Job Shadowing; Tandems; Wirtschaft; Verwaltung; Kreativ-Szene"; Austausch
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Einfach mal über die Schulter schauen dürfen

Job Shadowing: Kurz-Einblicke in Verwaltung und Wirtschaft / Die Kreativ-Szene über "Tandems" kennenlernen

Schon wieder so ein Anglizismus. Und dann gleich so einer: Job Shadowing! Um es gleich zu sagen, diese Geschichte handelt von der kleinen, aber feinen Methodik, jemanden über die Schulter zu gucken und „wie ein Schatten“ (shadow) durch seinen Arbeitsalltag begleiten zu dürfen. Ein Mini-Praktikum. Das Ziel: In denkbar kurzer Zeit, mit wenig Aufwand möglichst viel aufgreifen.
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Unser Vorschlag war es, mit „Job Shadowing“ Menschen aus der öffentlichen Verwaltung und Wirtschaft kurze Einblicke in den Arbeitsalltag der Kreativwirtschaft zu verschaffen.

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Es war ein Vorschlag, den die rund 100 Teilnehmer des Barcamp U30 Anfang Juni 2018 in Berlin erarbeitet hatten: Mitarbeiter der Verwaltung sollten die Möglichkeit bekommen, auch mal außerhalb des öffentlichen Sektors berufliche Erfahrungen zu sammeln. Das Gleiche gilt anders herum: Warum nicht Arbeitnehmern aus der Privatwirtschaft bessere Perspektiven bieten, eine Zeitlang in einer Behörde zu arbeiten? Oder zumindest ein Verständnis für behördliche Belange zu entwickeln. Dass es sich dabei um keine naive Vorstellung handelt, zeigen die schon vorhandenen Initiativen, die genau in diese Richtung gehen – zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern.   

Veronika Schubring ist Organisationsentwicklerin bei „fint – Gemeinsam Wandel gestalten“.
© Matthias Marx

Vom Kreativ-Lager inspirieren lassen

In Rostock ging es darum, etablierte oder traditionelle Organisationen stärker mit der Kreativwirtschaft zusammenzubringen und die „kreative Szene“ besser sichtbar zu machen. Die Ausschreibung des Landeswirtschaftsministeriums zur Umsetzung hat das Unternehmen „fint – Gemeinsam Wandel gestalten.“ gewonnen. „Unser Vorschlag war es, mit „Job Shadowing“ Menschen aus der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft mit der Kreativwirtschaft jeweils kurze Einblicke in deren Arbeitsalltag und Arbeitsweise zu verschaffen“, erklärt fint-Organisationsentwicklerin Veronika Schubring. Kunst und Bürokratie – zwei weit voneinander entfernte Pole. Denkt man.

Junge Leute wollen mehr Möglichkeiten, ihre Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung um Einblicke in andere Branchen zu ergänzen. Das zeigte auch das "Barcamp U30" im Juni dieses Jahres.
© Wegweiser Media & Conferences GmbH / Simone M. Neumann

Um die Arbeit der anderen Seite wissen

Im Alltag haben beide Branchen aber durchaus miteinander zu tun. Zum Beispiel bei Ausschreibungen im Baubereich, wenn es etwa darum geht, Architekten zu finden. Schubring weiß auch aus persönlicher Erfahrung, dass Mitarbeitern von Behörden oft gar nicht bewusst ist, wie viel Zeit in der Ausarbeitung von Angeboten für die öffentliche Hand steckt. „Die Vorbereitung beginnt oft schon weit vor dem offiziellen Ausschreibungstermin und der Aufwand kann immens sein. Es gilt immer, das Kosten-Nutzen-Verhältnis richtig abzuwägen – gerade für kleine Betriebe.“ Um die Sensibilität beim öffentlichen Auftraggeber zu erhöhen, mache es durchaus Sinn, die Mitarbeiter und Arbeitsorte der anderen Seite einmal konkret erlebt zu haben. So wie Marco Stolle.  

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Job Shadowing ist zwar nur ein kurzes, dafür aber ein ziemlich effizientes Instrument, um den Austausch von Expertise über verschiedene Berufsfelder hinweg zu beflügeln.

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„Es war wirklich eine Bereicherung“, erklärt der Sachgebietsleiter für Raumplanung und Servicedienste im Hauptamt der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, der mit seiner Partnerin aus einem Rostocker Architekturbüro eines von fünf „Tandems“ bildete. Für beide Seiten interessant waren jene Anknüpfungspunkte, die Schubring beschreibt und die beiden quasi vom jeweils entgegengesetzten Ende betrachten. 

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Es war wirklich eine Bereicherung!

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Eine gemeinsame Sprache finden

Stolle ist in der Hansestadt für Objektentwicklung und die Gestaltung der Arbeitsplätze in der Verwaltung zuständig. Sein Pendant im Architektenbüro erhält öffentliche Aufträge über Sanierungen und Instandhaltungen aus diesem Bereich, die nicht direkt durch die Stadtverwaltung, aber mittelbar über seinen Eigenbetrieb erteilt werden. Kurz gesagt: Die Aufträge gehen im Architekturbüro ein, eine Planung wird erarbeitet, die schließlich an die Stadtverwaltung geht und dort geprüft wird. Je nach Beschaffungsprozess folgen dann Nachfragen oder Spezifizierungen – also viel Schriftverkehr. „Deshalb sind wir schnell auf das Thema „gemeinsame Sprache“ gekommen“, erklärt Stolle. Versteht man in Behörden und Kreativwirtschaft das gleiche unter derselben Begrifflichkeit? Hier gebe es immer wieder Missverständnisse, weiß der 37-Jährige, über die es stärker zu sprechen gelte – so schon mal eine nicht ganz unwesentliche Erkenntnis der „beidseitigen Beschattung“.  

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Die Teilnehmer profitieren umso stärker, je näher sie dran sind.

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Zweimal zwei Tage zu zweit

„Job Shadowing ist zwar nur ein kurzes, dafür aber ein ziemlich effizientes Instrument, um den Austausch von Expertise über verschiedene Berufsfelder hinweg zu beflügeln“, erklärt Schubring. Wichtig ist der vertrauensvolle Umgang miteinander. Dafür werden die Teilnehmer während eines Auftakt-Workshops drei Stunden in der Gruppe vorbereitet. Danach geht es für jeweils zwei Tage als „Schatten“ mit ins Unternehmen bzw. die Behörde des Partners. Die Moderatorin empfiehlt den Beteiligten ihrem „Schatten“ einen normalen Tag in ihrem Arbeitsumfeld zu zeigen sowie einen besonderen Tag, an dem vielleicht ein spezielles Projekt näher beleuchtet wird. Eine dreistündige Abschlussveranstaltung mit Feedback und Möglichkeiten zur Reflektion – wiederum in der Gruppe – rundet das Programm ab.


JOB SHADOWING

Beim Job Shadowing erhalten Menschen aus anderen Branchen Einblicke in den Arbeitsalltag einer Führungskraft / eines Mitarbeiters aus dem öffentlichen Dienst. Dabei lässt sich ein Beamter bzw. eine Angestellte etwa von einem Architekten, Designer oder einer Musikerin ein paar Tage über die Schultern gucken. Anders herum taucht der Behördenvertreter für einige Stunden in die Praxis eines Unternehmens oder kleinen Betriebs ein. Das beidseitige Ziel: die „Gegenseite“ besser kennen und verstehen, lernen sowie kreative Denk- und Handlungsweisen aufnehmen. Der Austausch erfolgt in beide Richtungen, um eine „Win-Win-Situation“ zu erreichen, die attraktiv für beide ist.


Wenn der „Aha-Effekt“ kommt…

Schubring geht es darum, die Beteiligten zusammen möglichst in eine Art „Flow“ zu bringen. „Als Coaches halten wir uns deshalb in den insgesamt vier Tagen der „Beschattung“ komplett raus.“ Einzig ein kleines Feedback am Ende eines jeden „Beschattungstages“ ist erwünscht – etwa per Messenger. Die drängendste Frage an die Praktiker lautet dann: Was war das Spannendste am heutigen Tage? „Ganz besonders toll ist es natürlich auch für uns, wenn etwa von „Aha-Erlebnissen“ die Rede ist.“ In der Feedback-Runde kommen dann die Erfahrungen aller Teilnehmer noch einmal zur Sprache und die Gruppe diskutiert gemeinsam darüber. Und entwickeln das Pilotverfahren weiter.     

Eine dritte Gruppenphase?

Stolle kann sich etwa ein erweitertes Programm vorstellen, das über schlichtes „Zuschauen“ hinausgeht. „Die Teilnehmer profitieren umso stärker, je näher sie dran sind.“ Arbeiten wie z. B. stupides Eintippen von Daten in ein Leistungsverzeichnis würden kaum weiterhelfen. Dagegen sei es interessant, einmal die grundsätzlichen Abläufe einer anderen Organisation kennenzulernen. Der Sachgebietsleiter regt zudem an, zwischen den insgesamt vier Praxistagen eine weitere – dritte – Gruppenphase einzulegen. „Wir haben gemerkt, dass wir uns nach ein, zwei Tagen Praxiserfahrungen uns gegenseitig Dinge schon weitaus besser verständlich machen konnten. Darüber auch in der Gruppe zu sprechen, hätte sicherlich noch einmal einen zusätzlichen positiven Effekt für die verbleibenden Tage gehabt.“ Einige Erkenntnisse konnten so erst in der Feedback-Debatte nach dem „Shadowing“ besprochen und weitergegeben werden.

Es geht darum, während der "Beschattung" interessante Tätigkeiten und Abläufe zu "beleuchten" und möglichst ein gemeinsames Verständnis der Arbeitsweisen in unterschiedlichen Branchen zu entwickeln.

Zeitlich ein bisschen strecken

Eine andere Idee: Den Zeitraum verlängern, in dem die vier Praxistage umzusetzen sind. Stolle könnte sich vorstellen, lieber ein ganzes Quartal anzusetzen als wie bisher vier Wochen. Denkbar wäre auch eine Art „Stundensatz“, um die Flexibilität zu erhöhen. Danach könnten etwa 16 oder 20 Stunden nicht ausschließlich in „ganzen Tagen“, sondern auch kleinteiliger in „Stundenpaketen“ und dann eben über drei Monate absolviert werden. „Wir haben uns auch schon jetzt bilateral und informell verständigt, damit wir während der Ferienzeit im Oktober und den vielen geeigneten Brückentagen überhaupt gemeinsame Termine finden konnten.“

Es geht weiter – freiwillig

Das zeigt, dass eines bei den Teilnehmern vorhanden sein muss: die Grundbereitschaft, sich zu engagieren und weiterentwickeln zu wollen. Und genau das scheint bei allen Mitgliedern dieser Pilot-Gruppe der Fall zu sein. Auch wenn das geförderte Projekt abgeschlossen ist, haben sich die „Kreativ-Köpfe“ – darunter ein Autor, Regisseur und Kurator – und die Vertreter der „eher verwaltungslastigen Berufe“ entschlossen, ihren Austausch auch künftig fortzusetzen. Quasi auf eigene Faust. Ein tolles Ergebnis!

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Es war ein Experiment und wir freuen uns, die Methodik durch unsere eigenen und die Erfahrungen der Teilnehmer weiterzuentwickeln.

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Ein Experiment zur Öffnung der Verwaltung

 „Es war ein Experiment und wir freuen uns, die Methodik durch unsere eigenen und die Erfahrungen der Teilnehmer weiterzuentwickeln.“ Für Veronika Schubring bedeutet Job Shadowing einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Ziel der Organisationsberaterin ist es, dass sich die Verwaltung hierzulande noch viel weiter in Richtung Bürger und Unternehmen öffnet. Dafür kann es im Grunde gar nicht genug Verständnis für eine offenere Arbeitsweise geben, die in vielen kleinen Betrieben mit flachen Hierarchien längst herrscht. Umso mehr in der sich entwickelnden Startup-Szene. „Die öffentliche Hand muss noch stärker ihre Rolle als Dienstleisterin erkennen, sozusagen als „bedarfsorientierte Kuratorin gesellschaftlichen Gedeihens“.“