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Wie grün ist Künstliche Intelligenz?

Prof. Mario Martini von der Universität Speyer über Umweltschutz in der digitalen Lebenswelt

Prof. Mario Martini hat Im Auftrag des Umweltbundesamts ein Gutachten zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Umweltschutz erstellt. Im Interview mit VdZ spricht er über die wichtigsten Erkenntnisse und die Empfehlungen, die sich daraus für ein nachhaltiges umweltpolitisches Handeln ergeben. Außerdem geht es um die Frage, wie nachhaltig KI-Entwicklungen selbst sind? Denn schließlich verbrauchen sie ein hohes Maß an Energie.

Herr Prof. Martini, Sie forschen zu KI und Nachhaltigkeit: Kann die Künstliche Intelligenz dazu beitragen, dass wir uns besser an den Klimawandel anpassen? 

Prof. Mario Martini: Ja, KI ist hilfreiches Instrument, um unter den Bedingungen knapper Ressourcen und wachsenden Zeitdrucks gute Wege aus der Umweltkrise zu finden. Lernfähige Software kann insbesondere dazu beitragen, Energie in den Städten, Rohstoffe in der Logistik und Saatgut in der Landwirtschaft effizienter einzusetzen. 

Wo könnten Algorithmen beispielsweise eingesetzt werden?

Eine wichtige Rolle können Algorithmen bei der Umweltbeobachtung einnehmen. Sie können etwa Luft- und Satellitenbilder auswerten, um Umweltveränderungen - etwa Schadstoffentwicklungen in der Luft - in Echtzeit sichtbar zu machen und wirksam nachzuverfolgen. Im Abfall-, Energie- und Straßenverkehrsmanagement können sie ferner Prozesse auf Optimierungspotenzial durchforsten. Auch bei der Umweltbeobachtung verheißt Künstliche Intelligenz einen qualitativen und quantitativen Erkenntnisgewinn: Eine Schlüsselfunktion können lernfähige Systeme nicht zuletzt als Teil einer vorausschauenden Instandhaltung (Predictive Maintenance) einnehmen, etwa beim Sicherheitsmanagement gefahrenträchtiger Anlagen, wie z.B. Pipelines oder Windkraftanlagen. Software kann Anomalien im Ablauf frühzeitig ausmachen, um fehlerverursachende Bauteile passgenau zu lokalisieren.

Wie wirkt sich der Einsatz von KI etwa in der Landwirtschaft aus?

Echtzeit-Bodenanalyse und die Auswertung von Wetter- und Satellitendaten sowie weiterer Umweltfaktoren ermöglichen einen effizienteren und nachhaltigeren Anbau, der Saatgut und Schädlingsbekämpfungsmittel zielgenau dort einsetzt, wo Bedarf besteht, ohne das Grundwasser und die Gesundheit Betroffener über Gebühr zu belasten. In der Landwirtschaft können digitale Assistenten insbesondere Saat und Ernteintervalle optimieren und Pflanzenschutzmittel bedarfsgerecht einsetzen - sogenannte Präzisions-Landwirtschaft. Mithilfe digitaler Technologien ist es auch möglich, Umweltauswirkungen engmaschig zu überwachen und den Vollzug des Umweltrechts zu verbessern. 

Um den Klimawandel zu einzudämmen, muss vor allem der Ausstoß von Treibhausgasen verringert werden. Sehen Sie hier ein Potential für den Einsatz von KI?  

Lernfähige Systeme sind ein wichtiges Prognoseinstrument des Umweltschutzes. Sie ermöglichen Vorhersagen in Klimamodellen, prognostizieren den Energiebedarf und optimieren die Leistungskraft erneuerbarer Energien. 

Auch KI-Entwicklungen haben einen Energiebedarf. Gibt es Daten dazu, die die CO2-Emmissionen von KI-Systemen belegen? 

Digitale Technologien zeichnen derzeit für insgesamt 4 Prozent des gesamten weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes1 und 5 bis 9 Prozent des weltweiten Stromverbrauches verantwortlich.2 Das übersteigt das Ausstoßvolumen des Flugverkehrs im Jahr 2019 um das Doppelte.3 In der Summe überwiegt aber die Hoffnung auf positive Auswirkungen in den Bereichen Effizienzsteigerung, Transaktionskostenreduktion und Wirtschaftswachstum. So hat Accenture Strategy für die Global E-Sustainability-Initiative berechnet, dass Anwendungen der Informations- und Telekommunikationstechnologie (IKT) im Jahr 2030 global betrachtet bis zu 20 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen vermeiden könnten. Eine Schweizer Studie aus dem Jahr 2017 geht davon aus, dass Effekte der IKT, die Treibhausgase reduzieren, knapp unter den von ihr selbst produzierten Emissionen liegen, der Belastungs- und Entlastungseffekt sich also ausgleicht.4 

Im Auftrag des Umweltbundesamts haben Sie zu dem Thema „KI und Umweltschutz ein Gutachten erstellt. Welche Erkenntnisse geben Sie den Politikerinnen und Politikern an die Hand, um die Nachhaltigkeit voranzubringen?  

1. Algorithmenbasierte Steuerungsmechanismen lassen sich durch Programmierung auf ökologische Ziele ausrichten.

Das lässt sich insbesondere in zweierlei Hinsicht nutzbar machen: 

a) Der Gesetzgeber könnte zum einen Betreibern die Pflicht auferlegen, Umweltschutz durch Technikgestaltung zu betreiben. Sie müssten ihre Anlagen auf den übergreifenden Leitgedanken „Sustainability by Design“ ausrichten, also Umweltschutz durch Technikgestaltung zu betreiben, das heißt technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, die dazu beitragen, dass eine Software möglichst nachhaltig operiert.  

b) Eine wichtige Steuerungsressource für einen wirksamen Umweltschutz durch Technikgestaltung sind die Voreinstellungen, denen jedes algorithmische System Folge leistet. Hersteller und Betreiber könnte die Pflicht treffen, die Voreinstellungen am Gebot der Umweltfreundlichkeit auszurichten (Sustainability by Default). Das kann es etwa gebieten, eine umweltschutzfreundliche Option, zum Beispiel den Energiesparmodus als Default-Einstellung vorzusehen.  

2. Der Staat sollte auch noch stärker seine Marktmacht als Großeinkäufer in die Waagschale werfen, um in öffentlichen IT-Vergabeverfahren Produkte mit grünem Softwaredesign einzufordern.

Um versteckte Ineffizienzen im Prozess der Softwareentwicklung zu vermeiden, kann es zudem Sinn machen, Software-Repositories, die sich den Aspekt der Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben haben, staatlich zu fördern oder zu zertifizieren: Ein Nutzer könnte dann darauf vertrauen, dass Softwarebausteine aus dieser Quelle ein Prüfverfahren im Hinblick auf Laufzeitdefizite und versteckte Ineffizienzen durchlaufen haben. 

3. Digitale Technik macht sicherheitsrelevante Umweltanlagen verletzlich.

Angriffe können für solche Einrichtungen verheerende Auswirkungen zeitigen. Je stärker Künstliche Intelligenz zentrale Funktionen in Umweltanlagen wahrnimmt, umso wehrfähiger müssen das Recht und seine praktischen Schutzmechanismen sein. In guten Rahmenbedingungen für geforderte Sicherheit kann auch ein Wettbewerbsvorteil liegen. 

4. Ein allgemeiner Zugang zu offenen Datenräumen („European data spaces“) sollte diese Entwicklung flankieren.

Denn ohne valide Grundlage („real data) lassen sich lernfähige Systeme schwerlich auf Umweltschutz und präzise Prognosen trainieren.  

5. Um umweltrelevante Vorgänge verlässlich zu dokumentieren, kann auch die Blockchain-Technologie Optimierungspotenziale heben.

Zum Beispiel um die Authentizität und Singularität gehandelter Emissionszertifikate zu garantieren: Emissionshandelszertifikate werden dann „getaggt“ und sind dadurch identifizierbar sowie nachverfolgbar. Dasselbe Prinzip kann in der digitalen Kreislaufwirtschaft zum Einsatz kommen. Gesetzliche Vorgaben, den Verbleib von Bauteilen und Rohstoffen (z. B. einer Anlage, die bestimmten Standards entsprechen muss) rückverfolgbar zu machen, lassen sich mithilfe der Blockchain-Technologie in ihrer Funktion als digitales Kassenbuch überprüfen.


[1] The Shift Project (Fn. 34), 2019, S. 8.

[2] Gailhofer/Herold et al. (Fn. 5), S. 10.

[3] The Shift Project (Fn. 34), 2019, S. 8.

[4] Hilty/Bieser, Opportunities and Risks of Digitalization for Climate Protection in Switzerland, 2017, S. 5 ff.

 

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