Aline Blankertz auf der 24. Beschaffungskonferenz
© Simone M. Neumann

Die Open-Source-Baustelle

Ein Interview über unzulängliche Ausschreibungen, fehlendes IT-Know-how und Insellösungen

Der Gedanke der Nachnutzbarkeit nach dem „Eine für Alle"-Prinzip gilt als tragende Säule der OZG-Umsetzung. Damit sollen Bund, Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden, die Digitalisierung mit Blick auf die föderalen Strukturen schneller und kostengünstiger umzusetzen. Zusammenhalt statt Isolierung. Die Gewährung des Zugangs zum Quellcode auf Open-Source-Plattformen wäre der erste und simpelste Schritt für die bundesweite Zusammenarbeit. Aber warum fehlt es immer noch an offenen Standards und Dateiformaten? Wo und weshalb stockt der Fortschritt? Aline Blankertz von Wikimedia Deutschland e.V. erläutert im VdZ-Interview, wie verzwickt die Situation rund um Open-Source-Softwares im Beschaffungswesen ist.

Verwaltung der Zukunft: Einen Zuschlag für Ausschreibungen erhalten in Deutschland bislang überwiegend proprietäre Software-Anbietende. Das führt zu starken Abhängigkeiten und erschwerten Bedingungen. Wieso kommt Open Source zu kurz?

Blankertz: Zunächst möchte ich kurz noch einmal in Erinnerung rufen, was der Unterschied zwischen Freier und Open-Source-Software ist. In der öffentlichen Debatte geht es meist um Open-Source-Software. An die sind in der Praxis unterschiedlich komplexe Einschränkungen an die Weiterverwendung geknüpft, sodass sie teilweise Freier Software sehr ähnlich, teilweise deutlich von ihr verschieden ist. Als Open Source wird jene Software verstanden, bei der der Quellcode zwar einsehbar ist, aber keine Festlegung hinsichtlich der Weiterverwendung erfolgt. Währenddessen ermöglicht die Freie Software – wie der Name schon sagt – die volle Freiheit und zwar ohne jegliche Bedingungen oder Einschränkungen.

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Geben Sie den Open Source Anbietenden eine Chance. Es würde z.B. enorm helfen, wenn in der Ausschreibung stehen würde: Wir haben dieses konkrete Problem und wünschen uns dazu diese technische Umsetzung.

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Aline Blankertz, Referentin für Wikimedia Deutschland e.V.

Der Code oder das Programm wird den Benutzenden zur Weiterverwendung überlassen.

Nun zu Ihrer Frage. Die Ausschreibungen zielen darauf ab, einen neutralen Wettbewerb zwischen möglichst vielen Anbietenden zu ermöglichen. Die aktuellen EVB-IT-Mustervorlagen sollen dieses Vorhaben unterstützen. In der Realität werden allerdings proprietäre Softwares – also eingeschränkt nutz- und verbreitbare Softwares – bevorzugt. Das liegt an unterschiedlichen Faktoren. In der Beschaffung besteht eine hohe Pfadabhängigkeit. Es ist der bequemere Weg, den bereits viele vorher gegangen sind. An dieser Stelle würde ich empfehlen, konkreter auszuschreiben. Geben Sie den Open Source Anbietenden eine Chance. Es würde z.B. enorm helfen, wenn in der Ausschreibung stehen würde: Wir haben dieses konkrete Problem und wünschen uns dazu diese technische Umsetzung. Dann könnten Menschen mit verschiedenen Ideen auf die Verwaltung zugehen.

Allerdings stoßen wir hier auf ein noch viel dringlicheres Problem: Es fehlen akut IT-Fachkräfte in der Verwaltung, die technisches Know-how haben. Gibt es niemanden, der die Probleme technisch korrekt identifizieren kann und einen dementsprechenden Anforderungskatalog zur Ausschreibung erstellt, kann eben auch nur auf altbekannte Pfade zurückgegriffen werden. Dabei gibt die Verwaltung viel Geld für externe IT- und Beratungsunternehmen aus.

VdZ: Liegt der Hund also im Fachkräftemangel begraben?

Blankertz: Wir haben keinen absoluten Fachkräftemangel. Es gibt immer Menschen, die Lust haben, sich für gemeinnützige Unternehmen oder die Verwaltung einzusetzen. Und das Geld, was aktuell in die privatwirtschaftliche Beratung der öffentlichen Hand fließt, wäre deutlich besser in Gehältern und finanziellen Anreizen innerhalb der Verwaltung angesiedelt. Die Frage sollte also lauten: Was können wir tun, damit Menschen mit technischer Expertise in die Verwaltung kommen und dort bei strategischen Fragen eingebunden sind?

Über eine bessere technische Architektur sollte die Verwaltung an vielen Stellen eine Automatisierung von aktuell manuellen Prozessen anstreben. Open-Source-Software mit den entsprechenden Schnittstellen verringert zum Beispiel die Notwendigkeit von händischen Exporten oder sogar Mehrfacheingaben. Magie mit künstlicher Intelligenz braucht es da zunächst nicht, beziehungsweise setzt sie ein irreführendes Zielbild. Automatisierung ist wichtig. Denn wir leben in einer alternden Gesellschaft und ein großer Teil der Mitarbeitenden der Verwaltung werden in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen.

VdZ: In Ihrem Artikel „Freie und offene Software zum Standard in der Verwaltung machen" setzen Sie sich für ein Umdenken in der Verwaltung ein. Wo soll Ihrer Meinung nach angesetzt werden? Was muss die Politik konkret tun?

„stadtnavi” - ein Echtzeit-Angebot der Stadt Herrenberg für vernetzte Mobilität.
© stadtnavi.de

Blankertz: Die Politik hat gute Impulse gesetzt, wie etwa das OZG, doch sie denkt zu kurz. Die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen läuft nicht nur extrem langsam, sondern fokussiert fälschlicherweise auf das Frontend, also die Eingabe durch Bürger*innen, und hat es verpasst, die Prozesse dahinter interoperabel zu machen. Interoperabel heißt, dass die Systeme miteinander vereinbar sind. Es gibt in Deutschland  leider immer noch viel zu viele Prozesse, die nicht medienbruchfrei ablaufen. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Einige Kommunen tragen den Kollektivgedanken voran. Zum Beispiel sorgt das Modellprojekt stadtnavi” rund um die Stadt Herrenberg in Baden-Württemberg für vernetzte Mobilität auf der Grundlage von offenen Daten. Die App zeigt an, welche Angebote des ÖPNV, Car-Sharing, Leihfahrräder oder Mitfahrangebote sich wo befinden, wie der Fahrplan ist usw. – und das Ganze in Echtzeit. Sie beruht auf OpenSource und es ist explizit gewünscht, dass andere Kommunen und Akteure die App als Vorbild nehmen, verbreiten und weiterentwickeln. Eben solche Projekte könnten zu einem interoperabelen System verknüpft werden.

VdZ: Auf welches Land oder Länder lohnt der Blick? Wie regeln das andere Verwaltungen?

Blankertz: Das naheliegendste Beispiel ist hier sicher das Vereinigte Königreich. Es ist kein strahlender Leuchtturm, aber dort läuft es gut. Die Government Digital Services gibt es dort seit rund zehn Jahren und die Verwaltung schafft mithilfe von GitHub, einem Open-Source-Hosting-Dienst, eine Nachnutzbarkeit der Softwares. Allerdings hat die UK schon frühzeitig Ingenieur*innen eingebunden und muss keinen Föderalismus mitdenken, der das ganze Prozedere zusätzlich erschwert. In Deutschland stehen wir immer wieder vor dem Problem, dass wir mit kleinen Lösungen arbeiten und jeder und jede sich selbst etwas zusammenbastelt. Wir haben einen Haufen Insellösungen, bei denen kaum jemand miteinander in den Austausch tritt. Grundsätzlich kann man über den Föderalismus sagen was man will, aber in puncto Digitalisierung braucht es meiner Meinung nach eine Reduktion. Viele verschiedene, digitale Systeme sind nicht hilfreich, das geht im Kollektiv viel besser.