Raphael Thelen bei der Beschaffungskonferenz 2023
© Simone M. Neumann

Mit Mut zur Nachhaltigkeit

Ein Interview mit Raphael Thelen, Aktivist der „Letzten Generation”, zur Aufgabe der öffentlichen Verwaltung in puncto Klima

Zehn Jahre lange Jahre trug Raphael Thelen die Reporterbrille. Er berichtete für DEN SPIEGEL und DIE ZEIT über aktuelle Themen wie Flucht, Migration, den Aufstieg der Neuen Rechten in Ostdeutschland und die Klimakrise. Anfang 2023 kehrte er dem Ganzen den Rücken – er wollte nicht länger nur Augenzeuge sein. Er wurde Klimaaktivist der Letzten Generation. Auf der 24. Beschaffungskonferenz Ende September betonte er vor den Anwesenden bereits die Dringlichkeit eines Wandels hin zur Klimaneutralität. VdZ führte nun ein Interview mit Raphael Thelen über die Rolle der Politik und die Hebel der Beschaffung für den Klimaschutz.

Verwaltung der Zukunft: Herr Thelen, wie kamen Sie dazu, sich der Letzten Generation anzuschließen? Was sind Ihre Beweggründe?

Thelen: Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass wir gesamtgesellschaftlich zu wenig tun. Es braucht einen tiefgreifenden Wandel, wenn wir die Klimakrise noch rechtzeitig stoppen wollen. Die CO2-Emissionen müssen im nächsten Jahrzehnt halbiert werden und bislang passiert da einfach zu wenig. Wir brauchen einen disruptiven Wandel und ziviler Ungehorsam hat sich in der Vergangenheit stets bewährt, um Wandel herbeizuführen. Deshalb empfinde ich unsere Methode der Letzten Generation, uns auf die Straße zu kleben, auch nicht als drastisch. Die Klimakrise, die ist drastisch. Gestern haben wir uns zum Beispiel wieder vor das Brandenburger Tor geklebt. Wir wollten auf die Krise in der Landwirtschaft aufmerksam machen. Gerade steuern wir auf eine Ernährungskrise zu. Bald sind wir überrollt.

»

Ich empfinde unsere Methoden der Letzten Generation, uns auf die Straße zu kleben, auch nicht als drastisch. Die Klimakrise, die ist drastisch.

«
Raphael Thelen, Aktivist der Letzten Generation und Autor

VdZ: Inwiefern sehen Sie die Politik in der Verantwortung? Was muss getan werden, um den Klimawandel zu stoppen?

Thelen: Wir haben in Deutschland bereits eine gute Voraussetzung: Wir haben eine handlungskräftige und stabile Demokratie, die weitreichende Entscheidungen treffen kann. Während der Pandemie haben wir außerdem gesehen, dass ihre Mühlen nicht immer nur langsam mahlen. Wir können schnelle und wirksame Entscheidungen treffen, allerdings müsste sich die Politik dazu in puncto Klima einmal mit den Öl- und Gaskonzernen anlegen. Denn es gibt in Deutschland und global Schuldige für diese Krise. Was klar ist: Es sind nicht Sie und ich, nicht die Mittelschicht und schon gar nicht die Armen. Sondern jene, die vom Verbrennen von Öl und Gas massiv finanziell profitiert haben: Die Oberschicht. Ich werde zum Beispiel nie verstehen, warum Menschen einen Privatjet benötigen. Oder zwei. In der Ampel tut sich außerdem – wenn ich mal spekulieren darf – wenig, weil der FDP-Klimaberater, Steffen Hentrich, ein Klimaleugner ist*. Da darf sich die SPD noch einmal überlegen, wofür sie eigentlich steht. Sie sollte anfangen, sich wieder für den Dachdecker einzusetzen, der bei 42 Grad auf dem Dach arbeiten muss. Für Gerechtigkeit.

*Das ZDF Investigativ-Format „frontal hat im April herausgefunden, warum die FDP besseren Klimaschutz blockiert.
Nachhaltigkeit in der Vergabe: 15% des BIPs fließen in die Beschaffung. Das bedeutet gleichzeitig eine enorme Hebelwirkung für den Klimaschutz.
© pixabay.com

VdZ: Welchen Hebel hat die Verwaltung in Bezug auf Nachhaltigkeit?

Thelen: Es geht darum, zu schauen, was man selbst tun kann. Und damit meine ich nicht, weniger Auto zu fahren oder zu fliegen. Wie Andreas Weigmann von Hessen Mobil es so treffend im Panel der Beschaffungskonferenz formuliert hat: Die Vergabe sitzt auf einem sehr großen Budget. Ich gehe mal davon aus, dass die Zahl, die Herr Weigmann dazu genannt hat, richtig ist. Demnach fließen 15 Prozent des BIPs in Deutschland in die Beschaffung. 15 Prozent! Das ist eine Menge Spielraum, wenn man die Ausschreibungen immer auf die Nachhaltigkeit auslegen würde.

Einige Impulse, wie Nachhaltigkeit in den Ausschreibungen der Beschaffung verankert werden kann, gab es auf der 24. Beschaffungskonferenz.
© Simone M. Neumann

In der Praxis haben die Menschen, die in der Beschaffung arbeiten, vielleicht Angst vor der Reaktion ihrer Chefin oder ihres Kollegen. Aber da muss man sich einfach selbstkritisch fragen: Was ist mir wichtiger – dass mein Chef mich mag oder dass meine Kinder oder Enkel*innen lebenswert aufwachsen? Ein Freund von mir hat zum Beispiel die Initiative ergriffen, Nachhaltigkeit als Bedingung in eine Ausschreibung aufzunehmen. Sein Chef hat das genehmigt und fand seine Bemühungen großartig. Bei demselben Freund wurde später in der Firma beschlossen, die alten Server zu entsorgen, anstatt sie weiterzuverkaufen, weil das billiger war. Da hat er sich dafür eingesetzt, dass sie gespendet wurden. Am Ende landeten sie in einem Computerclub, die damit immer noch eine Menge anfangen können. Manchmal muss man eben einfach fragen, sonst passiert nichts.

Meine eigene Erfahrung bestätigt das. Ich bekomme auch häufiger Applaus als einen auf den Deckel. Und mit der Letzten Generation bekommen wir immer mehr Zuspruch. Wir haben kürzlich einen 48-Stunden-Spendenaufruf gestartet und am Ende hatten wir 600.000€ zusammen. Laut einer SPIEGEL-Studie erhalten wir gerade ein Prozent der gesamten deutschen Medienaufmerksamkeit. Manchmal muss man sich einfach drastisch positionieren, damit Wandel passiert. Das kann die Verwaltung auch tun. Sich einfach mal was trauen und Mut beweisen.

VdZ: Welche Rolle spielt Deutschland international? Wieso tragen wir so eine große Verantwortung?

Thelen: Wir haben die größte Volkswirtschaft in Europa und viel Einfluss in der EU. Wir tragen eine große moralische Verantwortung, weil knapp zwei Prozent der gesamten Emissionen weltweit von uns kommen. Deutschland macht aber gerade einmal ein Prozent der Weltbevölkerung aus. Da sehe ich uns auf jeden Fall in der Verantwortung. Aber es ist ja nicht so, dass wir es nur für uns tun. Es geht vor allem auch um die kommenden Generationen. Wir müssen weg von fossilen Brennstoffen und hin zu fairen Energien. Ich will nicht mehr durch dreckige, laute Straßen in Großstädten laufen. Ich wünsche mir eine gesündere Gesellschaft und dafür kämpfe ich. Noch habe ich Hoffnung.