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"Es fehlt an Mut, Unsicherheit auszuhalten und dennoch zu handeln"

Dr. Ulrich Keilmann im Interview

Wie kann Verwaltung wirksamer, schlanker und zukunftsfähiger werden? Dr. Ulrich Keilmann vom Hessischen Rechnungshof zeigt im Interview auf, warum ein Kulturwandel nötig ist – und wie wirkungsorientierte Steuerung Bürokratie abbauen und öffentliche Aufgaben besser erfüllen kann.

Verwaltung der Zukunft: Sie plädieren für „mehr Steuerung und weniger Bürokratie“ - was sind für Sie die größten Hindernisse auf dem Weg dahin?

Dr. Ulrich Keilmann: Das größte Hindernis ist die strukturelle Fixierung unserer Verwaltung auf Input-Steuerung. Es geht zu oft darum, ob Mittel ordnungsgemäß verwendet wurden – nicht, ob mit ihnen tatsächlich gesellschaftlicher Mehrwert geschaffen wurde. Diese Ausrichtung ist historisch gewachsen, aber sie führt zu einer Detailversessenheit, die Steuerung durch Kontrolle ersetzt. Die Folge ist Bürokratie: Vorschriften, Dokumentationspflichten, Prüfprotokolle – all das wird zum Selbstzweck. Wir verlieren dabei aus dem Blick, was wir eigentlich erreichen wollen.

Ein zweites Hindernis ist der Mangel an geeigneten Daten und Zielsystemen. Wirkung ist oft schwer messbar – das stimmt. Aber der Umkehrschluss, sich damit gar nicht erst zu befassen, ist fatal. Wer nicht weiß, was er erreichen will, kann auch nicht effizient steuern. Es fehlt an Mut, Unsicherheit auszuhalten und dennoch zu handeln. Steuerung bedeutet auch, mit Wahrscheinlichkeiten und Zielabweichungen zu arbeiten – nicht alles ist exakt messbar, aber vieles ist beurteilbar.


Dr. iur. Ulrich Keilmann war 1990 zunächst im Bundesministerium der Verteidigung, ab 1991 im größten Finanzausschuss der NATO in Brüssel und ab 1994 in der Haushaltsabteilung des Bundesministerium der Finanzen. Ab 1997 Grundsatzreferent Haushaltsabteilung im Finanzministerium Rheinland-Pfalz. Ab 2009 Leitung Stabstelle sowie der KFA-Referate im Hessischen Ministerium der Finanzen. Seit 2013 Leiter der Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Präsidenten des Hessischen Rechnungshofs. Parallel seit 2002 Lehrbeauftragter an der DUV Speyer und zeitweise JGU Mainz.

VdZ: Wenn Sie die gegenwärtige Förderlandschaft betrachten: Wie könnte eine wirkungsorientierte Reform konkret aussehen, die Bürokratie reduziert, dabei Steuerungsfähigkeit erhöht?

Dr. Keilmann: Zunächst muss das Grundprinzip umgekehrt werden: Nicht die Förderfähigkeit eines einzelnen Euros ist nachzuweisen, sondern die Zielerreichung muss ins Zentrum gestellt werden. Heute dominieren Verwendungsnachweise, Belegpflichten und aufwendige Mittelabrufe die Praxis – das bindet Ressourcen, produziert Bürokratie und verhindert Innovation. Stattdessen sollten Zielvereinbarungen getroffen werden, verbunden mit einem Vertrauensvorschuss, den die fördernehmende Institution – oftmals selbst Körperschaften des öffentlichen Rechts – durch Wirkungsevidenz rechtfertigen muss.
Konkret bedeutet das: mehr pauschalierte Mittel, weniger Einzelverwendungsnachweise, dafür aber systematische Evaluationen und aussagekräftige Kennzahlen. Wir brauchen eine Kultur, in der Erfolge sichtbar gemacht werden – nicht nur, ob der Mittelabruf formal korrekt war. Die Steuerung erfolgt dann über Zielbeiträge, nicht über ordnungsgemäße Abrechnung.
Diese Form der Steuerung schafft Synergieeffekte: Weniger Personal wird für reine Kontrolltätigkeiten gebunden – ein wichtiger Aspekt angesichts der ohnehin knappen Personalressourcen in der Verwaltung. Gleichzeitig wird die Effektivität gesteigert, weil sich die beteiligten Akteure auf die eigentlichen Ziele konzentrieren können. Und auch die Effizienz wächst, weil Steuerung zielgerichteter erfolgt, Doppelstrukturen vermieden und Prozesse verschlankt werden. Kurz: Weniger Aufwand, mehr Wirkung.

VdZ: Wie definieren Sie „Wirkungsorientierung“ konkret – und warum fehlt sie Ihrer Meinung nach bislang im Verwaltungshandeln?

Dr. Keilmann: Wirkungsorientierung bedeutet für mich, dass Verwaltung nicht auf Prozesse und Vorschriften, sondern auf die gesellschaftlichen Ergebnisse ihres Handelns fokussiert. Es geht also darum, ob eine Maßnahme das bewirkt, was sie soll – nicht nur, ob sie korrekt umgesetzt wurde. Wirkung ist das Verhältnis zwischen Ziel und tatsächlichem Ergebnis, gemessen an einem gesellschaftlich legitimierten Anspruch.
Ein anschauliches Beispiel ist die Biogasanlage in Mühlheim am Main, die bereits 2012 im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler aufgeführt wurde. Die Anlage wurde mit öffentlichen Mitteln errichtet – formal korrekt, aber ohne die notwendige Anschlussnutzung. Sie ging nie in Betrieb und wurde später als Autohaus genutzt. Das zeigt: Es reicht nicht, Vorhaben umzusetzen – entscheidend ist, ob sie auch tatsächlich ihren Zweck erfüllen. Genau hier setzt Wirkungsorientierung an.
Warum fehlt das bislang? Weil unser Verwaltungshandeln auf Sicherheit und Rechtskon-formität ausgerichtet ist. Das hat seine Berechtigung, führt aber dazu, dass Steuerung sich auf das vermeintlich Objektive – Zahlen, Paragraphen, Regeln – zurückzieht. Wirkung hingegen ist relational und kontextabhängig. Es fehlt uns an Methoden, Vertrauen und vor allem an einem Kulturwandel. Führungskräfte müssen sich nicht nur als „Regelwächter“, sondern als „Ermöglicher von Wirkung“ verstehen

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VdZ: Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit der „Return on Society“ – also Wirkung statt nur Mittelabfluss – zur zentralen Steuerungsgröße in der Verwaltung wird?

Dr. Keilmann: Dazu braucht es erstens den politischen Willen. Solange Parlamente und Haushaltsgesetzgeber sich primär für Mittelabfluss interessieren, wird die Verwaltung folgen. Steuerung ist immer auch ein Spiegel politischer Erwartungen. Wir müssen deshalb auch den politischen Diskurs auf Wirkung ausrichten – nicht auf Mittelverwendung.
Zweitens braucht es geeignete Instrumente: Wirkungsindikatoren, Zielsysteme, lernende Evaluationen. Aber noch mehr braucht es einen Kulturwandel. Verwaltung muss lernen, mit Unsicherheit umzugehen, Wirkung zu hinterfragen, aus Fehlern zu lernen. Wir-kungsmessung darf nicht zur neuen Bürokratie werden – sondern zur Grundlage von Steuerungsintelligenz. Deswegen wär es auch so wichtig, Fördermaßnahmen auf die Zielerreichung umzustellen. Das würde die Denk- und Erwartungsstruktur positiv verändern.
Drittens braucht es neue Formen der Zusammenarbeit. Wirkung entsteht im Zusammen-spiel vieler Akteure. Eine Verwaltung, die Wirkung steuern will, muss zuhören, kooperieren und offen für Veränderung sein.

VdZ: Wie kann ein Rechnungshof zur Entbürokratisierung beitragen, ohne seine Kontrollfunktion zu verlieren?

Dr. Keilmann: Rechnungshöfe sind traditionell als Hüter der Ordnung und der rechtmäßigen Mittelverwendung bekannt – und das zu Recht. Aber in einer modernen Verwaltung ist ihre Rolle deutlich umfassender: Sie sind auch strategische Beratungspartner, die Impulse zur Weiterentwicklung geben können und sollen.

Wenn Entbürokratisierung ernsthaft gewollt ist, müssen Rechnungshöfe über die klassische Beanstandung hinausgehen und die Ursachen von Ineffizienz benennen. Genau das ist unser Ziel.  Wir wollen mit unseren vergleichenden Prüfungen Impulse für bessere Steuerung und weniger Bürokratie geben. Kontrolle muss nicht kleinlich und rückwärtsgewandt sein, sondern kann – im besten Sinne – dazu beitragen, Strukturen zu verbessern. Dazu braucht es jedoch ein erweitertes Selbstverständnis: nicht nur die Suche nach Fehlern, sondern das Aufzeigen von Potenzialen, das Erkennen systemischer Schwächen und das Formulieren von Handlungsempfehlungen.

Wir sind in Hessen sogar noch einen Schritt weiter gegangen und bieten unseren Kom-munen eine Beratung an, sofern sie dies wünschen. Hier können unabhängig von einer Prüfung konkrete Hinweise auf effizientere Verwaltungsabläufe, praxisnahe Empfehlungen zur Haushaltssteuerung oder zur wirkungsorientierten Mittelverwendung gegeben werden. Gerade kleineren Kommunen hilft dieser konstruktive Dialog, ihre Verwaltung zielgerichteter und einfacher zu organisieren, ohne auf Rechtssicherheit zu verzichten.
So kann der Rechnungshof nicht nur Kontrolle ausüben, sondern Vertrauen schaffen – und damit zu einem echten Partner für eine moderne, schlanke und wirkungsorientierte Verwaltung werden.

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Dr. Ulrich Keilmann auf dem 11. Zukunftskongress Staat & Verwaltung

🗓️ 24. Juni, 14:00 - 15:00 Uhr
➡️ Hier geht's zur Session

„Unternehmen Deutschland“: Neue Wirkungsorientierung bei Investitionen, Finanzierung und Verwaltungshandeln – Wie gelingt der Wandel?