Exzellenz-Initiative
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"Eine Exzellenz-Initiative!"

Wie sich Behördenchefs und Minister für Government Innovation Labs bewerben könnten / Ein Interview mit Dr. Sebastian Muschter

Die Motivation für die Chefriege in Politik und Verwaltung wäre einfach, erklärt Sebastian Muschter: Mehr Stellen, viel positive Publicity und ein absehbarer Transfer von Innovationen in das eigene Regelgeschäft. Warum die Behörde der Zukunft doch nicht so einfach ist, verrät der Organisationsexperte im Gespräch mit „Verwaltung der Zukunft“.
Dr. Sebastian Muschter war langjähriger Berater bei McKinsey, übernahm während der Flüchtlingskrise die Leitung des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LAGESO) und ist seit 2017 bei der Bertelsmann Stiftung zuständig für den Bereich "Transfer & Scale".
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Verwaltung der Zukunft: Herr Muschter, die Gründung neuer Behörden – ist das hierzulande überhaupt ein Thema?  

Muschter: Ja, es kommt regelmäßig vor, dass neue Ämter und Einrichtungen entstehen oder fusioniert werden. Ich denke dabei z. B. an das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Berlin, an die neue Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) in München oder – schon ein wenig länger her – an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA), die im Zuge der Riester-Rente gegründet wurde. Auch Fusionen kommen vor, so z.B. im Rahmen der IT-Konsolidierung von Bund und Ländern.

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„Zukunftsfest“ hieße u.a., dass man für diese Querschnittsaufgaben intern nur eine Kopfstelle aufbaut, und die eigentlichen Services von externen öffentlichen Dienstleistern erhält. 

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VdZ: Sind die jüngsten Gründungen denn so aufgestellt, dass man sie nach heutiger Erkenntnis als „zukunftsweisend“ beschreiben kann?

Muschter: Da sehe ich durchaus Probleme. Bei Gründung einer Einrichtung sind die ersten 30 bis 50 Mitarbeiter ausschließlich mit den Basisfunktionen beschäftigt, die jede Behörde braucht, unabhängig von ihrer Aufgabe. Das sind z. B. die Bereiche Personal, Finanzen, Haushalt – klassischerweise in der „Abteilung Z“ gebündelt. Diese Leute sind für die eigentliche Fachaufgabe der Behörde „verloren“. „Zukunftsfest“ hieße dagegen u.a., dass man für diese Querschnittsaufgaben intern nur eine Kopfstelle aufbaut, und die eigentlichen Services von externen öffentlichen Dienstleistern erhält. 


Eine Behörde muss künftig immer mehr beides können „Tagesgeschäft“ und „Change“. Dieser Anspruch fällt bestehenden Institutionen schwer und muss meist mühsam von außen hineingebracht werden. Eine neue Behörde könnte dieses Denken von Beginn an verinnerlichen – und so die Change nutzen, effektiver zu werden.
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VdZ: Was müsste eine neue Einrichtung in jedem Fall mitbringen?  

Muschter: In Behörden geht es zum einen ums Tagesgeschäft und darum, die Kunden von heute mit den heutigen Prozessen und Produkten zu bedienen. Ich nenne das gerne „Run“. Zum anderen geht es um „Change“ – darum, dass die Behörde etwa künftiges Kundenverhalten, digitalere Prozesse oder mögliche politische Veränderungen vordenkt und einbezieht. Eine Behörde muss künftig immer mehr beides bedienen können. Dies fällt bestehenden Behörden sehr schwer und muss meist mühsam von außen hineingebracht werden. Eine neue Behörde könnte dieses Denken von Beginn an verinnerlichen – und so viel effektiver werden!

VdZ: Was halten Sie davon, eine Test-Behörde auf der „grünen Wiese“ zu gründen? Reale Mitarbeiter, die sich bewerben können, um mit den neusten Tools auf rechtstaatlicher Basis Vorgänge und Prozesse zu simulieren und dann auch umzusetzen...

Muschter: Den Gedanken halte ich grundsätzlich für sehr angebracht. Bildlich gesprochen haben wir in Deutschland nämlich das Problem, dass die vielen „Leuchtturmprojekte“ den umliegenden Raum nur sehr begrenzt erhellen. Und nach der Förderperiode ist ohnehin alles wieder dunkel. Wir müssen also den Transfer guter Ideen in das Regelsystem viel stärker durchdenken! Ich halte hier aber Behörden im „Echt-Einsatz“ als Testbett für sinnvoller – das verhindert, dass ein Rechnungshof später moniert, das Geld sei für ein komplett künstliches Szenario verschwendet worden. 

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In einer Initiative könnte der Bund 50 bis 100 Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene vielleicht je nach Größe bis zu 30 Prozent zusätzliche Stellen gewähren, wenn sie eigene „Government Innovation Labs“ gründen.

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VdZ: Viele Behörden sind mit ihren Aufgaben ausgelastet – wie stellen Sie sich einen solchen „Live-Einsatz“ vor? 

Muschter: Eine Exzellenz-Initiative für Behörden wäre sicherlich gut geeignet. Darin könnte der Bund 50 bis 100 Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene vielleicht je nach Größe bis zu 30 Prozent zusätzliche Stellen gewähren, wenn sie eigene „Government Innovation Labs“ gründen. Zusammen müssten diese Einrichtungen das Leistungsportfolio der öffentlichen Hand möglichst gut abdecken. So könnten immer drei, vier Behörden gleichzeitig und dezentral an dergleichen Problemstellung tüfteln und auch lokale Startups einbeziehen. Die beste Lösung müsste dann im Rahmen eines zentralen Innovationsmanagements verbreitet werden.     

Muschter: Wie kämen die Behörden in einem solchen Szenario denn zur Ihrer Aufgabe und was wäre die Motivation der Leitungsebene?  

VdZ: Sie müssten in einem Bewerbungsprozess zeigen, wie sie konzeptionell an die Problemstellung herantreten würden. Welche Kundengruppen können sie adressieren und wie später auf andere Gruppen ausrollen? Welches Personal mit welchen Qualifikationen soll im Lab mit welchen Berührungspunkten zu den bisherigen Behörden arbeiten? Mit einem Konzept rund um diese Fragen könnte sich der Leiter einer nachgeordneten Ministerialbehörde z. B. immer im Tandem mit seinem Minister bewerben.  

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Wir brauchen Macher, die etwas vorantreiben wollen!

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Die Motivation für die Chefriege ist einfach: Mehr Stellen, positive Publicity als „Innovator“ sowie ein absehbarer Transfer von Innovationen in das Regelgeschäft. Natürlich ist nicht jeder Vorstand, Präsident oder Direktor damit zu überzeugen – deshalb ist die freiwillige Bewerbung wichtig. Wir brauchen Macher, die etwas vorantreiben wollen!

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Auf der Arbeitsebene ist Motivation und Innovationsbereitschaft viel höher, als man gemeinhin denkt.

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VdZ: Für wie realistisch halten Sie ein solches Verfahren?

Muschter: Ich denke, genug Freiwillige finden Sie allemal – auf der Arbeitsebene ist Motivation und Innovationsbereitschaft viel höher, als man gemeinhin denkt. Aktuell kursiert eine Art White-Paper, in dem ein Referatsleiter aus dem Bundesumweltministerium ein solches „Government Innovation Lab“ zumindest skizziert.

In anderen Ländern wie Israel ist man weiter. Die Regierung hat dort die Digitalisierungsverantwortlichen der größten Behörden eingeladen, sich zu bewerben, um Mitglied eines Leistungszirkels zu werden. Die Teilnehmer dieser Gruppe werden von Entrepreneuren trainiert und einmal im Jahr gibt es eine Schulung an der Harvard Business School, um dort weiter vernetzt und ausgebildet zu werden. Das ist ein Riesenanreiz! Darüber hinaus gibt es einen für das kleine Land sehr großen Topf, mit dem Projekte in Behörden zwischen 50 und 90 Prozent gefördert werden, wenn sie in die israelische Digitalstrategie passen. 

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Die israelische Regierung hat die Digitalisierungs-verantwortlichen der größten Behörden eingeladen, sich zu bewerben, um Mitglied eines Leistungszirkels zu werden.

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VdZ: Sind denn neue Arbeitsweisen, die vielfach aus der Startup-Szene kommen, mit dem bisherigen Verwaltungspersonal überhaupt zu machen?

Muschter: Künftig braucht es gemischtere Teams. Darunter sicherlich weiterhin den erfahrenen Verwaltungsjuristen, genauso aber einen Manager, der in einem Dienstleistungsunternehmen gearbeitet hat und gemeinsam mit Prozessdesignern Kundenprozesse aufsetzen kann. Wir müssen zudem versuchen, über die klassischen Lösungswege hinauszudenken. Dafür ist es notwendig, auch Berufsbilder einzubeziehen, die in der Verwaltung bislang nicht vorkommen. So gab es zu meiner Zeit als Leiter des damaligen Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LAGESO) das Problem, dass Tausende Flüchtlinge auf das Behördengelände strömten und versorgt werden mussten. Die ungewohnte Idee, Event Manager dafür zu beauftragen, passte zunächst nicht in die Personalausschreibungen. Doch genau solche Organisationsexperten mit Kenntnissen auch aus den Bereichen Crowd Control und Sicherheit brauchten wir.    

Die deutsche Verwaltung fußt bereits stark auf auswärtigen IT-Leuten, die innerhalb tariflicher Strukturen nicht mehr zu bekommen sind. Muschter empfiehlt, die den öffentlichen Sektor z. B. auch für Geisteswissenschaftler zu öffnen, die bislang kaum Zugang zur Verwaltung als Arbeitgeber haben.
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VdZ: Solche „Exoten“ wie ein Event Manager in Ihrem Beispiel würde aber wahrscheinlich nicht dauerhaft in den Öffentlichen Dienst übernommen!?   

Muschter: Genau darum geht es aber: Schon heute wäre die Arbeit großer Behörden nicht mehr ohne Tausende externe Mitarbeiter denkbar, die zumeist projektbasiert oder über Wartungsverträge vor allem die digitalen Prozesse am Laufen halten. Die deutsche Verwaltung fußt bereits stark auf solchen auswärtigen IT-Leuten, die innerhalb tariflicher Strukturen auch gar nicht mehr zu bekommen sind. Interne Beamte und Angestellte sind noch die Auftraggeber, die eigentliche Programmierung und Systemwartung kommt von extern. Dies ist faktisches Outsourcing, das aus politischen Gründen so nicht genannt wird.

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Interne Beamte und Angestellte sind noch die Auftraggeber, die eigentliche Programmierung und Systemwartung kommt von extern. Dies ist faktisches Outsourcing, das aus politischen Gründen so nicht genannt wird.

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VdZ: Jobs werden also weiter aus der Verwaltung verlagert und die personellen Kosten steigen wegen des Fachkräftemangels…  

Muschter: Ich halte die Verlagerung nach außen nur in Spezialistenjobs wie IT für unabdingbar, weil dort die Gehälter der öffentlichen Hand absolut nicht konkurrenzfähig sind. Es gibt aber auch viele Spezialisten, die in der Privatwirtschaft unterhalb der Tarife des öffentlichen Diensts verdienen – hier geht es um Öffnung des öffentlichen Dienstes. Der genannte Eventmanager verdient bisher nicht so üppig. Viele Politikwissenschaftler, Germanisten oder PR-Leute arbeiten teils in prekären Verhältnissen und haben bislang kaum Zugang zur Verwaltung als Arbeitgeber. Ausbildung und Qualifikationen jenseits juristischer Staatsexamen zählen wenig und selbst wenn, sind ihnen Ausschreibungen der öffentlichen Hand oft unbekannt. Auch verdiente Führungskräfte aus der Privatwirtschaft, die mit vielleicht 55 noch einmal etwas Neues machen möchten, kann man für relativ bescheidenes Geld z.B. als Manager eines staatlichen Großprojekts locken. Hier steckt viel Potenzial, wenn der Staat sie nur „rufen“ würde!      

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Auch verdiente Führungskräfte aus der Privatwirtschaft, die mit vielleicht 55 noch einmal etwas Neues machen möchten, kann man für relativ bescheidenes Geld z.B. als Manager eines staatlichen Großprojekts locken. Hier steckt viel Potenzial, wenn der Staat sie nur „rufen“ würde!      

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VdZ: Die Digitalisierung macht einen Großteil heutiger Verwaltungsmodernisierung aus – woran hapert es in der Bundesrepublik?

Muschter: Immerhin ist das Thema nun in der Mitte der Politik angekommen. Mein Verdacht allerdings: Viele Politiker reden immer noch lieber über die Digitalisierung bei anderen, als sie selber die Digitalisierung ihrer nachgeordneten Behörden vorantreiben.

Ein wichtiger Punkt, der mich stört: Hierzulande wird ausschließlich bestehendes Verwaltungshandeln digitalisiert. Das größte Potenzial der Verwaltungsmodernisierung liegt aber m. E. in Lösungen, die es heute noch nicht gibt – so komisch das auch klingt. Ein Beispiel wären Hybridangebote, die private und öffentliche Services verknüpfen – z.B. ein Umzugsportal, bei dem man nicht nur den Transport seiner Möbel, sondern gleich die Ummeldung mit organisieren kann. Solche Ideen entstehen nur über Impulse von außen, wenn unabhängig vom Portfolio heutiger Behörden gedacht wird. Erste, aber dennoch nur verwaltungsinterne Ansätze auf dem Weg dorthin sind neue Organisationsformen nach „Lebensphasen“ oder der Leitgedanke „One-Face-to-The-Customer“. Mehr davon!

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Das größte Potenzial der Verwaltungs-modernisierung liegt auch in Lösungen, die es heute noch nicht gibt – so komisch das auch klingt.

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VdZ: Was macht für Sie ein gutes Modernisierungsprojekt aus?

Muschter: Ich bin weniger von solchen Projekten fasziniert, die zwar hochinnovativ sind, aber sich nur im Rahmen von Kleinstbehörden bewegen. Stichwort: Insellösung. Attraktiv ist für mich, wenn es gelingt, in großen Behörden wie der Bundesanstalt für Arbeit mehrere zehntausend Vermittler etwa in ein AI-basiertes Vermittlungssystem hineinzubringen. Um die Dinge hierzulande wirklich voranzutreiben, kommt es auf die beiden Faktoren „Innovationsgrad“ und „Durchdringung“ an – genau diese nicht vorhandene Durchdringung ist ein weiteres Problem an allen Ecken und Enden!

VdZ: Ein konkretes positives Beispiel? 

Muschter: Ein erfolgreiches, aber leider zu wenig beachtetes Projekt ist die automatisierte Bearbeitung von Steuererklärungen in der Berliner Steuerverwaltung. Hier ist es gelungen, das 80/20-Prinzip umzusetzen: Die 80 Prozent der simplen Einkommensteuererklärungen sind zu 100 Prozent automatisiert. Dabei können die 13,82 Euro für ein falsch deklariertes Sachbuch schon mal unter den Tisch fallen. Dagegen schauen sich die Beamten die Umsatzsteuer – mit weit höheren Ausfällen! – nun aber ganz genau an. So ist es gelungen, dem verbreiteten Umsatzsteuerbetrug im Taxi-Gewerbe sowie bei Internet-Geschäften dramatisch entgegenzuwirken. Das Beispiel sucht in diesem Bereich seinesgleichen.