OZG-Leistungsanalyseprojekt – Ein Beitrag zur OZG-Umsetzung in Baden-Württemberg
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OZG-Umsetzung: Schülerbeförderung, Vergnügungssteuer, Blindenhilfe – geht das auch besser?

Das „OZG-Leistungsanalyseprojekt“ leistet einen Beitrag zur OZG-Umsetzung in Baden-Württemberg

Studierende des Vertiefungsschwerpunkts „angewandtes e-Government“ der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg haben 22 Verwaltungsleistungen einer gründlichen Analyse unterworfen. Herausgekommen ist eine umfangreiche Online-Publikation, die unter anderem für jede dieser Leistungen vorschlägt, welche Fachverfahren und Register angebunden werden müssen. Außerdem wird eine Schätzung der Einsparpotenziale vorgenommen.

Die COVID-19-Pandemie hat auf die ohnehin bereits unter deutlichem Digitalisierungsdruck stehenden Kommunen und Länder noch ein weiteres, sehr schweres Gewicht oben drauf gepackt. Wie bereits hinlänglich beschrieben, war und ist die deutsche Verwaltung im europäischen Vergleich noch nicht für den papier- und bürgerbürolosen Betrieb gerüstet. Eine Initiative, die dies unabhängig von COVID-19 ermöglichen soll, ist das Onlinezugangsgesetz (OZG) und seine Umsetzung.

Aufgabe einer Hochschule für angewandte Wissenschaften ist nicht nur die Kritik und die Grundlagenforschung, sondern auch die Hilfestellung bei der Umsetzung, eben die Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Denn die Studenten des Studiengangs Public Management sollen nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch die praktische Anwendung vermittelt bekommen und im Vertiefungsbereich „angewandtes e-Government“ eben vor allem lernen, wie man erfolgreich praktisch umsetzt und arbeitet.

Analyse unterstützt OZG-Umsetzung

Wie bekannt, ist der Analyse- und Umsetzungsgrad der mittlerweile deutschlandweit berühmten 575 Maßnahmenbündel oder Verwaltungsleistungen höchst unterschiedlich: Von der bereits erfolgten und in die Breite ausgerollten, durchgängig digitalisierten Verwaltungsleistung bis hin zur gerade begonnenen Analyse. Die Informationsplattform zur OZG-Umsetzung ist ebenso wie die Plattform Föderales Informationsmanagement auf unterschiedlichsten Ständen; auch die XOEV-Standards existieren für einige Gebiete und sind dort auch schon umgesetzt, für andere noch nicht definiert. In diesem Umfeld versuchen Kommunen, ihren ganz individuellen Weg der Umsetzung zu finden.

Aus diesem Grund entschloss sich eine Gruppe von Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, der Ausbildungsstätte der Beamten des Landes und v.a. der Kommunen Baden-Württembergs konkrete Unterstützung zu leisten. Die Anleitung übernahmen Camilo Fautz und Thomas Götz vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg, Alexander Kozel vom Städtetag Baden-Württemberg, Thomas Laue von der Stadt Heilbronn, Angela Leikowski vom Amt für Informationstechnik und Digitalisierung der Stadt Karlsruhe, Alexander Maier, IT-Leiter der Stadt Bietigheim-Bissingen und Robert Müller-Török von der Hochschule Ludwigsburg.

22 Leistungen, 85 Millionen Euro Kostensenkung

So entstand ein Buch von 335 Seiten, in dem 22 Verwaltungsleistungen aus dem OZG-Maßnahmenbündel gründlich analysiert wurden und für welche allein für Baden-Württemberg ein jährliches Einsparungspotential von geschätzten rund 85 Millionen Euro identifiziert wurden. Pro Verwaltungsleistung wurde

  • Beschrieben, wie die Leistung bzw. der Prozess heute aussieht
  • Beschrieben, auf welchen rechtlichen Grundlagen er heute basiert
  • Abzuschätzen versucht, ob die Häufigkeits- und Fallzahlen eine Digitalisierung bzw. Automatisierung überhaupt sinnvoll erscheinen lassen
  • Ein Sollprozess entwickelt und in Form einer ereignisgesteuerten Prozesskette (ePK) dargestellt
  • Vorgeschlagen, welche Fachverfahren und vor allem Register angebunden werden müssen, Stichwort Registermodernisierung
  • Mit der notwendigen Vorsicht und mit Hinweis auf die stets enthaltene Ungenauigkeit einer solchen Schätzung geschätzt, wie hoch das durch eine Digitalisierung des Prozesses erzielbare Einsparpotenzial ist.

Das Buch erschien im Verlag der Österreichischen Computergesellschaft und steht zusätzlich gratis und ohne Registrierung downloadbar im Open Access Portal der Österreichischen Computergesellschaft zur Verfügung, vor allem für Entscheidungsträger, Praktiker und Beamte auf Landes- und kommunaler Ebene der Verwaltung; und natürlich auch für die breite Öffentlichkeit.

Die analysierten Verwaltungsleistungen

Es wurden fünf thematische Blöcke von Maßnahmenbündeln gebildet, die analysiert wurden. Diese sind

  1. Ehe, Geburt und Namensänderung sowie Sterbefälle
  2. Anlagengenehmigung und -zulassung, Hilfe zur Pflege, Bildung und Teilhabe sowie Aufnahme in eine berufsbildende Schule
  3. Personalausweis, Führungszeugnis, Wahlen und Zweitwohnsitzsteuer
  4. Schülerbeförderung, Gewerberegister, Vergnügungssteuer, Sperrmüll und Blindenhilfe
  5. Gewässerbenutzung, Baumfällgenehmigung, Fischerei- und Jagdschein.

Besonders bemerkenswert waren aus Sicht der Betreuer die Erkenntnisse bei der Schülerbeförderung, bei der Vergnügungssteuer und beim Thema Blindenhilfe:

Schülerbeförderung: Ein Fall für No-Stop-Government?

Bei der Schülerbeförderung müssen gegenwärtig circa eineinhalb Millionen Schüler (Papier-)Anträge ausfüllen, die von der jeweiligen Schule geprüft, unterschrieben und abgestempelt werden, ehe diese dann beim jeweiligen Verkehrsverbund eingereicht und letztendlich dem Land- bzw. Stadtkreis in Rechnung gestellt werden. Eine „Digitalisierung“ durch einfache Abbildung dieses Prozesses 1:1 auf service-bw hätte nicht nur Probleme bei der Identifikation, da eine Stellvertretung bei der eID des Personalausweises nicht vorgesehen ist, sondern es gibt einen weiteren Grund, die Anträge nicht einfach zu digitalisieren: Dieser Prozess eignet sich für eine Implementierung als „No-Stop-Government“, das heißt die vorhandenen bzw. einfach zugänglich machbaren Daten „Schule“ und „Adresse, von der aus die Schule besucht wird“ genügen, um den entsprechenden Fahrausweis ohne Antrag ausstellen zu können. Das geschätzte Einsparpotenzial von circa 20 Millionen Euro (nachhaltig und jährlich) würde so eine Umsetzung rechtfertigen.

Vergnügungssteuer: Ein Digitalisierungsschritt zu wenig?

Bei der Umsetzung der Spielautomatensteuer kam durch einige „Mind Opener Vorlesungen“ – gehalten von Dozenten aus Moldau, Österreich, Rumänien und Ungarn – im Unterricht der Impuls, mal in die Partnerstaaten im Donauraum zu sehen. So ist in Österreich die Spielautomatensteuer nach § 2 GSpG so gelöst: 

„Glücksspielautomaten gemäß § 5 sind verpflichtend an die Bundesrechenzentrum GmbH elektronisch anzubinden. Der Bundesminister für Finanzen kann im Wege einer Verordnung den Zeitpunkt dieser Anbindung festlegen. Darüber hinaus kann der Bundesminister für Finanzen zu den Details der elektronischen Anbindung und den zu übermittelnden Datensätzen in dieser Verordnung Mindeststandards festsetzen, wobei auch der Zugriff der Behörden auf einzelne Glücksspielautomaten (§ 5) zu regeln ist.“

Wiewohl dort auch nach Umsetzung eines „klassischen Verwaltungsdigitalisierung“ durch Entfall von Papierformularen und deren Ersatz durch elektronische Formulare, die immer noch vom Steuerpflichtigen auszufüllen sind, eine Dreiviertelmillion pro Jahr eingespart werden kann, so ist dort die komplette Automatisation durch verpflichtende Anbindung der Spielautomaten an Verwaltungsrechenzentren möglich – was noch eine zusätzliche Dreiviertelmillion nachhaltig und jährlich sparen würde.

Blindenhilfe: Lohnt die Digitalisierung überhaupt?

Umgekehrt verhält es sich bei der Blindenhilfe. Dort ist die Zahl der jährlichen Anträge so gering, dass eine Digitalisierung aus Sicht der Autoren nicht lohnt. Zwar gibt es keine Zahlen dazu, aber die nachvollziehbaren Schätzungen lassen den Schluss zu, dass pro Land- bzw. Stadtkreis in Baden-Württemberg circa 10 Fälle pro Jahr auftreten. Hier zu digitalisieren, noch dazu mit erheblichen Aufwänden durch die unumgänglich notwendige Barrierefreiheit wie etwa eine Bedienung durch eine Braillezeile, verbietet sich fast. Noch dazu, wo man diese Anträge üblicherweise nur einmal im Leben stellt.

Fazit und Dank

In der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen steckt ein mehrfaches Potenzial, wie man bereits anhand dieser 22 analysierten Maßnahmenbündel sehen kann. Dieses Potenzial beinhaltet

  • Komfort für den „Kunden, Bürger, Rechtsunterworfenen“, wie immer man denjenigen bezeichnet, der diese Verwaltungsleistungen in Anspruch nimmt, durch 24/7-Öffnungszeiten und Ersparnis von Zeit und Weg
  • Höherer Schutz vor Fehlbedienungen, Fehlern und Betrug durch Ersatz von mehrfachen Abfragen und Eingaben durch „Once-only“-Datenbezug aus Registern und im Extremfall Entfall der Anträge durch „No-stop-Government“
  • Last, but not least: Gewaltige Kostensenkungspotenziale in der Verwaltung selbst, die besonders in Zeiten COVID-19-klammer Haushalte bundesweit auf Interesse der Kämmerer und Finanzminister treffen werden.

Die Erstellung dieses Buches erfolgte im Austausch mit dem Normenkontrollrat Baden-Württemberg, dessen Vorsitzende, Frau Dr. Gisela Meister-Scheufelen, auch ein Grußwort beisteuerte. Der Normenkontrollrat verfolgt insbesondere das Thema „Once-only“ mit Nachdruck.

Die Autoren und die Herausgeber hoffen, mit dieser vorgelegten Arbeit ein wenig dazu beigetragen zu haben, dass die Umsetzung des OZG in Deutschland vorankommt.

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