Schneider

„Zuverlässiger Zufahrtsschutz ist keine triviale Polleritis“

Im Interview: Christian Schneider, Sachverständiger für normkonformen Zufahrtsschutz

Der Fahrzeugangriff auf den Rosenmontagsumzug in Volkmarsen knüpft an einer Reihe ähnlicher Vorfälle an. Der Schutz solcher Festumzüge und öffentlicher Plätze ist eine Herausforderung, die über das Aufstellen von Barrieren hinausgeht. Christian Schneider erläutert den Prozess, an dessen Ende aufeinander abgestimmte technische, organisatorische und personelle Maßnahmen stehen.
Christian Schneider ist Sachverständiger für kinetische Energieabsorption & normkonformen Zufahrtsschutz sowie Dozent für Zufahrtsschutz an der Württembergischen Verwaltungsakademie. Er war Initiator der „Initiative Breitscheidplatz“, eines interdisziplinären Expertenforums für nachhaltigen Zufahrtsschutz, mit dem Anliegen, einschlägige Expertise und Erfahrungen zu teilen, um diese nachhaltig zur Entwicklung stadtbildverträglicher Sicherheits- und Zufahrtsschutzkonzepte gegen extremistische Fahrzeugangriffe einzusetzen. Er erstellt detaillierte Zufahrtsschutzkonzepte und hat sich international Akzeptanz und fundierte Reputation als Experte für normgemäßen Zufahrtsschutz erarbeitet.

VdZ: Seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz 2016 setzen Sie sich im Rahmen der „Initiative Breitscheidplatz“ für einen wirksamen Zufahrtsschutz ein. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon hörten, dass gerade erst ein Auto in den Rosenmontagsumzug in Volkmarsen gerast ist?

Schneider: Als ich die erste Nachricht über den Vorfall in Volkmarsen erhielt, fühlte ich Angst, Entsetzen und Ernüchterung.

Angst um die betroffenen Menschen, weil ein Fahrzeug immer eine grässliche und äußerst tödliche Tatwaffe ist und ich daher Angst um die betroffenen Menschen hatte.Entsetzen, weil mich 2016, nach dem Anschlag am Breitscheidplatz, ein kleiner Junge dazu motiviert hatte, meine ganze Kraft und mein Wissen zur Vermeidung von Überfahrtaten einzusetzen und nun in Volkmarsen ausgerechnet sehr viele Kinder aus ihrer Kindheit gerissen wurden und direkt oder indirekt von der Tat betroffen sind.

Ernüchterung, weil die Büchse der Pandora nun auch in Deutschland endgültig geöffnet scheint und schrecklich offenbar wurde, dass die entsetzliche Tatwaffe „Kraftfahrzeug“ von allen Täterschichten ganz leicht beschafft und ohne nennenswerte Vorbereitung für schwere Straftaten genutzt werden kann.

VdZ: Kann man solche Veranstaltungen vollumfänglich schützen?

Schneider: Festumzüge und öffentliche Plätze sind sogenannte „weiche Ziele“, für die besonders hohe Anforderungen zu beachten sind. Festumzüge wurden bereits im Jahr 2016 durch extremistische Online-Magazine als bevorzugte Angriffsziele empfohlen. Daher gibt es auch von unserer Seite entsprechende Planungen und Methoden, Festumzüge nachhaltig zu schützen. Natürlich sind Festumzüge wegen ihrer dynamischen Ausdehnung und hohen Personendichte immer eine besondere Herausforderung, aber sie sind mit entsprechenden technischen und personellen Maßnahmen schützbar.

VdZ: Es gibt eine ganze Reihe von Herstellern, die mobile Barrieren unterschiedlichster Art anbieten – und stets behaupten, ihr System sei das Beste. Mal erinnern sie an einen Gartenzaun, mal an ein Hochsicherheitsgefängnis. Gibt es die eine Universallösung?

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Wer beim Zufahrtsschutz nur in Barrieren denkt, der glaubt womöglich auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

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Schneider: Wer beim Zufahrtsschutz nur in Barrieren denkt, der glaubt womöglich auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Nein, ernsthaft, zuverlässiger Zufahrtsschutz ist keine triviale Polleritis, sondern ein durchdachter Prozess, an dessen Ende aufeinander abgestimmte technische, organisatorische und personelle Maßnahmen stehen. Die Universallösung ist also ein kompetent durchgeführter Prozess. Eine Universal-Barriere gibt es nicht.

VdZ: Wie sollten Polizeien, Kommunen, Behörden vorgehen, um Großveranstaltungen gegen Fahrzeugangriffe abzusichern?

Schneider: Die Polizeien, die Kommunen und Behörden sind schon seit geraumer Zeit informiert und beachten die Prozesse und Maßnahmen zum Schutz gegen Überfahrtaten. Genaueres können hier sicherlich die LKAs berichten.

Natürlich findet man auch noch Unsicherheiten, doch zeigen die Teilnehmer(innen) in meinen Seminaren in Zahl und Vorwissen aber, dass man mit Hochdruck an vielfältigen Maßnahmenpaketen arbeitet. Das richtige Vorgehen ist m.A.n. in jedem Fall, keine Großveranstaltung ohne ordentliches Zufahrtsschutzkonzept zu planen und durchzuführen.

 

VdZ: Wie ist die Rechtslage? Gibt es konkrete Normen, die zu berücksichtigen sind, und wer ist dafür verantwortlich, evtl. sogar haftbar, wenn eine Absicherung nicht dem Stand der Technik entspricht bzw. bei einem Angriff nicht wirksam ist?

Schneider: Ich bin kein Jurist, der Ihnen diese Frage erschöpfend beantworten könnte. Als Techniker halte ich mich grundsätzlich an die allgemein anerkannten Regeln der Technik, um höchstmögliche Sicherheit zu erreichen.

Diese Regeln sind in einem international angewendeten Standard, der ISO IWA 14-2, festgelegt. Bei diesem bemerkenswert pragmatischen Standard handelt es sich um das globale Expertenwissen aus über 35 Jahren praktischer Erfahrung, und im Interesse der Sicherheit aller kann ich jedem, der bei der Planung, Aufbau und Ausführung von Zufahrtsschutzmaßnahmen beteiligt ist, nur empfehlen sich an diesen internationalen Standard zu halten.