Straße in Gütersloh
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Erntezeit in Gütersloh

Ein Blick auf die Entwicklung einer Smarten City in NRW

Aufbruch war gestern – Gütersloh darf schon heute Früchte ernten. Die Kommune ist seit knapp fünf Jahren dabei, ihre Prozesse zu modernisieren und digitaler zu gestalten. 2020 bewarb sie sich für das vom Bund geförderte Modellvorhaben „Smart Cities made in Germany“ und wurde kurz darauf offiziell in das Projekt aufgenommen. Seit Anfang 2023 steckt die Stadt nun mitten in der Umsetzungsphase. Wie „smart" ist die Stadt heute?

Nicht länger abgehängt vom digitalen Zeitalter

Wie kann ich im Internet sehen, wann mein Zug kommt? Ich habe meine Lieblingssendung verpasst, wie geht das eigentlich mit dieser Mediathek im Fernsehen? Ich kann ein kostenloses Ferngespräch mit meiner Tochter führen, obwohl sie in Frankreich ist? Die Welt hat sich derart rasant beschleunigt. Wir wissen oft schon gar nicht mehr: Wann ist das Internet eigentlich ein zentraler Bestandteil von, nun ja, so ziemlich allem geworden?

Der Workshop soll den Seniorinnen und Senioren spielerisch zeigen, welche Möglichkeiten etwa das Smartphone bietet.
© Volkshochschule Gütersloh

Die Auswirkungen dieses Wandels fallen besonders ins Auge, wirft man einen Blick auf die ältere Generation. Genau das hat das Gütersloher Projekt Digitale Probierstadt gewagt. Dort werden Seniorinnen und Senioren nun aktiv in den Digitalisierungsprozess miteingebunden. In einem Workshop-Format besuchen Dr. Dennis Köthemann, pädagogischer Leiter der Volkshochschule, und sein Team seit August Senior*innentreffs. In vertrauter Umgebung versuchen sie dort spielerisch einen ungezwungenen Zugang zu digitalen Themen zu ermöglichen. „Zuerst trinkt man gemeinsam einen Kaffee und dann schaut man weiter. Frei nach dem Motto: Alles kann, nichts muss", berichtet Sandra Causemann, Referentin für den digitalen Wandel in Gütersloh.

Das Ergebnis: Es entsteht ein reges Frage-Antwort-Spiel. Ausgestattet mit Smartphone und iPad wird den Senor*innen gleich praktisch gezeigt und erklärt, wie sie digitale Medien künftig nutzen können. Die Einbindung der älteren Generation ist jedoch nur eines von vielen Puzzleteilen, die in Gütersloh zusammengefügt werden. Causemann ist Teil des siebenköpfigen Smart City Teams, das aktuell 41 Projekte rund um die Modernisierung der Stadt betreut. Außerdem gibt es den 2021 eigens gegründeten „Fachbereich 16” mit vierzehn Mitarbeitenden, in dem alle Digitalisierungsthemen zentral gebündelt werden.

Gütersloh als Teil des „Smart City" Modellvorhabens

Die Kommune begann bereits im Jahr 2018 mit der Schnürung ihrer intelligenten Päckchen. Das „Zentrum für digitale Bildung und Schule“ wurde eröffnet, das Jobcenter lud zu einem Meinungsaustausch ins Kreishaus ein, um über die Arbeitswelt 4.0 zu debattieren. Gütersloh läutet den digitalen Aufbruch ein.

Kaum zwei Jahre später bewirbt sich die Stadt für das Modellprojekt „Smart City“. Bis 2021 wurden insgesamt 73 Städte ausgewählt, die der Bund mit 820 Millionen Euro unterstützt. Das soll die Kommunen in Deutschland dazu befähigen, vielfältige, praktische Digitalisierungsstrategie erkunden zu können. Gütersloh stößt 2020 in der zweiten Staffel hinzu. Insgesamt werden 13 Millionen in das Projekt gesteckt, 65 Prozent stellt der Bund und 35 sind Eigenanteil.

Von der bloßen Idee zum konkreten Projekt

© www.guetersloh.digital

Wie funktioniert das also – ein Projekt wie die Digitale Probierstadt in die Tat umzusetzen? Ganz einfach, auf der Webseite von Gütersloh Digital. Dort kann man sowohl die aktuell laufenden Projekte einsehen als auch neue Ideen einreichen. Zu aller erst benötigt man eine BundID, das zentrale Nutzer*innenkonto des Bundes. Hat man die angelegt, sind es nur noch wenige Schritte. Es braucht lediglich einen Titel, eine Beschreibung und wenn gewünscht Anlagen und eine Zuordnung in eines der neun Handlungsfelder (Lernende Stadt, Kulturelle Vielfalt, Vernetzte Mobilität uvm.). Noch rasch auf „Abschicken" geklickt, schon landet der Antrag in der Liste von Ideen.

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Wenn eine Idee besonders viel Anklang findet, zeigt uns das: Das Thema ist wichtig. Gütersloh will nur Projekte realisieren, die von den Bürgerinnen  und Bürgern auch gewollt sind.

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Sandra Causemann, Referentin für den digitalen Wandel in Gütersloh

Im nächsten Schritt wird er dann von Causemann und ihrem Team bearbeitet. „Wenn eine Idee besonders viel Anklang findet – also viele Bürgerinnen und Bürger nutzen die ‚Like‛-Funktion oder kommentieren das Vorhaben – zeigt uns das: Das Thema ist wichtig", sagt die Referentin. Zusätzlich gibt es Formate wie Denklabore, in denen die Meinung der Bevölkerung eingeholt wird. Gütersloh will nur Projekte realisieren, die von den Bürger*innen auch gewollt sind.

Für den weiteren Prozess werden zudem Expertinnen und Experten hinzugezogen, um zu prüfen, ob ein echter Bedarf besteht. Für die digitale Probierstadt wurden beispielsweise die Senior*innenbeauftrage Heidi Ostmeier und die Ehrenamtsbeauftragte Elke Pauly-Teismann hinzugezogen. Und natürlich auch die ältere Generation selbst, um zu prüfen: Besteht überhaupt Interesse? Was wünschen sich die Menschen?

Das letzte Wort hat der Ausschuss

Die für realistisch befundenen Projekte werden dann dem Ausschuss für Digitalisierung, Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing (ADWS) vorgelegt, der eigens zu diesem Zweck 2021 gegründet wurde. Wird dort der Prüfauftrag erteilt, tritt das Projekt in die nächste Phase ein. Es werden Geldgebende gesucht und ermittelt, inwieweit das Projekt skalierbar ist. Finanziert wird das Modellprojekt zu 65 Prozent vom Bund, die restlichen 35 Prozent kommen aus dem kommunalen Haushalt.

Das Projekt kann in diesem Jahr bereits erste Erfolge feiern. Am 3. Februar hat der Rat der Stadt die Umsetzungsstrategie für die Digitale Agenda Gütersloh verabschiedet. Dabei handelt es sich um einen Fahrplan für die nächsten fünf Jahre.

Ein Leuchtturm für Alle

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Für die Stadt ist es besonders wichtig, dass möglichst viele Menschen von diesem Erfolg profitieren. Konkret heißt das zum einen, dass die Projekte nach ihrer Realisierung nicht in Vergessenheit geraten, sondern verstetigt und kontinuierlich verbessert werden sollen. Im Falle der Senior*innen beispielsweise soll das Programm auch auf Menschen mit Behinderung und weniger ausgeprägten Sprachkenntnissen ausgeweitet werden, erklärt Causemann.

Und zum anderen folgt Gütersloh dem vom Bund verpflichtenden Prinzip Public Money – Public Code”, d.h. der Erfahrungsaustausch wird aktiv gefördert und Softwarelösungen als Open Source verfügbar gemacht. Hierfür wird die Open-Source-Plattform der öffentlichen Verwaltung OpenCoDE.de genutzt. Die Quelltexte sollen außerdem bei GitHub veröffentlicht werden, inwieweit das umgesetzt wird hänge laut Causemann aber maßgeblich von den Fördergebenden ab. Die Stadt Gütersloh wird zudem in Kürze eine urbane Datenplattform pilotieren, die mit Echtzeitdaten zu einer effizienten, vernetzten und nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen soll. Erste Früchte sind reif, viele weitere werden folgen.