. Beispiel § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW: „Präventivgewahrsam kommt in Betracht, wenn er unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.“ Beispiel: Der frisch vom Asphalt abgelöste und fachmännisch abtransportierte Klimakleber erklärt nach seiner Einvernahme fröhlich, sobald er wieder draußen sei, würde er sich erneut an irgendeiner Straße festkleben, um den Verkehr zu blockieren. Gibt es nicht? Doch, gibt es! Diese Fälle waren ja auch der Grund für die Vollstreckung des Unterbindungsgewahrsams in Bayern, auch bislang ohne rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung. Aber es müssen ja nicht nur und immer Klimademonstranten sein.

Wenn morgens um 3 Uhr, vor einem Juwelierladen, eine vermummte Person mit Sack und Vorschlaghammer erscheint, aber ein „unmittelbares Ansetzen zur Tat“ noch nicht begonnen hat, ist dennoch polizeiliches Einschreiten dringend geboten! Irgendwie ahnt hier auch ein Nicht-Jurist, dass unserem Möchtegernräuber die Unschuldsvermutung nicht so richtig helfen würde, jedenfalls nicht vor vorläufiger Festnahme, Feststellung der Personalien usw. Und wenn unser nächtlicher Preziosensammler mit inakzeptabler Haltung zu fremdem Eigentum dann auch noch erklären würde, dass ihn all das von weiteren Taten nicht abhalte, dann kommt der Unterbindungsgewahrsam ins Spiel. Unschuldsvermutung hin, Unschuldsvermutung her.

Deren Dauer ist indes in unserem realen existierenden Föderalismus höchst unterschiedlich geregelt. Von Berlin (zwei Tage) bis Bayern (maximal zwei Monate). Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen liegen da ziemlich in der Mitte. An Vielfalt der Regelungen ist kein Mangel.