Der Digital Justice Summit öffnete dieses Jahr erstmalig im Berlin Marriott Hotel am Potsdamer Platz seine Türen für Teilnehmende aus der Justiz, Anwaltschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.
Vom 24. - 25. November standen die Modernisierung der Justiz, insbesondere unter dem Aspekt des Zugangs zum Recht für die Bevölkerung durch über 30 Foren und Best Practices im Fokus.
Zu den Referierenden zählten unter anderem Staatsminister Georg Eisenreich, Ministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken, Ministerialdirektor Elmar Steinbacher, Dr. Beatrix Schobel, Minister Dr. Benjamin Grimm und Staatssekretärin Dr. Daniela Brückner. Zudem brachte Michele DeStefano, Professorin an der Harvard Law School und Gründerin von LawWithoutWalls vergleichende Einblicke direkt aus der Justizbranche der USA.
Eine besondere Ehre war außerdem der Besuch der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Stefanie Hubig, die sich in einem besonderen Dialog über die Zukunft der (digitalen) Justiz äußerte.
In diesem Jahr wurden vor allem Themen beleuchtet wie der Pakt für den Rechtsstaat, die bundeseinheitliche Justizcloud & föderale IT-Konsolidierung, Künstliche Intelligenz, Rulemapping, Fachkräftemangel und die gemeinsame Bund-Länder-Strategie.
Die wichtigsten Learnings des 4. Digital Justice Summits
Bürger*innen wollen lieber „schnell + KI“ als „langsam + Mensch“
Die Bevölkerung bevorzugt oftmals eine schnelle KI-Empfehlung mit Einspruchsmöglichkeit gegenüber monatelangen Wartezeiten.
Digitalisierung funktioniert ohne effiziente IT-Infrastruktur nicht
- Fachverfahren basieren teils noch auf 1990er-Architekturen.
- E-Akte bildet veraltetes Papier nach – nicht digitale Prozesse von heute.
- 16 parallel getestete Länder-Implementierungen verhindern Skalierung.
Die Justizcloud bietet die Möglichkeit, das föderale System funktionsfähig zu harmonisieren, oder in den Worten auf einem der Panel: „Eine einmalige Chance, die Fehler der Vergangenheit auszubügeln.“
Die größte Gefahr für den Rechtsstaat ist Ineffizienz
Ein Rechtsstaat, der zu langsam, zu schwerfällig und zu analog ist, verliert Legitimation. Die Bedrohung für den Rechtsstaat ist hausgemacht: ineffiziente Strukturen, fragmentierte IT, fehlende Datenflüsse und unklare Prozessordnungen. Das zeigen:
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1 Mio. offene Verfahren (laut des Deutschen Richterbunds)
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Rückgang der Zivilverfahren wegen zu langer Bearbeitungszeiten
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unzureichende digitale Kommunikation
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Medienbrüche zwischen Polizei – Staatsanwaltschaft – Gerichten
Der Rechtsstaatspakt ist eigentlich ein Modernisierungspakt – und die Modernisierung des Prozessrechts ist mit das mächtigste Digitalisierungsinstrument
Der Pakt für den Rechtsstaat besteht aus den drei Säulen:
- Digitalisierung
- Personelle Stärkung
- Beschleunigung und Vereinfachung von Verfahren
Die dritte Säule ist die entscheidende – und sie kostet nichts. Prozessordnungen und der Zivilprozesses müssen reformiert werden, durch einen maschinenlesbaren Parteivortrag, neue Kommunikationsmöglichkeiten und klare einfache Verfahrensregeln. Auch die außergerichtliche Streitbeilegung muss gestärkt werden, unter anderem mit digitalen Tools.
Rulemapping als unterschätztes Tool
Die Diskussion hat gezeigt: 80 % juristischer Entscheidungen beruhen auf deterministischen, regelbasierten Tatbeständen, nicht auf unbestimmten Rechtsbegriffen.
Für diesen riesigen Bereich können Tools wie Rulemapping helfen, die deterministisch, transparent, überprüfbar, und sofort änderbar sind. Am Ende trifft auch hier immer noch der Mensch die letzte Entscheidung.
Digitalisierung ist keine technologische Frage, sondern die neue HR-Strategie der Justiz.
Die Justiz kann den Nachwuchs nicht mehr durch Werte oder Prestige gewinnen. Nur durch moderne Arbeitsbedingungen. Justiz ist für viele „Plan B“, Bewerbungen werden abgebrochen, weil Prozesse zu analog sind, Homeoffice und digitale Tools sind Mindeststandard – wie die Justiz attraktiver werden kann, hier im Artikel mit Talent Rocket zur Studie mit Wegweiser zur Attraktivität der Justiz als Arbeitgeber.
Die Justizcloud und Justizplattform denken den Föderalismus funktional statt fragmentiert
16 Zuständigkeiten – 1 technische Basis und 1 Lösung. Während Föderalismus oft als Hemmschuh genannt wird, können durch eine gemeinsame Plattform die Kräfte einfach gebündelt werden. Das löst strukturell Probleme der Skalierung, Abhängigkeit von Landes-IT, Schnittstellen, gemeinsame Standards und digitale Souveränität.
Was zählt, ist die Bürgerperspektive. Digitalisierung der Justiz ist zuerst ein Serviceprojekt – erst dann ein Technikprojekt.
Bürger*innen sind digitale Services gewöhnt – Justiz ist hier jedoch weit entfernt von den Standards. Bei jedem Prozess sollte an erster Stelle stehen, was aus Sinn der Bevölkerung das Wichtigste ist. Zudem wurde festgestellt: „Wir machen viel zu sehr diejenigen zur Norm, die kein digitales Gerät anfassen wollen.“
Die Justiz kann schon heute – ohne teure Technik – zugänglicher werden, beispielsweise durch leichte Sprache oder automatische Übersetzungsmöglichkeiten.
Der Engpass ist nicht die Technologie – sondern die Veränderungsfähigkeit der Organisation.
10 Jahre Pilotphasen, Angst vor Innovation, fehlende Priorisierung zwischen Bund und Ländern: Es fehle an Mut zu Entscheidungen, die Widerspruch auslösen. Man solle „Nicht überlegen, was nicht geht – überlegen, was gehen könnte.“
Die größten Digitalisierungstreiber kommen aus der Realität, nicht aus der Politik
Der Bedarf und Druck durch Diesel-Massenverfahren, Asylverfahren, überlastete Gerichte, Bürgerbeschwerden erlaubt keine Alternative.
Die Justiz muss auch nicht entscheiden, ob KI kommt – sie muss nur entscheiden, wie kontrolliert und verantwortungsvoll sie genutzt wird. KI wird in Kanzleien und Universitäten längst genutzt, auch wenn es „offiziell“ nicht vorgesehen ist. Der Nachwuchs versteht KI intuitiv und erwartet sie.
CourtnAI als Publikumsliebling ausgezeichnet
Die drei diesjährigen Gewinner des Digital Justice Award erhielten die Möglichkeit, ihre Projekte live vor Ort der DJS-Community in 5-Minuten-Pitches vorzustellen. Das Publikum stimmte dann für ihren Favoriten.
Als Publikumsliebling konnte schließlich Laura Hannawald mit dem Projekt CourtnAI überzeugen. CourtnAI wurde in Kooperation des Niedersächsischen Justizministeriums und dem Technologiepartner World of VR GmbH entwickelt und ermöglicht realitätsnahe, KI-gestützte Gerichtssimulationen. Mit dieser VR-Anwendung wird der Nachwuchs der Jusitz befähigt, Gesprächsführung, Fragetechnik und Stressresistenz realitätsgetreu zu trainieren.
Mehr Informationen zu den diesjährigen Gewinnern gibt es auch im VdZ-Artikel "Digital Justice Award 2025: Die Gewinnerprojekte im Überblick".
Mit dem Wunsch nach Mut und Optimismus in die Zukunft
Die Digitalisierung der Justiz ist längst kein Zukunftsthema mehr, sondern eine unmittelbare Notwendigkeit. Künstliche Intelligenz kann Prozesse effizienter gestalten, Qualität sichern und die Zugänglichkeit der Justiz verbessern, sie ersetzt jedoch nicht die menschliche Entscheidungsgewalt. Wichtig ist, dass Innovation und rechtsstaatliche Kontrolle Hand in Hand gehen und bestehende rechtliche Rahmenbedingungen gelebt werden. Entscheidend bleibt, dass die Transformation der Justiz stets am Bedarf der Menschen orientiert ist.
Die Herausforderungen für den Rechtsstaat und unsere Demokratie sind derzeit größer denn je. Doch ihre Bewältigung ist nur im gemeinsamen Miteinander möglich. Trotz der enormen Aufgaben herrschte zwischen den Panels spürbarer Optimismus, dass diese Herausforderungen gemeistert werden können. Mit einer neuen Infrastruktur für das Recht soll die Transformation gelingen. Wie schnell die Modernisierung der Justiz voranschreitet, wird beim 5. Digital Justice Summit vom 23.–24. November 2026 erneut diskutiert.