Veränderung
© shutterstock_520346149

Vom digitalen Heute ins digitale Morgen - beyond Elektrifizierung

Ein Bericht aus dem 8. Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2022 von Horváth

Deutschland in Zeiten der strukturellen Digitalisierung: Weshalb funktioniert das so gut und warum stockt es zugleich? Die Antriebsräder und Bremsstellen der Veränderungen herauszukristallisieren, war Gegenstand des Plenumsworkshops der Horváth Management Beratung auf dem diesjährigen 8. Zukunftskongress Staat & Verwaltung. Über die Ergebnisse sprachen wir mit Frank Weise, Senior Advisor bei Horvárth.

Verwaltung der Zukunft: Sehr geehrter Herr Weise, können Sie kurz sich und Ihre Rolle bei Horvath beschreiben?

Weise: Ich arbeite für Horváth als Senior Advisor, also sehr erfahrener Ratgeber, im Bereich Public Sector und Health Care. Davor war ich lange Jahre Partner bei Horváth, bei pwc und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.

VdZ: Der Übergang ins Digitale – aus Sicht von Horvath eine Frage der Struktur und Organisation? Also geht eine technologische Debatte eigentlich in die falsche Richtung?

Weise: Nicht unbedingt. Unsere Beobachtung ist nur, dass die technologische Debatte eine notwendige ist – jedoch noch lange nicht hinreichend für eine wirklich digitale Verwaltung von Morgen. Wir erleben immer wieder, dass unsere Kunden eher „Elektrifizieren“ wollen als digitalisieren. Mit „Elektrifizieren“ meinen wir die eins-zu-eins Übersetzung von analogen Prozessen in technisch unterstützte Prozesse. Was nutzt es, wenn Daten für Anträge in Masken eingetragen werden können, im besten Falle noch plausibilisiert werden, dann aber als PDF ausgedruckt, händisch unterschrieben und physisch versendet werden müssen? Oder wenn eine online- oder Telefonberatung erfolgt, der eigentliche Prozess des Antrags aber nicht in den Prozess integriert ist? Bei einer Elektrifizierung entfallen in der Regel weder Schritte der Bearbeitung noch Schnittstellen, während bei einer echten Digitalisierung Prozesse verkürzt werden, Prüfungen an den richtigen Stellen erfolgen und nicht redundant sowie Schnittstellen und Medienbrüche eliminiert werden. 

Was die Beispiele zeigen, führt echte Digitalisierung zu erheblicher Entlastung und Beschleunigung. Das setzt jedoch voraus, dass man sich die Zeit nimmt, Prozesse im Detail anzuschauen und zu optimieren. Um dann die wesentlichen Effizienzpotenziale zu entdecken. Letztlich geht es darum, sich zu fragen, wie die Prozesse von Morgen gestaltet sein müssen, damit Beschäftigte möglichst entlastet werden für wertschöpfende Aktivitäten am „Kunden“ der Dienstleistung.

VdZ: Auf dem 8. Zukunftskongress 2022 haben Sie eine Umfrage gestartet, mit überraschenden Ergebnissen? Was befördert und was gefährdet demnach vorrangig den digitalen Übergang zusammengefasst?

Weise: Die Ergebnisse waren in der Tat teilweise sehr überraschend! Wir haben die interaktive Umfrage auf dem Zukunftskongress dafür genutzt, mit Blick auf die vergangenen Krisen zu fragen, was eigentlich trotz der vielen Herausforderungen besser gelaufen ist. Insgesamt wurde hier deutlich, dass die Organisationsformen und die Art und Weise der Zusammenarbeit eine sehr hohe Bedeutung: Pragmatismus, flexiblere Organisation und neue Arbeitsformen waren hier die wichtigsten Stichwörter.  

Damit ein Übergang in ein digitales Morgen gelingen kann, ist es dabei wichtig, das Engagement und die Motivation der Beschäftigten im Blick zu behalten. Vielen Beschäftigten wurde in den letzten drei Jahren eine Menge abverlangt im Zuge der Anpassung auf ein „New Normal“. Jetzt drohen weitere Ungewissheiten und Anpassungen mit Blick auf die Energiekrise. Diese Belastung muss von Führungskräften ernst genommen werden.  

Außerdem äußerten die Befragten die Sorge, dass nach den vielen positiven Veränderungen zu Beginn von Corona der Veränderungsdruck nachlässt.  

Die Kunst für die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung besteht aktuell in der Balance, notwendige Veränderungen aktiv weiter voranzutreiben und die Beschäftigten dabei nicht zu überfordern. Vernachlässigt man jedoch einen der beiden Faktoren, führt das entweder zu Stillstand oder zu Frustration.

VdZ: Ein Wort zum Begriff der Resilienz. Warum ist dies jetzt so wichtig?

Weise: Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen zu meistern, diese mithilfe von persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten zu bewältigen. Das ist in diesen Zeiten essenziell. Denn anders als in der Vergangenheit wird es in Zukunft immer schwieriger vorauszusagen, welche Herausforderungen uns nächstes Jahr, nächsten Monat erwarten. Daher ist es ungemein wichtig, dass Beschäftigte sich in der Lage fühlen, mit dieser Unsicherheit zu umzugehen. Dieser Trend wird sich nämlich vermutlich noch weiter verstärken.  

Anders gesagt: wir wissen, dass wir nicht wissen, was auf uns zukommen wird. Statt jedoch zu versuchen, die Zukunft zu erahnen, müssen wir jetzt die Weichen für die persönliche Resilienz der Mitarbeitenden, aber auch eine flexiblere, anpassungsfähigere und resilientere Arbeitsorganisation stellen. Nur so sind wir vorbereitet, wenn das Ungewisse gewiss wird.

VdZ: Wenn Sie in die Zukunft schauen und jetzt schon an den 9. Zukunftskongress 2023 denken, wie wird das Ergebnis einer ebensolchen Umfrage dann vermutlich aussehen?

Weise: Das hängt stark davon ab, wie wir als Gesellschaft durch diesen Winter kommen. Die aktuelle Energiekrise enthält eine Menge Sprengkraft und auch die Pandemie ist alles andere als bewältigt. Meine Erwartung ist, dass Organisationen in den kommenden Monaten erneut rasch, vielleicht noch rascher auf Anpassungen reagieren müssen. Das Thema flexible Anpassungsfähigkeit wird daher sehr wahrscheinlich an Aufmerksamkeit gewinnen. Der klare Blick, die Resilienz und der Pragmatismus werden die Erfolgsfaktoren sein. 

General Eisenhower hat während des zweiten Weltkrieges einmal gesagt: „Plans are worthless, planning is everything“. Das galt damals wie heute. Statt jede Eventualität zu antizipieren, müssen wir die Beschäftigten und Organisationen dazu befähigen, in den wesentlichen Momenten richtig, flexibel und schnell zu reagieren.