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Mehr Planungssicherheit im Katastrophenschutz: Die App „Mobile Helfer“ macht es möglich — und das bundesweit!

Ein Pilotprojekt der Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe

Am Mittwoch, 14. Juli 2021, erfasst die Pegellatte in Altenahr den letzten Wasserstand (5,75 m), bevor sie vom Hochwasser mitgerissen wird, samt dem kleinen Häuschen, das sie trägt. Tausende Einsatzkräfte beginnen im Ahrtal eine mehrtägige Rettungsaktion. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist enorm, unzählige freiwillige Helfer*innen aus ganz Deutschland machen sich spontan auf den Weg. Viele von ihnen werden dann aber unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt oder kommen wegen verstopfter Zufahrtswege gar nicht erst im Flutgebiet an. Damit spontanes Engagement bei ähnlichen Katastrophen in Zukunft besser genutzt werden kann, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe das Pilotprojekt Mobile Helfer gestartet. Ziel der App: 800.000 Personen (1% der deutschen Bevölkerung) registrieren, um diese „zivile Reserve“ im Ernstfall gezielt in den betroffenen Gebietskörperschaften einsetzen zu können.

Mobile Helfer ist eine Initative der Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe (Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. (ASB), Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V. (DLRG), Deutsches Rotes Kreuz e. V. (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. (JUH), Malteser Hilfsdienst e. V. (MHD)) und des Vereins Mobile Retter e. V. Im Frühjahr 2021 begann die Steuerungsgruppe der Hilfsorganisationen mit der Entwicklung eines überregionalen Konzepts für die App, das dem Wandel im Bevölkerungsschutz Rechnung trägt. Die Steuerungsgruppe der Hilfsorganisationen stellt sich der Herausforderung, über die Organisationen hinweg eine IT-Struktur in 16 Bundesländern einzurichten, damit die Helfenden unabhängig von ihrem Aufenthaltsort Benachrichtigungen zu Einsätzen erhalten können. Die App befindet sich derzeit in der zweiten Projektphase. Im Rahmen der Stabsrahmenübung der Berufsfeuerwehr Wolfsburg wird „Mobile Helfer“ Anfang November mit freiwilligen Helfenden getestet und könnte dann an die ersten Pilotregionen angebunden und mit Datenbanken, Lernportalen und Ehrenamtsportalen verknüpft werden. Bislang wurde die Entwicklung der App vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit Finanzierungshilfen unterstützt jetzt allerdings droht das Projekt kurz vor der Pilotierung aufgrund von Haushaltskürzungen beim BBK auf Eis gelegt zu werden.

Ausschnitt aus der Einsatzdetailseite der App
© Mobile Helfer

Einsatzplanung leicht gemacht

Mobile Helfer ist die erste bundesweite Registrierungs- und Alarmierungsplattform. Die App ermöglicht eine Koordination zwischen Gebietskörperschaften und Spontanhelfenden in ganz Deutschland. Mobile Helfer bietet außerdem eine Schnittstelle zur Warn-App NINA (Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes), zum Verbundvorhaben für Einsatzanfragen (KatHelferPro) und zu einer eigenen Lernplattform. Über ein digitales „Ehrenamtsportal“ werden von den Gebietskörperschaften standardisierte Unterlagen wie z. B. Handlungsempfehlungen, Einsatzmaterialien oder Pressemappen heruntergeladen oder bestellt. Die Gebietskörperschaften können mithilfe des Einsatzplaners präzise Einsatzanfragen erstellen und angeben, wieviele Helfende in welchem Zeitraum benötigt werden. Auch Feuerwehren können die App nutzen, um bei Großeinsätzen Unterstützung von zusätzlichen Helfenden zu bekommen. Alle Spontanhelfenden sind über die anfordernde Gebietskörperschaft versichert und werden durch vertiefende Kursangebote weitergebildet. Die App hat insbesondere für Initiativen wie das Projekt Labor Betreuung 5000 einen großen Mehrwert, die von vornherein auf Unterstützung von Spontanhelfenden angewiesen sind.

Grosszelt MBM_Mendig
Großzelt mit Heizung
© BBK

MBM 5000 ist die Kurzbezeichnung für Mobile Betreuungsmodule (Großzelte oder Rollcontainer). In Notsituationen kann ein solches Modul kurzfristig aufgebaut werden und dient bis zu 5000 Menschen als temporäre Unterkunft. Derzeit koordiniert das BBK gemeinsam mit Hilfsorganisationen das Pilotprojekt Labor Betreuung 5000. Projektziel ist es, ein Modul bis 2024 kontinuierlich zu überprüfen und sicherzustellen, dass im Ernstfall geeignetes Material und solide Geräte beschafft werden können und die Einsatzkonzepte in unterschiedlichen Szenarien funktionieren. Bereits vor Ende der Testphase wurde die vorhandene Ausstattung eingesetzt  – flüchtende Menschen aus der Ukraine konnten z. B. in Berlin-Tegel sehr kurzfristig in Großzelten untergebracht werden.

Stefan_Hanke_Projektkoordinator_Bildung
© Johanniter-Unfall-Hilfe

Stefan Hanke, Geschäftsbereich Bildung bei der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., Projektkoordinator und Ansprechpartner für das Projekt Mobile Helfer: stefan.hanke@johanniter.de

Spontanes Engagement darf nicht verpuffen

Durch Notifications, E-Learnings und eine hohe Interaktivität werden die Spontanhelfenden nach der Erstanmeldung motiviert, weiterhin engagiert zu bleiben, auch wenn sie über einen längeren Zeitraum keine Einsatzanfrage bekommen. Die App ist so konzipiert, dass Helfende zunächst ohne Angabe von Daten einfach und schnell Zugang zum Wissensbereich der ersten Engagementstufe „Einfach Informieren“ bekommen und sich dann nach abgeschlossenem E-Learning für die zweite und später für die dritte Engagementstufe registrieren können. In der zweiten Engagementstufe „Einfach Mitmachen“  erhalten die mobilen Helfer*innen im Katastrophenfall über die App Alarmierungen vom Krisenstab der jeweiligen Gebietskörperschaft. Diese Engagementstufe setzt keine Vorkenntnisse voraus. In der dritten Engagementstufe „Spezifisch Mitwirken“ werden die Helfenden entsprechend ihren Vorkenntnissen verifiziert und als „Profi“ eingesetzt (z. B. als Übersetzer*in, Handwerker*in, Kinderbetreuer*in). Es stehen in dieser Stufe weitere Trainings- und Fortbildungsangebote zur Verfügung. Die Spontanhelfenden werden aktiv begleitet und zusätzlich zum Stufenaufstieg in das gebundene Ehrenamt motiviert  wer möchte, engagiert sich dann bei einer Hilfsorganisation, Feuerwehr oder dem THW und verlässt damit die App.

Bevölkerungsschutz im Wandel

Während zwischen 2000 und 2016 die Anzahl der „gebundenen Helfenden“ (registrierte aktive Einsatzkräfte beim THW und den Feuerwehren) von rund 1,17 Millionen auf 1,12 Millionen zurückkging1, ist der Anteil der nicht an Hilfsorganisationen gebundenen Spontanhelfenden gestiegen. Der Deutsche Freiwilligen-Survey zeigt, dass Menschen sich zunehmend ungebunden und zeitlich flexibel engagieren möchten2. Jüngere Altersgruppen, die weniger Zeit für ihr Engagement aufbringen können, werden außerdem für den Bevölkerungsschutz aufgrund des demografischen Wandels immer wichtiger. Aus einem Bericht des BMF zur Hochwasserkatastrophe im Ahrtal geht hervor, dass im Juli 2021 neben den offiziellen Einsatzkräften etwa 100.000 private Helfende, teilweise organisiert in Initiativen, bestehenden oder neu gegründeten Netzwerken, Vereinen und sich spontan zusammenfindenden Hilfsgemeinschaften aktiv waren3.  Zu den Flutgebieten im Ahrtal hatten die Spontanhelfenden im Durchschnitt einen Anfahrtsweg von 1684 km zurückgelegt. Hier wird noch einmal deutlich, wie wichtig ein bundesweiter Ansatz zur Koordinierung von Spontanhelfenden ist.

Mobile Helfer liefert eine umfassende Antwort auf die gegenwärtigen Entwicklungen des ehrenamtlichen Engagements. In der App werden Maßnahmen und Kampagnen für ein aktives Ehrenamtsmanagement, Lern- und Fortbildungsmaßnahmen für Spontanhelfende und Möglichkeiten zur Integration weiterer Spontanhilfeprojekte bereitgestellt. Auf diese Weise trägt die Initiative maßgeblich zur Steigerung der Resilienz und Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung bei. In puncto Technologie hat die App gegenüber anderen Anwendungen den Vorteil, dass regionale und organisationsbedingte Begrenzungen bei der Erreichbarkeit von Spontanhelfenden überwunden werden. Gebietskörperschaften, Bundesämter und Ministerien können die für die App entwickelten IT-Dienstleistungen nutzen und sparen auf diese Weise Kosten ein.

1Bier, M., Fathi, R., Stephan, C., Kahl, A., Fiedrich, F., & Fekete, A. (2023). Spontaneous volunteers and the flood disaster 2021 in
Germany: Development of social innovations in flood risk management. Journal of Flood Risk Management, 1– 20.

2 Simonson, J., Kelle, N., Kausmann, C., & Clemens Tesch-Römer (Hrsg.) (2021): Freiwilliges
Engagement in Deutschland – Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019. Berlin: Deutsches Zentrum
für Altersfragen. S. 58. abgerufen über: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-35317-9

3BMI; BMF (2022): Bericht zur Hochwasserkatastrophe 2021. Katastrophenhilfe, Wiederaufbau und Evaluierungsprozesse. Bundesministerium des Inneren und für Heimat; Bundesministerium der Finanzen

4Bier, M., Fathi, R., Stephan, C., Kahl, A., Fiedrich, F., & Fekete, A. (2023). Spontaneous volunteers and the flood disaster 2021 in Germany: Development of social innovations in flood risk management. Journal of Flood Risk Management, 1– 20. https://doi.org/10.1111/jfr3.12933