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„Die Zeiten sind rauer geworden“

5 Fragen an DPolG-Bundesvorsitzenden Rainer Wendt

Die Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit haben sich verändert. Die Herausforderungen reichen von zunehmenden Übergriffen auf Polizisten bis hin zu No-Go-Areas. Manche fordern mehr Härte, andere fürchten einen Polizeistaat. Die Polizei ist bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden und trotzdem das Image des Freund und Helfers zu bewahren.

 

VdZ: Straßen-, Milieu-, Organisierte Kriminalität, No-Go-Areas, Übergriffe und Respektlosigkeit – sind die Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit rauer geworden?

Wendt: Die Angst vor Kriminalität wächst in Deutschland. Viele Menschen fühlen sich unsicher. Befragungen stellen eine sinkende Zahl derjenigen fest, die sich sicher fühlen und unbeschwert öffentliche Räume oder Verkehrsmittel nutzen. Meldungen über Gewalt auf unseren Straßen erscheinen regelmäßig, soziale Netzwerke machen aus jeder Tat, auch in der kleinsten Gemeinde, ein nationales Ereignis.

Rein statistisch lässt sich die Angst nicht in jedem Fall rechtfertigen, und die Kriminalitätsfurcht war schon immer größer als die objektive Kriminalitätswahrscheinlichkeit. Aber zum Leben in Freiheit und Sicherheit gehört auch das Recht, nicht ständig in Angst vor Kriminalität und Gewalt leben zu müssen. Dazu zählt, dass der Staat angemessene Antworten darauf haben muss, wenn Menschen Opfer geworden sind. Wenn sich das Handeln des Staates dann darauf beschränkt, die Personalien der Täter festzustellen, reicht dies vielen Menschen als Antwort auf Gewalt und Kriminalität eben nicht. Aber viel zu oft erleben Opfer nichts anderes und müssen hilflos zur Kenntnis nehmen, dass die Täter schon Stunden nach der Tat bereit und in der Lage sind, nach neuen Opfern Ausschau zu halten.

Die Gewaltkriminalität ist laut der jüngsten Polizeilichen Kriminalstatistik immer noch erschreckend hoch. Tötungen, Messerattacken, Raubdelikte und neue Formen von Sexualstraftaten erzeugen Vermeidungsverhalten und schränken Freiheit ein. An vielen Schulen verzweifelt das Lehrpersonal. Das Thema Gewalt an Schulen, verbunden mit interkulturellen Konflikten beschäftigt uns regelmäßig.

Parallelgesellschaften erzeugen ein Gefühl der Ohnmacht von Polizei und Justiz und der anhaltende Kontrollverlust bei der Zuwanderung nach Deutschland setzt Besorgnisse frei, die von der Politik nur unzureichend beantwortet werden. Viele Menschen geraten in Zweifel, ob der „Vertrag“ noch stimmt, der von der Bevölkerung Gewaltlosigkeit fordert, dem Staat deshalb aber auferlegt, wirksam für den Schutz der Menschen zu sorgen.

Einbruchskriminalität, organisierte Banden, der Verfall ganzer Stadtteile und die tägliche Angst davor, eines der zufälligen Opfer gewaltbereiter Schläger zu werden, Verlangen nach schnellen Lösungen, nach sichtbarem Handeln. Das wird mit ein paar Streifenwagen auf den Straßen nicht getan sein, so wichtig diese auch sind. Wir brauchen jetzt endlich die versprochenen Neueinstellungen bei der Polizei in Bund und Ländern. Denn über Jahre wurde Personal abgebaut und das rächt sich nun. Aber die Politik denkt endlich um, und es wird in Ausstattung und Personal investiert.

Und auch bei der Polizeigesetzgebung in Bund und Ländern wird und muss neu gedacht werden. Wir brauchen eine Anpassung der polizeilichen Befugnisse an unsere heutige Zeit und darüber hinaus, eine möglichst einheitliche bundesweite Gesetzgebung auf hohem Niveau.

Das alles ist dringend notwendig – denn ja, die Zeiten sind rauer geworden.

 

Rainer Wendt
Rainer Wendt wurde 1956 in Duisburg geboren. Er durchlief im Rahmen seiner schulischen Ausbildung die Hauptschule, Handelsschule und das Abendgymnasium. Nach seinem Abitur studierte er an der Universität Duisburg und an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Duisburg. Herr Wendt schloss sein Studium als Diplom-Verwaltungswirt ab. Seit 1973 war er als Polizeihauptkommissar in Nordrhein-Westfalen tätig. Von 1997 bis 2010 war Herr Wendt Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Nordrhein- Westfalen (NRW). Er ist Mitglied des Polizeihauptpersonalrates beim Innenministerium NRW und seit September 2007 Bundesvorsitzender der DPolG. Darüber hinaus ist Herr Wendt Mitglied des Bundesvorstandes des Deutschen Beamtenbundes sowie Vorsitzender der Expertenkommission Innere Sicherheit des Deutschen Beamtenbundes.
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VdZ: Unser freies Gemeinwesen lebt ja von Regeln und davon, dass diese vom allergrößten Teil der Menschen eingehalten und Regelverstöße von staatlicher Seite verfolgt werden. Inzwischen könnte man aber meinen, dass Polizisten sich gar nicht mehr überall hin trauen können, um diese Regeln durchzusetzen; sie werden ja sogar zunehmend selbst zum direkten Angriffsziel. Wie kann unter solchen Bedingungen Polizeiarbeit funktionieren?

Wendt: Wenn Polizeibeamte zu einem Einsatz gerufen werden, dann fahren sie dorthin, egal zu welcher Zeit, gleich zu welchem Ort. Sie kommen ihrem gesetzlichen Auftrag nach, sogenannte No-Go-Areas gibt es für sie nicht. Aber es gibt in den letzten Jahren Einsätze, die mit zunehmenden Gewaltattacken gegen Polizeikräfte verbunden sind. Der G20-Gipfel 2017 in Hamburg ist dafür ein eindrückliches Beispiel. Er hat vor Augen geführt, mit welcher Brutalität und Hinterhältigkeit Polizistinnen und Polizisten heutzutage angegangen werden können. Darauf muss sich die Polizei mehr und mehr einstellen – mit ausreichend Personal, mit optimaler Ausstattung und modernen Kommunikationsmitteln. Eine ausreichende Personalausstattung ist eben kein Selbstzweck, sondern ausdrücklich für eine bessere Sicherheit der Einsatzkräfte unerlässlich. Aber auch eine funktionsfähige Kommunikation, persönliche Schutzwesten, Distanzmittel sowie Körperkameras dienen einem wirksameren Schutz der Polizistinnen und Polizisten.

Gestärkt werden muss die Kriminalprävention, denn was für Polizeikräfte nicht gilt, nämlich dass No-Go-Areas existieren, das gilt für manche Frauen, Kinder und ältere Menschen durchaus. Sie wagen sich zu später Stunde nicht mehr in bestimmte Stadtviertel. Dem müssen alle gesellschaftlichen Kräfte entschieden entgegenwirken. Randalierern, Gewaltbereiten und Straftätern darf nicht das Feld überlassen werden.

Unabhängig davon, ob Kriminalitätsfurcht und statistische Wahrscheinlichkeit, Verbrechensopfer werden zu können, zusammenpassen, ist das verbreitete Vermeidungsverhalten vieler Menschen ein kollektiver Freiheitsverlust, mit dem wir uns nicht abfinden dürfen.

Eine große Rolle spielt hierbei auch die Justiz. Sie muss – wie die Polizei – personell und ausstattungsmäßig gestärkt werden. Klare Urteile, die eine deutliche Sprache sprechen, sollten hinzukommen, die nicht nur der individuellen Strafe gerecht werden, sondern auch generalpräventive Wirkung entfalten.

 

VdZ: Länder wie die USA, Israel oder Singapur sind bekannt für den Stellenwert, den die Polizei dort hat – aber genau deshalb auch nicht unumstritten. Kann die Polizeiarbeit dort auch als Vorbild für Deutschland dienen? Wo steht die deutsche Polizei im internationalen Vergleich?

Wendt: Natürlich wird Polizeiarbeit in verschiedenen Ländern regelmäßig verglichen. Dabei treten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Tage. Die Polizeistruktur in Deutschland ist stark von der Geschichte geprägt. So soll die föderale Organisation in Bundes- und Länderpolizeien dafür sorgen, dass es keine Machtzusammenballung gibt, Interessen sowie Befugnisse der Polizei immer wieder austariert werden müssen. Das birgt auch den Nachteil, dass Informationen verloren gehen, wenn es um länderübergreifende Zusammenarbeit geht. Deshalb sollte nach Ansicht der DPolG der Grundsatz gelten, zentrale Informationssteuerung bei dezentraler Organisation.

In den USA und anderen Staaten – so auch in vielen EU-Staaten – ist die Polizei zentralistischer organisiert, teilweise mit halbmilitärischer Ausstattung. Die Befugnisse dort, zum Beispiel, was den Einsatz der Schusswaffe angeht, sind teilweise viel weitgehender. Solche Verhältnisse, die mancherorts zu umstrittenen Einsätzen führen, wollen wir hierzulande jedoch nicht.

Die Polizei in Deutschland steht alles in allem hervorragend da. In Umfragen zur Beliebtheit von Berufsgruppen belegt die Polizei regelmäßig vorderste Plätze. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten ist groß. Nicht zuletzt, weil die Polizei täglich alles für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger gibt. Und das nicht immer unter leichten Bedingungen. Personal, Ausstattung und Kommunikation sollten ausgebaut werden. Den Weg dazu haben wir beschritten…

 

VdZ: Ist der freiwillige Polizeidienst, auch Sicherheitswacht genannt, eine sinnvolle Ergänzung der Polizeiarbeit oder wird damit ein Trend zur Bürgerwehr begründet? Und stellen private Sicherheitsdienste eher eine Entlastung der Polizei an weniger brisanten Stellen dar oder bedeutet deren Beauftragung einen Rückzug des Staates aus hoheitlichen Aufgaben?

Wendt: Mit dem Freiwilligen Polizeidienst haben wir gute Erfahrungen gemacht. In Baden-Württemberg gibt es ihn schon seit längerem, in Hessen wurde er vor einigen Jahren eingeführt. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen den freiwilligen Polizeidienst. In einem eng gefassten Rahmen sowie begleitet und im regelmäßigen Austausch mit der Polizei leistet der freiwillige Polizeidienst mit seiner Arbeit eine sinnvolle und notwendige Unterstützung für Schutz und Sicherheit der Bevölkerung.

Die privaten Sicherheitsdienste haben einen legitimen Platz in unserer Sicherheitsarchitektur. Sie sollten sich jedoch stets gewahr sein, dass nicht monetärer Gewinn im Vordergrund stehen sollte, sondern die Qualität ihrer Arbeit entscheidend ist. In den letzten Jahren hat es in dieser Hinsicht bedeutende Fortschritte gegeben, vor allem was die Ausbildung derjenigen angeht, die ins Sicherheitsgewerbe einsteigen. Es sind aber auch hohe Anforderungen und Standards bei der Zertifizierung solcher Sicherheitsunternehmen notwendig. Wer sensible Bereiche, wie Flüchtlingsheime bewacht, sollte über eine fundierte Ausbildung verfügen und notfalls adäquat reagieren können. Deshalb sprechen wir als DPolG uns auch für ein Verbot der Auftragsweitergabe an Subunternehmer aus, wenn es um wichtige Sicherheitsdienstleistungen geht.

 

VdZ: Das Leitbild der Bundeswehr wird vom „Bürger in Uniform“ geprägt, die Polizei präsentiert sich als sein „Freund und Helfer“ – die Sicherheitsbehörden zielen also auf ein Miteinander mit der Bevölkerung ab. Gleichwohl scheint ihr Image – zumindest in Teilen der Bevölkerung – verbesserungswürdig. Woran liegt das und wie kann es gelingen, die gesellschaftliche Anerkennung zu stärken?

Wendt: Das Image des Freund und Helfers und der bürgernahen Polizei besitzt die Polizei schon lange und zu Recht. Immer im Dienst für die Bürgerinnen und Bürger, 24 Stunden/7 Tage die Woche erreichbar – da steckt viel Herzblut drin. Aber natürlich kommt es auch mal vor, wie bei jeder anderen Berufsgruppe auch, dass Fehler passieren, dass Polizeieinsätze auch mal nicht nach dem Bilderbuch-Prinzip ablaufen. Die Polizei lernt jedoch daraus. Jeder Einsatz zieht eine Nachbesprechung nach sich, alles wird ausgewertet und für den nächsten Einsatz möglicherweise anders geplant.

Einen wesentlichen Schritt hin zu einer noch stärkeren Anerkennung in der Gesellschaft hat die Polizei in den letzten Jahren durch ihr Kommunikationsverhalten getan. Die Einrichtung von Stellen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in jeder größeren Polizeidienststelle garantiert den regelmäßigen Austausch der Polizei mit den Medien und auch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Anfragen werden beantwortet, Hintergrundinformationen geliefert. Bei Tagen der Offenen Tür wird ein Einblick in die tägliche Arbeit der Polizei gewährt.

Jüngst kam zur Imagebildung auch die Nutzung der Sozialen Medien durch die Polizei in Bund und Ländern hinzu. Mittlerweile folgen mehrere hunderttausend Menschen Polizeiaufritten bei Facebook, Twitter und Co. Eine Aktion wie der 24-Stunden-Twitter-Marathon der Polizei Berlin, der Alltägliches zur Polizeiarbeit veröffentlicht, war ein großer öffentlichkeitswirksamer Erfolg.

Die Polizei ist sich also bewusst, dass sie einiges für ihre Imagebildung tun muss und sie tut das mit 100prozentigem Einsatz. Genauso wie in der täglichen Arbeit.