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„Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen! Oder doch?“

Seitdem Klimakleber:*_innen schwerpunktmäßig in Berlin und München, aber auch an anderen Orten im In- und Ausland, mittels Blockaden von Hauptverkehrsstraßen, alternativ auch Start- und Landebahnen an Großflughäfen, Lebensmittelwürfen auf weltberühmte Kunstwerke oder die Kürzung von Weihnachtsbäumen am Brandenburger Tor den untauglichen Versuch unternehmen, den Klimawandel aufzuhalten und die Politik zu bestimmten Entscheidungen zu nötigen (was eben so wenig zum Erfolg führen wird), stellen sich bei Verkehrsblockaden immer mehr Menschen die ebenso schlichte wie naheliegende Frage: „Warum eigentlich zur Beseitigung der Störung auf die Polizei warten? Da werde ich doch wohl selber zur Tat schreiten dürfen, oder?“.

Denn: Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen! Sollte man meinen. Aber Sie ahnen schon, dass das nicht ganz so einfach ist, zumal es sich in Fällen wie diesen mittlerweile eingebürgert hat, dass juristische und politische Argumente fließend ineinander übergehen - je nach politischem Standpunkt.

Das beginnt schon bei der Bewertung derartiger Aktionen. Die Spannweite reicht von „glasklare Rechtsbrüche“ über „ziviler Ungehorsam“ bis hin zu „legitimer Notwehr“. Wohlgemerkt: Mit „Notwehr“ ist an dieser Stelle die Blockade gemeint, nicht deren Beseitigung! Ein Scherz? Nein, es gibt tatsächlich nicht wenige, die so argumentieren. Zwar würde man die grotesken Ansichten und Aktionen von sogenannten „Reichsbürgern“ nie und nimmer mit dem Etikett „ziviler Ungehorsam“ versehen, sondern (zu Recht) immer als rechtswidrig und gefährlich kritisieren, aber es kommt halt immer auf die politische Perspektive an. Bei konsequentem Einschreiten gegen Rechtsbrüche von „rechts“ wird die öffentliche und vor allem die veröffentlichte Meinung immer Beifall spenden, bei Rechtsbrüchen von „links“ eröffnet sich sofort ein ganz breites Meinungsspektrum.
 

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Einfach die an der Weiterfahrt gehinderten Fahrzeuge verlassen und die am Asphalt festgeklebten Aktivist:*_innen von der Straße zerren mag ein verständlicher erster Impuls sein; juristisch ist die Sache jedoch keineswegs so unkompliziert, wie sie erscheinen mag. Durchaus möglich, dass der rustikal zur Selbsthilfe schreitende Kraftfahrer am Ende mehr Probleme bekommt als derjenige, der die Straße rechtswidrig blockiert hat. Zugegeben, das alles ist rechtlich umstritten und längst noch nicht zweifelsfrei geklärt – aber sicher ist, dass es (auch) bei der Notwehr Grenzen gibt.

So muss jede Notwehrhandlung „geeignet“ und „erforderlich“ sein und es soll auch eine Verhältnismäßigkeit zwischen Angriff und Abwehr vorliegen, wobei allerdings eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grds. nicht stattfindet. Aber schon das Kürzel grundsätzlich zeigt, dass es auch Ausnahmen von dieser Regel geben kann. Gibt es für den Angegriffenen mehrere Handlungsalternativen, sollte dieser das für den Angreifer mildere Mittel wählen.

Ob überhaupt eine Notwehrhandlung „geboten“ ist, soll auch sozial-ethischen Einschränkungen unterliegen. Die Verteidigung soll dann nicht geboten sein, „wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutverletzung oder eine eingeschränkte oder risikoreichere Verteidigung zu verlangen ist.“ So jedenfalls Teile der juristischen Literatur.
 

Fazit
 

Dass das Recht dem Unrecht nicht weichen muss, ist eine gängige, nachvollziehbare und verständliche Ansicht - aber was nun im konkreten Fall „Recht“ und was „Unrecht“ ist, hängt - leider - nicht nur von einer rein juristischen Betrachtung ab.