New Work in Behörden
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Projekt AgilKom: Veränderungen für den Public Sector

Im Interview spricht Prof. Anja Seng über Experimentierräume für die Stadt Essen und die Kommune Soest, die agiles Handeln und Arbeiten ermöglichen

Allerorten wird über die Dringlichkeit des digitalen Wandels in der Verwaltung gesprochen und die meisten Fachleute sind sich darüber einig, dass damit auch ein Kulturwandel einhergehen muss. Wie aber kann dieser gelingen? Dazu gibt es unterschiedliche Überlegungen und Methoden, viele jedoch fokussieren auf Agilität im Denken, Handeln, Arbeiten und Führen. Das Projekt Agilkom hat mit der Stadt Essen und der Kommune Soest Lösungsansätze entwickelt, wie dies funktionieren kann. VdZ sprach mit Prof. Anja Seng von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management, die das Projekt AgilKom wissenschaftlich begleitet hat.

Frau Prof. Seng, Sie waren am Projekt AgilKom beteiligt, mit dem agiles Handeln und Arbeiten im Öffentlichen Sektor erprobt wurde. Welches Fazit würden Sie insgesamt ziehen? Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? 

Die Chancen, die solche Experimentierräume bieten, wie wir sie mit AgilKom haben gestalten können, sind gut, richtig und wichtig, um Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung wirklich zu ermöglichen. Es gilt, den Spagat zwischen etabliertem Vorgehen und neuen Arbeitsweisen zu schaffen – dafür einen geschützten Raum anzubieten, ist ein hilfreiches Konstrukt.

Die Sketchnote, die während der Abschlussveranstaltung zum Projekt AgilKom im Dezember 2021 erstellt wurde, greift dazu einige wichtige Aspekte heraus. Ich würde zusammenfassen, dass agile Arbeitsweisen interessante Möglichkeiten bieten, mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen und mit unserer hochdynamischen Umwelt zu interagieren. Es ist eine neue Flexibilität gefragt. Wir haben während der Projektlaufzeit vielfältige fördernde und hemmende Faktoren identifizieren können, die bei der Einführung agiler Ansätze zu berücksichtigen sind. Ich möchte besonders darauf verweisen, dass neben einer grundlegend offenen Haltung gegenüber Veränderung – insbesondere bei den Führungskräften – eine methodische Kompetenz bei allen Beschäftigten nötig ist, um zukunftsgerichtete Transformation zu ermöglichen.

Opening Session von Prof. Dr. Gottfried Richenhagen und Prof. Dr. Anja Seng. Die Sketchnote wurde von Birgit Schiche gezeichnet.

Welchen Beitrag hat die FOM dabei geleistet?

Mit dem Forschungsteam des ifpm Institut für Public Management konnten wir in den Praxisorganisationen unabhängig von etablierten Strukturen und üblichen Prozessen Fragen stellen, Impulse geben und Denkanstöße liefern. So war es möglich, bestehenden Perspektiven zu erweitern und neue Herangehensweisen gemeinsam zu erarbeiten. Im Sinne der sogenannten Aktions- und Handlungsforschung arbeiten wir immer direkt im Feld, also vor Ort bei den kommunalen Partnern an echten Alltagsfragen und mitten in der üblichen Umgebung. So können wir die Interventionen bestmöglich an das anpassen, was wir vor Ort sehen und beobachten – und so gemeinsam Entwicklung ermöglichen.

Konkret ging es bei AgilKom darum, in der Stadt Essen und im Kreis Soest praktische Lösungsansätze zu entwickeln und zu erproben. Welche waren das?

Zielsetzung war es, für agile Arbeitsweisen zu sensibilisieren, neue Methoden zu vermitteln und Ansätze zu identifizieren, in denen diese neuen Ansätze nützlich sind, um in unserer „VUKA-Welt“ den Verwaltungsauftrag bestmöglich zu erfüllen. Die Volatilität „da draußen“ erfordert beständige Flexibilität, die Unsicherheit benötigt Anpassungsfähigkeit, die Komplexität erfordert siloübergreifende Zusammenarbeit und die Ambiguität stellt hohe Anforderungen an alle Beschäftigten, vor allem an Führungskräfte.

Nun aber konkret: In Essen haben wir beispielsweise gemeinsam mit der Gleichstellungsstelle die Workshopreihe „Agile Impulse“ aufgelegt, um mit weiblichen Führungskräften gerade zu Beginn der Corona-Pandemie Austausch zu Führung auf Distanz, virtuelle Meetings und die Chancen verschiedener Tools zu ermöglichen. So waren sie gut aufgestellt, um in der neuen Arbeits- und Lebenssituation ihre Teams zu inspirieren und die Leistungsbereitschaft zu erhalten. Im Kreis Soest wurde beispielsweise eine sozialpartnerschaftliche Vereinbarung wertebasiert und agil entwickelt, die den Mitarbeitenden das mobile Arbeiten ermöglicht. In den ifpm Forschungseinblicken kommen übrigens die Projektpartner zu Wort und berichten von ihren Erfahrungen.

Unterschieden sich die Ansätze im Kreis Soest von denen in der Großstadt Essen? Gibt es strukturelle Unterschiede zwischen Stadt- und Kommunalverwaltungen, die beim Thema Agilität bedacht werden müssen?

Ich denke, jede Organisation hat ihre Besonderheiten, die bei der Implementierung agiler Arbeitsweisen zu bedenken sind. Hier kommt es besonders auf die Einstellung der Führungskräfte an – in der einen Organisation haben wir eher einen Top-Down-Ansatz erlebt mit einer relativ klar definierten Experimentiergruppe; in der anderen ging es zunächst eher breit von unten nach oben – wobei sich später die oberste Leitung massiv für das Experimentieren mit neuen Arbeitsweisen ausgesprochen hat. Dennoch konnten wir die fördernden und hemmenden Faktoren übergreifend ableiten – sie kommen nicht nur aus den beiden Praxisorganisationen, sondern sind in verschiedenen interaktiven Formaten mit Akteur:innen anderer Verwaltungen kommunaler, landes- und bundesbehördlicher Ebenen überprüft und reflektiert worden. Unabhängig von der jeweiligen Verwaltungsform bieten sie gute Leitplanken bei der Einführung agiler Arbeitsweisen.

Wie geht es weiter? Werden Soest und Essen die „Innovationlabs“ dauerhaft implementieren? Sind Weiterentwicklungen geplant?

 Ja – ich hoffe sehr, dass es weitergeht! In der einen Praxisorganisation wurde basierend auf der Experimentierklausel Agiles Arbeiten, die für das Projekt definiert wurde, eine Rahmendienstvereinbarung entwickelt. In der anderen stand am Ende des Projekts der Auftrag der obersten Leitung, die Etablierung agiler Arbeitsweisen systematisch voranzutreiben, dies in eine Personalentwicklungsstrategie einzubetten und operative Trainingsformate anzubieten. Die Experimentierräume haben bei den Praxispartnern also genau das erreicht, was sie sollten: Erproben ermöglichen, Sensibilisierung erreichen und Passendes aus der jeweiligen Organisation abzuleiten. Wir konnten auch andere Organisationen für die Chancen der Experimentierräume begeistern – und bereiten uns aktuell auf ein Nachfolgeprojekt mit Behörden auf Landesebene vor.

Vielen Dank!

Der 8. Zukunftskongress Staat & Verwaltung widmet sich der Agilität im Verwaltungsalltag am 20.6.2022, 14.15 - 16.15 Uhr, bcc - Berlin Congress Center 

Link zum Zukunftsdialog: Im Realitätscheck: Agilität im Verwaltungsalltag aus unterschiedlichen Perspektiven. Zukunftsdialog mit Praxisbeispielen aus dem INQA geförderten Projekt „Experimentierräume in der agilen Verwaltung“ (AgilKom)