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Neue Kooperationsformen zwischen Wirtschaft und Staat

5 Fragen an Dr. Sebastian Leder

Wenn der Staat Produkte und Dienstleistungen bei der Wirtschaft bezieht, bedient er sich etablierter Beschaffungsverfahren. Doch neue Herausforderungen werfen die Frage auf, ob Staat und Wirtschaft nicht flexibler kooperieren sollten – und welche Organisationsformen dafür geeignet sind.

Verwaltung der Zukunft: Die Sicherheit zählt seit jeher zu den hoheitlichen Aufgaben, die originär von öffentlichen Stellen wahrzunehmen sind. Müssen wir angesichts der heutigen Bedrohungslagen bei diesem Verständnis Abstriche machen?

Leder: Das Gewaltmonopol gehört unwiderruflich in die Hände des Staates – allein aus geltenden juristischen Gründen, aber auch aus allgemeinem Verständnis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens heraus. Das ist nicht verhandelbar. Allerdings: In Bereichen der inneren, öffentlichen Sicherheit oder im Bereich der äußeren Sicherheit ist Staat nicht immer mehr leistungsfähig. Dies kann Bereiche wie Personal oder technisch mögliche Ausstattung umfassen. Staat kann und sollte sich in Feldern unterstützen lassen, die nicht zu seinen Kernkompetenzen zählen (können). Denn wenngleich Sicherheit zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und zur Bewahrung der staatlichen Ordnung junktimiert sind, ist es nicht die Aufgabe des Staates, technologisch und/oder technisch mit der Privatwirtschaft zu konkurrieren. Langwierige Ausschreibungsverfahren helfen hier gerade durch ihre zeitlichen Horizonte nicht. Hier sollte eine Beleihung stattfinden, die beispielsweise personelle oder technologische Bereitstellungen in entsprechender Höhe vorsieht, jeweils auf dem Stand von Wissenschaft und Technik. Und das kann nur die Wirtschaft leisten.

 

Dr. Sebastian Leder
Dr. Sebastian Leder ist am Deloitte Analytics Institut zuständig für „Liaison and Ideation“, i. e. Networking und Partnering. Seine Arbeit besteht aus der Vernetzung und der Zusammenarbeit mit dem Quintett Politik, Wissenschaft/Forschung, Technologie und Wirtschaft sowie der Start-Up-Szene. Zu seinen Kunden zählen beispielsweise die BOS des Bundes sowie universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.
Herr Dr. Leder erwarb seinen Master of Arts in der Europäischen Geschichte und Deutschen Literatur. Zudem absolvierte er ein Aufbaustudium in Klinischer Psychologie. Seinen Ph.D. legte Herr Dr. Leder in der Studienrichtung Antisemitismus- und Vernichtungsgeschichte ab.
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VdZ: Wenn die Sicherheitsbehörden einen Bedarf an Produkten und Dienstleistungen haben, beschaffen sie diese doch bei der Wirtschaft. Worin besteht die Konkurrenzsituation?

Leder: Es ist richtig, dass der Staat naturgemäß bei der Wirtschaft beschafft. Es herrscht aber mitunter die Sichtweise vor, dass es besser wäre, wenn der Staat seine Technologie selbst entwickelte, da hierbei eine scheinbar höhere Autonomie gewährleistet wäre. Dies ist ein Trugschluss – und hier entsteht auch die „Konkurrenzsituation“: Dem Staat fehlt oft das Personal, um auf dem aktuellen Sachstand von Forschung und Entwicklung Technologie entwickeln zu können. Überdies fehlt ihm landläufig die Expertise – also Erfahrung – um mit Mitarbeitern, die eigentlich für andere Aufgaben einmal angeworben wurden, das zu erreichen, was in der Wirtschaft Tagesgeschäft ist.

Dieses Modell kann in langfristigen Kontexten sehr gut funktionieren, doch in Prozessen, die eine marktgeprägte Situation aufweisen – beispielsweise der Wettlauf zwischen kriminell eingesetzten und protektiven Technologien – sollte, allein schon aus Zeitgründen, der Staat die Idee einer Eigenentwicklung zurückstellen. Auch eine Ausschreibungs- und Beschaffungssituation entzerrt das „Zeitproblem“ nicht. Hier sind Experimentalräume zwischen Staat und Privat gefragt.

 

VdZ: Wie könnten eine optimierte Zusammenarbeit aussehen – und was verstehen Sie unter Experimentalräumen?

Leder: Experimentalräume meint, dass in fest definierten Zusammenarbeitsformaten zwischen Staat und Privat neue, vielleicht unbekannte oder auch unsicher erscheinende Kooperationsformate ausprobiert werden können, die vom Ergebnis her gedacht worden sind. Will man also beispielsweise Personal haben, welches bestimmte Erfahrungen oder Qualifikationen besitzt, aber vom Staat nicht eingestellt werden kann, weil es den laufbahnrechtlichen Gegebenheiten nicht passend erscheint, dann muss es möglich sein, diese Personen für eine bestimmte Frist zu beschäftigen, außerhalb der Bindung an eben jenes Recht. Gleiches gilt für Beschaffungsvorgänge oder gegebenenfalls sogar hoheitliche Aufgaben, die, von entsprechend qualifiziertem, überprüftem Personal, ausgeführt würden.

Die „optimierte Zusammenarbeit“ muss selbstredend gesetzlichen Vorlagen genügen, aber sie sollte nicht ideologiepolitisch gedacht werden, sondern zielorientiert. Besonders im IKT-Bereich, und vergleichbar, ist die Geschwindigkeit für Staat zu hoch und die Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt zu schwer zu finden, als dass man nicht zwischen Staat und Privat ein Getriebe schalten müsste, welches nicht länger diskret – also abgestuft – funktioniert, sondern als stufenloses Getriebe eine kontinuierliche Unterstützung bietet, gemeint als „Besondere Aufbauorganisation“ mit fester Rekommunalisierungsterminierung.

 

VdZ: Was steht solchen Zusammenarbeitsformaten denn aus Ihrer Sicht entgegen? Rechtliche Rahmenbedingungen? Politischer Wille? Angst vor dem Unbekannten? Oder die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit?

Leder: Das sind die am Häufigsten vorgebrachten Entgegnungen. Und ja, das sind auch gewichtige Argumente, die nicht einfach beiseite gewischt werden können. Verwaltung zeichnet immer eine gewisse „Massenträgheit“ aus, das ergibt auch ihren Wert. Sie kann – und natürlich mag sie – nicht immer so, wie man es gerne hätte. Deshalb ist sie ein Stabilitätsanker, der für ein kontinuierliches Fortwirken steht. Doch dieses Trägheitsmoment kehrt sich in – aus Marktsicht betrachtet – schnellen Themenfeldern um. Hier ist die ruhige Prüfung zwar auch wichtig, doch leider zu langsam. Nur politischer Wille kann und muss hier gestalten. Da es der Auftrag der gewählten Politik ist, gestaltend und eben nicht verwaltend, tätig zu sein, ist es das Primat der Politik, hier einzugreifen. Die Kompetenz der Politik kann sich aber nicht („nur“) im technologischen Bereich bewegen, ihr Auftrag ist es, für das Land zu gestalten. Deshalb muss Politik sich in Beratungsformaten mit Wirtschaft und Wissenschaft bewegen, in kleinen Gruppierungen, die Probleme erkennen und lösen können. Diese Trias aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft entwickelte Lösungsvorschläge, die, von der Politik geprüft, in die Verwaltung gegeben werden.

 

VdZ: Am Ende ist die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft ja nicht nur eine Frage der Beschaffungsverfahren, sondern auch des Beschaffungsrechts. Steht dieses offeneren Kooperationsformen entgegen, ist es noch zeitgemäß – und wie müsste es gegebenenfalls geändert werden?

Leder: Das Beschaffungsrecht lässt schon diverse „Besonderheiten“ zu: Verkürzte Verfahren, schnellere Verfahren wegen „Sicherheit“, Freihandverfahren et al. Das Beschaffungsrecht ist eher nicht der Flaschenhals. Das Beschaffungsverfahren stellt sich als langsames, teils ausbremsendes, System im Zuge der Digitalen Transformation oder der „IT-Disruption“ heraus. Hier liegt auch der Konvergenzpunkt: IT-Beschaffung muss aus natürlichen Gründen schnell sein, das Vergabeverfahren ist es naturgemäß nicht. „Experimentalklauseln“ oder „Experimentalbereiche“ müssen gegebenenfalls eine generalisierte Ausnahme darstellen, die unter Umständen auch Wettbewerbsverzerrung in Kauf nehmen. Dazu muss nicht unbedingt gleich die Terrorproblematik bemüht werden, es reicht, zu sagen, dass Innere und Öffentliche Sicherheit – als Prävention und Verfolgung – auf den steten und jeweils gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik angewiesen sind.