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„Ohne Beteiligung sinkt immer die Akzeptanz“

"Mitnehmen" reicht nicht: Digitalprojekte brauchen überzeugte Bürger und deren Netzwerke / Interview

Bundesweit laufen unzählige Projekte zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Dabei fällt dem Einbezug und der Beteiligung von Bürgern und Stakeholdern eine immense Bedeutung zu, erklärt Thomas Höhn gegenüber Verwaltung der Zukunft. Der Organisationsberater und Scrum-Master spricht aus 30 Jahren Erfahrung bei der Modernisierung von Behörden und Unternehmen.
Auf der Grünen Woche: Thomas Höhn (2. v. links) zeigt dem schleswig-holsteinischen Digitalisierungsminister Jan Philipp Albrecht (l.) sowie dem Direktor (2. v. r.) und dem Vorsteher (r.) des Amts Hüttener Berge eine Online-Lösung.
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Verwaltung der Zukunft: Es wird viel über die Beteiligung von Bürgern gesprochen. Was aber macht dieses Moment bei kommunalen Digitalisierungsvorhaben aus?

Höhn: Bedarfsgerechte Konzepte und Lösungen sind grundsätzlich sehr wichtig bei kommunalen Projekten. Die Bedeutung nimmt bei digitalen Vorhaben allerdings noch einmal zu: Denn es geht darum, die Bürger nicht nur einfach „mitzunehmen“, sondern einzubeziehen und Ihnen die Möglichkeit zu geben, zu aktiven Mitgliedern der künftigen Entwicklung ihrer Heimat zu werden. Nur wenn die Bürger vor Ort Projekte zu „ihrer Baustelle“ machen, aktivieren sie auch ihre Netzwerke und sorgen für den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung.

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Nur wenn die Bürger vor Ort Projekte zu „ihrer Baustelle“ machen, aktivieren sie auch ihre Netzwerke und sorgen für den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung.

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VdZ: Das heißt, der Funke muss durchaus auch von der digitalen Welt wieder überspringen in das ganz praktische Leben vieler Leute zu Hause...

Höhn:  „Digitale Baustellen“ sind nicht immer so einfach zu fassen wie vielleicht die Baustelle vor der Haustür zur Ausbesserung der Landstraße. Deshalb gilt es umso mehr, auch „sehr analog“ dafür zu werben, um möglichst viele Menschen als Stakeholder einzubeziehen und ihnen die Dinge zu erklären. Das wird mittlerweile auch in vielen Ministerien erkannt.

VdZ: Wie sind die beiden Ansätze „Top down“ und „Bottom-up“ bestmöglich miteinander zu verknüpfen?

Höhn: Bei Digitalprojekten, die vor Ort umgesetzt werden, braucht es möglichst Leitplanken bzw. Handlungsempfehlungen von „top down“. Kommunen können sich daran erst einmal einfach und grundsätzlich orientieren. Multiplikatoren, wie die Kommunalverbände, helfen dabei, Impulse in die Kommunalpolitik und -verwaltung zu tragen. Eine zentrale Rolle spielen dann auch die IT-Dienstleister – sie sind in der Lage, vieles von „oben“ und „unten“ in der digitalen Umsetzung zusammenzubringen.

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Begeisterung für ein Vorhaben ist der springende Punkt, der den Unterschied machen kann – das habe ich schon oft erlebt!  

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Im Vergleich zum „übergeordneten“ Management sind Bottom-Ansätze nicht universell auszuarbeiten. Es braucht individuelle Konzepte. Der Ausgangspunkt einzelner Kommunen gleicht in Punkten wie Struktur, Finanzkraft oder Traditionen kaum einer anderen. Und dann ist da die Begeisterungsfähigkeit: Begeisterung für ein Vorhaben ist der springende Punkt, der den Unterschied machen kann – das habe ich schon oft erlebt! Selbst wenn andere Faktoren für ein Projekt nicht stimmen, kann Begeisterung einiges wettmachen. Das gilt übrigens auch für verwaltungsinterne Projekte.

Es gilt, Bürger bei Digitalprojekten bestmöglich zu beteiligen, damit sie ihre "eigene Baustelle" daraus machen und ihr Netzwerk mobilisieren.
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VdZ: Und Begeisterung steht in einem engem Verhältnis zu „Mitmachen“?

Höhn: Wenn wir die Menschen in ihrer Kommunen mitmachen und gestalten lassen, ja, dann kommt viel eher Begeisterung für die Sache auf. Wir sprechen hier natürlich in erster Linie von Vorhaben, die ohnehin einen Mehrwert für die Gesellschaft erzielen soll. Trotzdem: Selbst wenn von positiven Dingen auszugehen ist, und selbst wenn manche Entscheidungen gar nicht vor Ort zu entscheiden sind,  empfiehlt es sich immer, Kommunalpolitik und Bürger nicht einfach außen vor zu lassen. So trivial diese Botschaft auch erscheint, so viele Male man sie gehört hat, so oft wird es wieder vergessen: Ohne Beteiligung sinkt immer die Akzeptanz!  

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So trivial diese Botschaft auch erscheint, so viele Male man sie gehört hat, so oft wird es wieder vergessen: Ohne Beteiligung sinkt immer die Akzeptanz!  

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VdZ: Nun gibt es landauf, landab enorm viele Ansätze Verwaltungsverfahren und Bürger-Dienste zu digitalisieren: Wie ist all diese „Vorarbeit“ vor dem Hintergrund des seit 2018 gültigen Onlinezugangsgesetzes (OZG) zu sehen? Erwarten Sie Reibungsverluste?

Höhn: Das OZG hat in den letzten ein, zwei Jahren sicherlich viel Schwung in die Debatte rundum die Digitalisierung des öffentlichen Sektors gebracht. Aber vielleicht das vorweg: Es ist oft schon sehr schwierig, die vorhandenen, oft Dutzenden oder gar über 100 unterschiedlich alte IT-Lösungen innerhalb eines einzelnen Ministeriums auf einen Stand zu bringen. Und wir sprechen dabei nur über ein einzelnes Ressort, in dem eine Linienorganisation klare Hierarchie- und Zuständigkeitsgefüge vorgibt.

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Es ist oft schon sehr schwierig, die vorhandenen, oft Dutzenden oder gar über 100 unterschiedlich alte IT-Lösungen innerhalb eines einzelnen Ministeriums auf einen Stand zu bringen.

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Nun verpflichtet das OZG Bund, Länder und Kommunen dazu, die bekannten 575 Verwaltungsleistungen gemeinsam zu digitalisieren und für den Bürger online anzubieten. Diese Aufgabe ist in einem Föderalstaat wie der Bundesrepublik kaum zu überblicken und kaum zu überschätzen. Selbst innerhalb einzelner Bundesländer ist das eine Riesenherausforderung: In Schleswig-Holstein müssen wir z. B. mehr als 1.000 Kommunen „unter einen Hut“ bekommen, um möglichst einheitliche Lösungen zu finden.

VdZ: Was wird also dabei herauskommen?

Höhn: Ich glaube, dass wir am Ende viele verschiedene Lösungen haben werden. Zu rund 80 Prozent geht es bei den OZG-Prozessen um kommunale Verfahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich unter den Kommunen im Zusammenspiel mit den Ländern tatsächlich auf komplett durchgängige Standards einigt. Dafür ist der Status quo der IT-Landschaft schlicht zu heterogen und deshalb das Ziel bestenfalls näherungsweise zu erreichen. Bei mehr als 11.000 Kommunen deutschlandweit wird es in bestimmten Fällen sicherlich Dutzende verschiedene Lösungen geben.

Relativ einfach zu schaffen: Die Hürde, um einen Verwaltungsprozess wie die Hundesteuer zu digitalisieren, liegt recht niedrig - bundesweit könnte es deshalb Dutzende Lösungen geben.
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Bei mehr als 11.000 Kommunen deutschlandweit wird es in bestimmten Fällen sicherlich Dutzende verschiedene Lösungen geben.

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VdZ: Sprechen wir denn beim OZG zuvorderst über eine technische Frage? 

Höhn: IT-Lösungen müssen natürlich gewissen technischen Anforderungen genügen und je nach Art mit den Fachverfahren der Kommune kompatibel sein. Preis und Qualität spielen gewiss auch eine Rolle. Bei der OZG-Umsetzung dreht es sich aufgrund der übergreifenden organisatorischen Komponente zusätzlich um föderale Befindlichkeiten – am besten möchten alle gefragt und niemand übergangen werden. Das oben beschriebene Prinzip für erfolgreiche kommunale Einzelprojekte gerät in diesem großen Rahmen stark an seine Grenzen.       

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Im Vergleich zu früheren Versuchen „großer Würfe“ findet heute parallel eine Umbruchphase des Arbeitens statt.

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VdZ: Sie sprachen von einem neuem „Schwung“: Selbst wenn die „Staatsdigitalisierung“ nicht genauso schnell ablaufen sollte wie vorgesehen – welche positiven Aspekte beobachten Sie konkret?

Höhn: Im Vergleich zu früheren Versuchen „großer Würfe“ findet heute parallel eine Umbruchphase des Arbeitens statt. In meinen Augen stellen wir durch die Arbeit in „Living Labs“ bzw. „Reallaboren“ nun sicher, dass verschiedene Stakeholder – und vor allem Nutzer! – wirklich am Prozess beteiligt werden. Es geht vielmehr um „Usability“. Hinzu kommt, dass agile Software-Entwicklung nach „Scrum“-Methoden schnelle Ergebnisse zeitigt. Quasi im Wochenrhythmus werden Fortschritte genauso wie Irrwege sichtbar – man verläuft sich nicht jahrelang und kann schnell die Weichen neu stellen. Das hat es bei früheren staatlichen Digitalisierungsprogrammen so nicht gegeben.