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„Hilfe! Die Polizei wendet Gewalt an! Darf die das überhaupt!?“

Lützerath im Rheinischen Revier, Mitte Januar 2023

Bei der lange geplanten Großdemonstration gegen den geplanten Abbau von Braunkohle unter der (ehemaligen) Ortschaft Lützerath kommt es zwischen den Demonstranten und den ca. 3.300 eingesetzten Polizeikräften zu zahlreichen Zusammenstößen. Zwar agiert der überwiegende Teil der Protestler friedlich, es werden Transparente gezeigt, Fahnen geschwenkt und flammende Reden gehalten - aber...

...ein harter Kern gewaltbereiter Chaoten greift die Polizei massiv an. Mit multiplen Wurfgeschossen, Böllern und anderen beliebten Waffen. Es sei auch ein Polizeipferd mit Decken bewusst scheu gemacht worden, mit der Folge, dass das Tier unfreiwillig auf die Abbruchkante des Tagebaus zugaloppiert sei. Die Beamtin habe, unter dem Gejohle der Demonstranten, gerade noch abspringen und das Tier stoppen können - so NRW-Innenminister Herbert Reul.

Vor und während der Demo seien gut 500 Straftaten registriert worden. Auf der anderen Seite gab es massive Vorwürfe gegen (einzelne?) Polizeikräfte, die (unnötige) Gewalt angewendet und unverhältnismäßig hart agiert hätten. Reul räumte vor dem Innenausschuss des Landtages NRW ein, dass diesbezüglich gegen fünf Beamte ermittelt würde. Klar, dass Lützerath auch Tummelplatz vieler Medien war, die teilweise live vom Geschehen berichteten und im Großen und Ganzen auch ausgewogenen, wenn auch mit teilweise etwas überraschenden Überschriften. So zum Beispiel, dass die Polizei doch tatsächlich „gewaltsam“ gegen die Demonstranten vorginge, die dann ihrerseits zu „Opfern von Polizeigewalt“ würden.
 

Polizeigewalt
 

Der Begriff „Polizeigewalt“ ist zwar nicht per se falsch, allerdings dürfte es nicht wenige geben, die bei der Interpretation derartiger Begriffe fast automatisch das Wörtchen 'illegal(e)' mitdenken.  Exakt so, wie bei dem Wort 'Kompromiss' fast immer der unausgesprochene Zusatz 'faul(er)' mitschwingt. Aber ist es der Polizei denn tatsächlich erlaubt „Gewalt“ gegen Personen anzuwenden, nur weil diese polizeilichen Anordnungen nicht Folge leisten wollen? Ja, das darf sie - denn wie sollen Recht und Gesetz ansonsten durchgesetzt werden, wenn exakt das verhindert werden soll? Heißt das im Umkehrschluss „Freifahrtschein für Polizeigewalt“? Natürlich nicht!

Das wichtigste Einsatzmittel der Polizei ist - immer noch - das gesprochene Wort. Zunächst wird sie sich, auch im eigenen Interesse, immer darum bemühen, einen Rechtsbruch durch de-eskalierende Kommunikation zu beenden. Einen Störer davon zu überzeugen, dass es auch in seinem eigenen Sinne sei, die drohende Rechtsverletzung zu unterlassen. Funktioniert das nicht, kann sie beispielsweise einen sogenannten „Platzverweis“ aussprechen, mit der Aufforderung einen bestimmten Platz oder Raum zu verlassen. So werden auch die sogenannten Klimakleber regelmäßig zunächst aufgefordert, die Straße wieder zu räumen, was diese natürlich nicht freiwillig tun - sonst hätten sie sich dort ja gar nicht erst hingesetzt - oder schlicht nicht mehr können, weil der benutze Kleber von beeindruckender Qualität ist. Die Folgen sind dann zunächst das Loslösen des Klebers mit anschließendem Wegtragen der Demonstranten - was natürlich nur mit Entfaltung physischer Kraft geht - ja wie denn sonst?

Reicht der körperliche Einsatz nicht mehr aus, dann dürfen sogenannte Einsatzmittel zum Einsatz kommen, zum Selbstschutz, aber auch zur Vermeidung weiterer Rechtsbrüche: Handfessel, Schlagstöcke, Reizstoffsprühgeräte oder Wasserwerfer sind wohl gerade in turbulenten Demo-Geschehen die häufigsten.

Vor deren Einsatz lautet die entscheidende Frage: Ist der Einsatz des Mittels tatsächlich verhältnismäßig oder gibt es mildere Mittel zur Gefahrenabwehr, die zunächst angewandt werden sollten? Gerade dann, wenn mehrere Mittel zeitgleich zur Verfügung stehen, kommt der Beantwortung dieser Frage eine besondere Bedeutung zu. All das ist natürlich gesetzlich geregelt - das Stichwort lautet „Anwendung unmittelbaren Zwangs“.
 

Eine neue Mode
 

Lützerath hat allerdings auch gezeigt, dass eine neue Art „polizeilicher Gewalt“ in Mode kommen könnte. Nennen wir diese Form einmal „willkommene Gewalt zwecks optimaler Außendarstellung“. Ein Video zeigt nämlich die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg - stehend - links und rechts von ihr Polizisten, die jeweils eine Hand festhalten. Das Trio geht aber nicht, es steht. Man muss offensichtlich warten, bis die Fotografen für ihre Arbeit optimale Bedingungen haben, schließlich sagen Bilder mehr als tausend Worte. Die ganze Versammlung ist mega entspannt, die Stimmung ist offensichtlich gut. So lässt sich gut demonstrieren und vor allem gewaltfrei…