Deutsche Bahn
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Die Bahn kann digitalisieren - Warum kann es die Verwaltung nicht?

Der Ruf der Deutschen Bahn AG mag nicht der Beste sein. Viele Kunden wissen unerfreuliche eigene Erfahrungen über die Bahn zu berichten, aber man muss auch konstatieren, dass sie in den letzten Jahren Fortschritte zumindest bei der Digitalisierung gemacht hat: Die DB Navigator App und ihre Schwesterapp für Vielfahrer, die BahnBonus App, haben es geschafft, das Ticketing und damit verwandte Bereiche signifikant und funktionierend zu digitalisieren. Der Autor ist häufiger Bahnpassagier, überwiegend als Pendler zwischen München und Ludwigsburg. Und somit auch regelmäßiger und dabei durchaus kritischer Nutzer beider Apps.

Wie digitalisiert man richtig?

Digitalisierung betrifft Kernprozesse. Wer digitalisiert, sollte nicht mit betrieblichen Randfunktionen beginnen, sondern mit dem Massengeschäft, dem Kerngeschäft. In den 1960ern und 1970ern wurde zunächst das Massengeschäft digitalisiert, repetitive Prozesse mit hohen Fallzahlen. Vorzugsweise Prozesse mit vergleichsweise geringer Komplexität – also genau das Gegenteil von dem, was die Verwaltung unter Digitalisierung versteht. Sieht man auf die berühmten 575 Maßnahmenbündel des OZG, so beinhalten diese Prozesse wie bspw. die Blindenhilfe, die das genaue Gegenteil von digitalisierungsgeeignet ist: hochkomplex (Stichwort Anlagen, Barrierefreiheit), selten vorkommend (wie Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg in einer detaillierten Analyse gezeigt haben) und da verwundert es niemanden, dass in der Leistungsbeschreibung der FITKO Begriffe wie „Braille“, „Fallzahlen“ u.dgl. völlig fehlen.

Somit hat die DB AG mit der DB Navigator App die richtigen Prozesse digitalisiert, nämlich solche mit

  • Hohen Fallzahlen, allein 140,3 Mio. Passagiere im Fernverkehr jährlich
  • Hohem Rationalisierungspotenzial, 5.482 Fahrkartenautomaten sowie eine unbekannte Zahl von Fahrkartenschaltern samt Personal auf allen 5.697 Personenbahnhöfen
  • Hoher Verfügbarkeit der notwendigen Geräte (Smartphones) bei den Kunden
  • Mehrwert für den Kunden erzeugbar (Entfall Ticketkontrolle durch Selbst-Check-In, Ticketkauf genau zum Zeitpunkt, automatische Gutschrift von BahnBonus-Punkten uvm.)

Analog verlief in den letzten Jahren die Digitalisierung bei McDonald’s: Die App und die Bestellterminals mit Touch-Screen sind ebenfalls auf die Kernprozesse fokussiert und das Rationalisierungspotenzial scheint, wenn man von den sehr hohen Download- bzw. Bewertungszahlen der App für die deutschen Filialen bei  Apple (633.788 Bewertungen) bzw. Google (über 10 Mio. Downloads, 293.000 Rezensionen) auf die tatsächlich aktiven Installationen schließen kann, ausgeschöpft zu werden.

BahnBonus: Diskriminierung durch Digitalisierung?
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BahnBonus: Diskriminierung durch Digitalisierung?

Was die Verwaltung von der DB AG in Bezug auf Digitalisierung lernen kann

Warum eine App?

Apps sind äußerst verbreitet, auch an primären, sekundären und tertiären Bildungseinrichtungen in Deutschland. Die Verbreitung von Smartphones in der Bevölkerung ist sehr hoch, zurzeit 68,1 Millionen. Der Markt besteht de facto aus zwei großen Marken, dazu zwei mit weitem Abstand dominierende Betriebssysteme. Berücksichtigt man die Verteilung der Betriebssystemversionen bei Android bzw. bei iOS, so kann man doch große, sehr große Teile der potenziellen Kunden erreichen. Natürlich gibt es ein Diskriminierungsthema, der Besitz eines bestimmten Smartphones mit einer bestimmten Betriebssystemmindestversion stellt eine technische und ökonomische Barriere dar – allerdings braucht es keine 100-prozentige Lösung, sondern eine Lösung, die folgende Anforderungen erfüllt:

  • Ein signifikant großer Teil des Rationalisierungspotenzials muss realisiert werden können
  • und es dürfen keine Kunden „vertrieben“ werden, d.h. es muss für diese eine andere Lösung, d.h. einen anderen Zugangsweg geben. Best practice ist hier die private österreichische Westbahn, die Tickets neben dem Online-Vertriebskanal auch über die österreichischen Tabaktrafiken vertreibt, von denen bundesweit ca. fünftausend existieren.

Welche Prozesse unterstützt die DB Navigator App und die BahnBonus App?

Die Kernfunktionen, welche die DB Navigator App digitalisiert, sind:

  • Buchung von Tickets und Sitzplatzreservierungen für den DB Fernverkehr sowie von Tickets des ÖPNV für andere Verbünde: Damit entfallen neben Schalterpersonalkosten auch die Betriebskosten (überzähliger) Fahrkartenautomaten und dergleichen auch Kostenblöcke wie Papierkosten, Personalkosten für Verkauf im Zug und im Gegenteil, der Vertrieb von Tickets für andere Verbünde bringt vermutlich mehr als nur Provision ein – in den meisten Verbünden bleiben die Fahrgeldeinnahmen vollständig beim Ticketverkäufer.
  • Kosten der Fahrscheinkontrolle, sofern die Passagiere selbst einchecken – und sich damit die Kontrolle ersparen, der Zugsbegleiter sieht, ob der Passagier auf z. B. Sitz 37 im Wagen 7 eingecheckt ist und ein gültiges Ticket hat, ohne ihn anzusprechen.
  • Personal(vorhalte)kosten für Fragen, die mit der DB Navigator App selbst beantwortet werden, wie z. B. Zugreihung, Verspätung  und dergleichen.
  • Kosten des Handlings von Verspätungsentschädigungen, die App bietet das in Selbstbedienung an – der eigenen Erfahrung des Autors nach funktioniert das auch.

Daneben fallen bei dieser App Daten an, die für die DB wertvoll sind. Jedenfalls wertvoller als anonyme, aus einem Automaten oder am Schalter gekaufte Fahrkarten. So sind – ggf. datenschutzkonform ausgestaltbar – Kundenprofile möglich und Optimierungen von Angeboten auf Basis dieser Daten. Welche Ineffizienzen auftreten, wenn ein Verkehrsunternehmen keine Ahnung hat, wie seine Passagiere fahren und mit welchen Tickets, lässt sich täglich vielfach in Deutschlands ÖPNV beobachten. Die aktuelle Diskussion um das Deutschlandticket zeigt, dass die von den Verkehrsverbünden und –unternehmen behaupteten „Kosten“ unreflektiert von der Politik akzeptiert werden.

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Das Ticketing im deutschen ÖPNV ist weder zeitgemäß noch zukunftsfähig

Nun zur zweiten App, BahnBonus. Diese bietet Vielfahrern die Möglichkeit, Punkte zu sammeln und einzulösen. Bestimmte Statusvorteile wie der Zugang zu DB Lounges sind nur mit dieser App möglich. Die zwei Apps sind so miteinander verbunden, dass die Gutschrift fast in Echtzeit erfolgt. Ein Wermutstropfen ist hierbei sicherlich, dass die App nur ab iOS 15.0 funktioniert; das ist eine kaum dreieinhalb Jahre alte Version des iOS, wobei es sicherlich noch Nutzer gibt, die Smartphones mit älteren Versionen nutzen.

Nach Auskunft der Pressesprecherin der DB AG Personenfernverkehr werden ca. 84 % aller Fernverkehrstickets digital verkauft, d.h. über bahn.de oder über die DB Navigator App. Vor 10 Jahren waren es noch 51 %. Es gibt aktuell 5,5 Mio. Teilnehmer bei BahnBonus, wobei die App monatlich ca. 1,7 Mio. Visits aufweist.

Natürlich ist sie, wie jede Software, nicht völlig fehlerfrei bzw. es gibt immer Grund, neue Versionen und Releases zu erstellen. Aber grosso modo funktioniert sie zufriedenstellend, mein persönliches Urteil: gut – sonst hätte sie ähnlich wenig Nutzer und Transaktionen wie die meisten Verwaltungsapps.

Und die Verwaltung?

Kommunale Apps und Apps der Verwaltung sind einerseits selten, andererseits bieten sie auch kaum Funktionen an, die eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Prozessen bieten. Die allermeisten Apps erleiden ein Schicksal wie die FFM.de App von Frankfurt/Main, die eine Bürgerbeteiligungsapp sein soll. Etwa 5.000 Downloads, 34 Rezensionen und die letzte Aktualisierung am 21.12.2022 sprechen eine klare Sprache. 24 Bewertungen im iStore ebenso. Auch der Bundeshauptstadt geht es nicht besser: Ordnungsamt-Online kommt im iStore auf 234 Bewertungen, im GooglePlay Store auf 708 Rezensionen und etwa über 50.000 Downloads sowie die letzte Aktualisierung vor ca. einem Jahr.

Woran liegt es? Nun, vermutlich an vier Dingen:

  1. Da es keine verbreitete eID gibt, welche für eine App nutzbar wäre, bleibt der Nutzer anonym. Auch die DB AG hätte mit ihrem DB Navigator keinen Erfolg, wenn der Kunde sich nicht identifizieren und v.a. bezahlen könnte. Ohne verbreitete, sichere und akzeptierte eID gibt es kein e-Government. Auch nicht in der Welt der Apps.
  2. Es gibt keine Ende-zu-Ende digitalisierten Verwaltungsprozesse, sondern permanente Medienbrüche. Amazon hätte für seine Amazon Shopping App nicht über 500 Mio. Downloads, wenn zwischendurch verlangt würde, man müsse bestimmte Nachweise auf Papier in den Amazonladen bringen oder Bestellformulare ausdrucken und unterschreiben.
  3. Die Verwaltung bietet keine Digitalisierung des Kerngeschäfts, sondern die vorhandenen Apps fokussieren auf Nebenkriegsschauplätze. Nichts gegen die Berliner Ordnungsverwaltung, aber Lärmbelästigungen oder Müllablagerungen interessieren nur wenige, speziell interessierte Personen. Bürgerbeteiligung mobilisiert, wie empirisch hinreichend belegt, kaum nennenswert große Personengruppen. Und Apps wie die mit Steuergeld bezahlte Berliner Weihnachtsmarkt-App sind nicht mal in Berlin Kerngeschäft der Verwaltung – das ist hingegen die Ausstellung von Geburtsurkunden, bei dem in vielen Gemeinden mittlerweile Verwaltungsversagen festgestellt werden muss, bspw. in Frankfurt/Oder oder in der Bundesstadt Bonn. Auch die Wartezeiten in Mannheim sind aus Bürgersicht inakzeptabel.
  4. Kein Mensch möchte verschiedene Apps für die gleiche Sache haben. So, wie in Österreich trotz neun Bundesländern und 2.093 Gemeinden nur eine einzige App, „Digitales Amt“ existiert und über eine Million Downloads allein bei GooglePlay Store hat, so darf es auch in Deutschland nur eine einzige App geben.

Die vielgescholtene Deutsche Bahn AG macht es vor: Sie hat in den letzten Jahren ihre DB Navigator App zu Verbreitung und nennenswerter Nutzung gebracht, ebenso die BahnBonus App für Vielfahrer. Warum schafft es die Verwaltung nicht, eine einzige, einfach zu bedienende und sichere Verwaltungsapp wie „Digitales Amt“ in Österreich auch in Deutschland anzubieten?