CIO Dr. Hartmut Schubert
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CIO Dr. Hartmut Schubert: „Hier stößt das EfA-Prinzip an seine Grenzen“

Dr. Hartmut Schubert, CIO des Freistaats Thüringen, über den Umsetzungsstand beim OZG und die Nachnutzung von Einer-für-Alle-Leistungen (EfA)

Thüringen arbeitet in verschiedenen OZG-Themenfeldern mit, selbst hat das Bundesland jedoch keine Federführung übernommen. Im Rahmen der EfA-Projekte wird Thüringen sowohl Leistungen nachnutzen als auch anbieten. Jedoch könnten, so CIO Dr. Hartmut Schubert, EfA-Leistungen nicht in allen Bereichen greifen. Thüringen hat daher eine Struktur geschaffen, mit der auch diese OZG-Leistungen, die auf kommunalem Recht gründen, umgesetzt werden können. Mit VdZ sprach Dr. Schubert über das Thüringer Finanzamt als Servicestelle für Online-Anträge und über ThAVEL, das Antragssystem für Thüringer Kommunen.

Verwaltung der Zukunft: Nur noch knapp zwei Jahre bleiben, dann soll das OZG umgesetzt sein. Ist das aus Ihrer Sicht zu schaffen?

Dr. Schubert: Die Herausforderung, das Onlinezugangsgesetz vollständig umzusetzen, ist riesig und wir arbeiten weiter mit Hochdruck daran. Ein wenig Skepsis ist schon dabei. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir innerhalb der letzten vier Jahre nicht vorangekommen wären. Ganz im Gegenteil: Das OZG hat den Digitalisierungsbestrebungen in den Verwaltungen Auftrieb verliehen. Das zeigt sich zum einen an den entstandenen Arbeitsstrukturen, die sich mit dem Thema befassen. Das wäre vor dem OZG kaum vorstellbar gewesen. Zum anderen sind auch schon erste Ergebnisse des OZG zu erkennen. Einige der Einer-für-Alle Leistungen (EfA) stehen schon zur Verfügung und auch FIM-basierte Eigenentwicklungen über unser landeseigenes Antragsmanagementsystem gibt es schon. Diese werden vor allem von Thüringer Kommunen rege genutzt. Das Ziel bleibt, den Bürgerinnen und Bürgern und nicht zuletzt auch den Unternehmen auch einen elektronischen Zugang zu den für sie jeweils wichtigen Verwaltungsleistungen zu eröffnen. An dem Ziel halten wir fest.

VdZ: Thüringen hat kein OZG-Themenfeld übernommen. Bedeutet dies, dass das Land die Lösungen der anderen Bundesländer komplett übernehmen wird – so wie es das Einer-für-Alle Prinzip vorsieht?

Dr. Schubert: Thüringen arbeitet in verschiedenen Themenfeldern mit und entwickelt für die OZG-Leistung „Wochen- und Spezialmärkte“ einen eigenen EfA-Dienst. Insofern ist Thüringen eng in die OZG-Umsetzung in Bund und Ländern eingebunden. Selbstverständlich werden wir Antragsverfahren, die im Rahmen von EfA-Projekten entwickelt wurden, auch nachnutzen, wenn dies technisch und rechtlich möglich ist. Das ist ja die Grundidee von EfA. Wir werden aber auch selbst anderen Ländern Verfahren zur Nachnutzung anbieten können.

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Aber eines ist uns auch allen bewusst: Ein erheblicher Teil der Leistungen, die durch kommunale Verwaltungen und Landesbehörden erbracht werden, haben ihre Grundlage im kommunalen Recht. Hier stößt das EfA-Prinzip an seine Grenzen. Für Thüringen haben wir deshalb eine eigene Struktur in der Verantwortung des Thüringer Finanzministeriums geschaffen, mit der wir für die Umsetzung des OZG auch für solche Verwaltungsleistung sorgen können.

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Dr. Hartmut Schubert

Das Thüringer Finanzministerium sorgt hier – als Servicestelle mit der Trägerschaft der FIM-Landesredaktion und einem eigenen Entwicklerteam für elektronische Antragsverfahren – für die gesetzeskonforme und zweckmäßige Einrichtung elektronischer Antragsverfahren. Und zwar für alle Verwaltungsebenen, auch in den Bereichen, in denen EfA-Projekte nicht greifen können.

Daneben erprobt Thüringen gerade die ersten EfA-Leistungen auf ihre Nachnutzungstauglichkeit. Im Fokus stehen dabei Leistungen, die auf kommunaler Ebene vollzogen werden. Wir wollen sehen, wie einfach oder komplex ein Roll-out in den Kommunen ist und ob gegebenenfalls Nachbesserungen an den EfA-Leistungen notwendig werden, damit eine Nachnutzung noch einfacher erfolgen kann. Denn eines dürfen wir nicht vergessen, die Mehrzahl der OZG-Leistungen wird in den Kommunen vollzogen. Dort müssen die Mitarbeitenden entsprechend vorbereitet und mitgenommen werden, denn auch für sie bedeutet ein elektronisch eingehender Antrag Veränderungen in ihren Arbeitsprozessen.

VdZ: Mit ThAVEL, dem Thüringer Antragssystem für Verwaltungsleistungen, hat der Freistaat ein landeseigenes Portal geschaffen, bei dem sich Kommunen Apps für Verwaltungsleistungen herunterladen können. Worin liegen hier die Vorteile?

Dr. Schubert: ThAVEL erlaubt uns, selbst elektronische Antragsverfahren in hoher Qualität und unter dem Aspekt der Nutzerfreundlichkeit einzurichten und den kostengünstigen Betrieb der Antragsverfahren dauerhaft zu sichern. Das System ist so ausgelegt, dass es auch innerhalb der Verwaltung selbst bedient werden kann. Zudem sind die rechtlichen Anforderungen an Datenschutz und IT-Sicherheit gewährleistet. Auch ist – und das ist ein zentraler Umstand für das Gelingen elektronischer Antragsprozesse – die Anbindung an die Systeme in den Behörden sichergestellt, sowohl bei kommunalen Behörden als auch bei Landesbehörden.

VdZ: Wie wird ThAVEL von den Kommunen angenommen? Welche Rückmeldungen bekommen Sie?

Dr. Schubert: Elektronische Antragsverfahren, unabhängig davon, ob sie über ThAVEL oder über ein EfA-Projekt eingerichtet wurden, finden in den kommunalen Behörden dann Akzeptanz, wenn sie die Arbeit innerhalb der Verwaltung erleichtern. Deshalb haben wir seit 2019 auch durch ein spezielles Förderprogramm für Thüringer Kommunen dafür gesorgt, dass die Gemeinden, Städte und Landkreise ihre IT-Ausstattung verbessern können, vor allem im Bereich der Basisanwendungen wie Dokumentenmanagementsysteme, Fachverfahren und e-Rechnung. Denn nur wenn Daten aus elektronischen Antragsprozessen auch elektronisch übernommen und weiterverarbeitet werden können, ergeben sich Erleichterungen und Effizienzgewinne, die in den Behörden wirken und die auch den Nutzerinnen und Nutzern von Verwaltungsleistungen zugutekommen.

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Die Beschränkung des Onlinezugangsgesetzes auf den Antragsprozess verengt hier manchmal den Blick. Das Thüringer E-Government-Gesetz enthält weitergehende verbindliche Vorgaben auch an die Ausgestaltung des weiteren Bearbeitungsprozesses.

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Dr. Hartmut Schubert

Denn eines müssen wir uns immer bewusst machen: Digitalisierung innerhalb der Verwaltung ist kein Selbstzweck. Wir müssen die Möglichkeiten digitale Werkzeuge vielmehr für drei Dinge nutzen:

  1. um den Zugang zu Verwaltungsleistungen zu erleichtern,
  2. um die Erreichbarkeit von Verwaltungsleistungen auch in der Fläche zu sichern,
  3. um die sorgfältige und effiziente Bearbeitung von Leistungsanträgen durch die Verwaltung auch für die Zukunft zu sichern.

Gerade bei letzterem Punkt sind die demografischen Realitäten und die Fachkräftesituation ein Treiber die Digitalisierung, auch wenn das derzeit nicht im öffentlichen Fokus steht.

Die Resonanz der Kommunen zur kostenfreien Bereitstellung des einheitlichen Antragsmanagementsystems ThAVEL ist weit überwiegend positiv. Insbesondere mit dem letzten Update im Jahr 2021 ist das System noch moderner und leistungsfähiger geworden. Dies bestärkt uns bei unseren Bestrebungen, das System gemeinsam mit den Kommunen weiterzuentwickeln. Ein Beispiel hierfür ist die noch in diesem Jahr zur Verfügung stehende Funktion zur Drittbeteiligung. Hierüber können künftig direkt, unabhängig von der Art des Antragsverfahrens, Auskünfte oder Stellungnahmen von am Verfahren zu beteiligenden Dritten eingeholt werden. Das erleichtert die Arbeit der Verwaltungen enorm und führt zu signifikanten Zeitersparnissen.

VdZ: Welche Verwaltungsleistungen wurden zuerst umgesetzt, welche werden folgen?

Dr. Schubert: Für uns gilt ganz klar: Vorrang haben diejenigen Leistungen, die am häufigsten nachgefragt werden. Hier müssen wir den Erwartungen der Menschen gerecht werden und uns an deren Alltag und Lebenssituationen orientieren. Die Corona-Pandemie hat uns noch einmal deutlich gezeigt, wo die Bedarfe liegen. Und nicht vergessen dürfen wir die Unternehmen. Denn auch das geht zuweilen etwas unter: Ein großer Teil von Verwaltungsleistungen wird im Verhältnis zwischen Unternehmen und Behörden erbracht. Gerade in diesem Bereich ist auch die Akzeptanz elektronischer Verfahren besonders hoch. Denn Unternehmen sind es heute schon gewohnt, etwa im Bereich der Steuern und der Sozialverwaltung ihre Angelegenheiten mit den Behörden elektronisch abzuwickeln. Und gerade der Bereich der Steuern zeigt ja auch, wie solche elektronischen Prozesse beiden Seiten Vorteile verschaffen.

Kein Alleingang bei Kooperationsmodellen für EfA-Projekte

Kein Alleingang bei Kooperationsmodellen für EfA-Projekte

Judith Gerlach, Staatsministerin für Digitales im Freistaat Bayern, im Kurzinterview

VdZ: Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Bürgerinnen und Bürger nutzen digitale Verwaltungsservices wenn sie wissen, dass es sie gibt. Wie wird Thüringen seine neuen digitalen Bürgerservices bekannter machen?

Dr. Schubert: Thüringen hat bereits seit einigen Monaten eine die Umsetzung des OZG begleitende Öffentlichkeitsarbeit vorbereitet. Diese besteht einerseits aus verschiedenen kleinen Erklärvideos, beispielsweise zur Registrierung für ein Servicekonto und Organisationskonto. Daneben werben wir sowohl über das Kompetenzzentrum Verwaltung 4.0 als auch den kommunalen IT-Dienstleister KIV bei den Kommunen für den Einsatz elektronischer Antragsverfahren und unterstützen diese auch mit entsprechenden Materialen für eine Bewerbung vor Ort. In den sozialen Medien (Facebook, Twitter etc.) werden ebenfalls aktuelle Erweiterungen der Online-Angebote oder auch Best-Practice-Beispiele vorgestellt und somit Transparenz sowohl für die Nutzenden als auch interessierte Kommunen geschaffen.

VdZ: Was könnte die Akzeptanz von digitalen Bürgerservices insgesamt erhöhen? Ließe sich beispielsweise das Vertrauensniveau für bestimmte Dienste senken, also vereinfachte Anmeldung statt Authentifizierung?

Dr. Schubert: Die Nutzerfreundlichkeit ist ein zentraler Aspekt, um Akzeptanz bei den Zielgruppen zu erreichen. Dazu gehören neben einer guten technischen Lösung auch die Antragsprozesse in Gänze zu hinterfragen und kritisch zu überprüfen. Dem Thema Vertrauensniveau  kommt dabei eine große Bedeutung zu. Ein Ziel muss es sein, entweder den elektronischen Prozess des Erreichens eines hohen Vertrauensniveaus so einfach und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten oder aber den Antragsprozess zu vereinfachen.

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Mir liegt dabei besonders am Herzen, von der in Teilen tradierten Sichtweise Abstand zu nehmen, dass unter jedem Antrag eine Unterschrift erforderlich ist. Hier müssen wir die Denkweisen innerhalb der Verwaltung verändern. Denn eine Unterschrift allein ist kein valider Identitätsnachweis.

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Dr. Hartmut Schubert

Daneben müssen wir, wie bereits zuvor dargestellt, die geschaffenen Online-Dienste stärker bewerben und leicht zugänglich machen. Hier sehe ich auch die Kommunen noch in der Pflicht nachzubessern. Wenn ich mich erst durch drei Menüs über zwei Unterseiten mit mehr als zehn Klicks bewegen muss, um zu einem Online-Antrag zu gelangen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Nutzenden bereits abgebrochen haben und den Antrag wieder in Papierform stellen werden. Letztendlich kommt es auch darauf an, dass wir es schaffen, dass Thüringer Nutzerinnen und Nutzer mit ihrem Servicekonto auch Leistungen in anderen Bundesländern oder bei den Bundesbehörden beantragen können, so dass der Mehrwert eines Servicekontos sichtbar wird. Die dafür auf Bundesebene notwendigen Arbeiten zur Interoperabilität werden hoffentlich in 2022 abgeschlossen sein.

VdZ: Zum Abschluss ein Ausblick ins Jahr 2023: Wenn Nutzerinnen und Nutzer am 1. Januar 2023 das Service-Portal Thüringen aufruft, woran werden sie merken, dass das OZG umgesetzt ist?

Dr. Schubert: Die Nutzenden werden bei der Suche nach Verwaltungsleistungen die elektronische Abwicklung angeboten bekommen und diese sodann auch hoffentlich nutzen. Damit ersparen sie sich den Weg zur und die Wartezeiten in der Behörde. Zudem werden sie komfortabel durch den Antragsprozess geleitet und erhalten im Nachgang den Bescheid oder eine Mitteilung in ihr elektronisches Postfach übersandt.