Verwaltung der Zukunft: Sie engagieren sich seit Jahren für eine moderne, leistungsfähige Justiz. Wenn Sie auf den aktuellen Stand der Digitalen Justiz blicken, wo stehen wir aus Ihrer Sicht?
Andrea Titz: Beim Stand der digitalen Justiz gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Manche sind schon recht weit, andere leider noch gar nicht. Ein trauriges Schlusslicht ist aus meiner Sicht Sachsen-Anhalt. Aber es geht hier nicht um Schuldzuweisungen. Es gibt einfach Bundesländer, in denen die Voraussetzungen noch nicht geschaffen sind. So wurde beispielsweise die Einführung der flächendeckenden elektronischen Akte gesetzlich vom 1. Januar 2026 auf den 1. Januar 2027 verschoben, weil in einigen Ländern noch zu viel aufgeholt werden muss.
VdZ: Das Motto Ihres Panels auf dem DJS lautet „Ein Staat, eine Aufgabe, ein Pakt“. Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht ein echter „Schulterschluss“ zwischen Bund und Ländern, angesichts der föderalen Strukturen in der Justiz?
Titz: Ich denke, der Pakt für den Rechtsstaat ist eine wichtige Anschubfinanzierung. Auch wenn er auf den ersten Blick der föderalen Struktur zuwiderläuft, erfüllt die Justiz viele Aufgaben, die vom Bund vorgegeben werden. Der erste Rechtsstaatspakt hat in den Ländern schon gezeigt, dass solche Anschubfinanzierungen als Motor wirken können. Damals wurden rund 2.000 Richter- und Staatsanwaltsstellen geschaffen mithilfe der Finanzierung aus dem Bund, und das hat gut funktioniert.
Der zweite Pakt war weniger erfolgreich, da die ursprünglichen Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag der damaligen Ampel-Regierung nicht eingehalten wurden und die Justiz letztlich mit einer Art „Rechtsstaatspakt light“ abgespeist wurde. Der jetzt laufende dritte Rechtsstaatspakt steht auf drei Säulen: Digitalisierung, Personal und Modernisierung der Verfahrensordnungen. Besonders die Digitalisierungssäule ist für die Länder, die noch zurückliegen, ein wichtiger Impuls, um Fortschritte zu erzielen und Anreize zu schaffen, schneller voranzukommen.
Insgesamt bin ich sehr positiv gestimmt. Der Rechtsstaatspakt war eine der Kernforderungen des Deutschen Richterbundes in den letzten Jahren, und es ist gut, dass die aktuelle Koalition das nicht nur in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat, sondern die Umsetzung auch zügig begonnen und mit konkreten Zahlen unterlegt hat.
VdZ: Wo sehen Sie derzeit die größten Reibungspunkte zwischen Bund, Ländern und EU bei der Digitalisierung der Justiz?
Titz: Ich denke, das größte Problem ist, dass lange Zeit jedes Land sein eigenes Süppchen gekocht hat. Das führt dazu, dass wir keine kohärenten Systeme haben, die miteinander funktionieren. Schnittstellen funktionieren oft nicht, und die Systeme basieren auf ganz unterschiedlichen Vorgaben. Teilweise haben sich Länder in Verbünde zusammengeschlossen, aber nicht alle, sodass am Ende jedes Land sein eigenes System hat. Das macht die Kommunikation zwischen den Systemen schwierig bis unmöglich und erschwert die Arbeit der Anwenderinnen und Anwender in der Praxis enorm. Solche Medienbrüche wirken demotivierend, weil sie nur mit großem Aufwand überbrückt werden können, und fördern nicht gerade die Akzeptanz.
VdZ: Wenn Sie einen „Pakt für die Justiz der Zukunft“ mitgestalten dürften: Welche Punkte müssten unbedingt hinein?
Titz: Aus meiner Sicht wäre ein wesentlicher Punkt, den Rechtsstaatspakt zu verstetigen – also ihn nicht nur als einmalige Ausnahme zu betrachten, sondern seine positiven Wirkungen anzuerkennen und bei Bedarf erneut solche Pakte aufzulegen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine bessere, stärker institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen den Ländern, insbesondere bei Digitalprojekten. Es sollte weniger das Gefühl entstehen, dass jedes Land sein eigenes kleines Orchideen-Gärtchen pflegt, sondern vielmehr gemeinsam an nachhaltigen Lösungen gearbeitet wird.
Es sollte weniger das Gefühl entstehen, dass jedes Land sein eigenes kleines Orchideen-Gärtchen pflegt, sondern vielmehr gemeinsam an nachhaltigen Lösungen gearbeitet wird.
VdZ: Wie gelingt es, Justizmodernisierung über Legislaturperioden hinweg zu sichern – also jenseits politischer Zyklen?
Titz: Ich denke, Projekte wie die aktuelle StPO-Reformkommission sind ein gutes Beispiel dafür, wie Justizmodernisierung auch über Legislaturperioden hinweg gelingen kann. Entscheidend ist, dass bei allen Beteiligten der Wille vorhanden ist, wirklich sinnvolle und praxisgerechte Reformlösungen zu finden. Dafür braucht es einen engen zeitlichen Rahmen und die Einbindung von Expertinnen und Experten aus allen relevanten Bereichen. Wichtig ist, dass solche Prozesse nicht im Sande verlaufen, sondern in einem klaren Abschlussbericht und konkreten Ergebnissen münden.
Wenn man – wie bei der Reformkommission – alle praktischen Professionen einbezieht und mit echtem Interesse an einem Ergebnis arbeitet, dann ist die Chance größer, dass daraus langfristige Projekte entstehen, die auch über Regierungswechsel hinaus Bestand haben.
Das Gegenteil passiert, wenn Reformen an der Praxis vorbei entwickelt werden, wie es in der letzten Legislatur leider teilweise der Fall war. Wenn Maßnahmen als Klientelpolitik wahrgenommen werden, ist der Widerstand groß, und viele Vorhaben scheitern oder verlaufen im Sande. Deshalb ist es entscheidend, die Praxis mitzunehmen, größer zu denken und nicht nur an kleinen Stellschrauben zu drehen. Und natürlich braucht es auch auf Bundesebene einen echten Reform- und Umsetzungswillen – eine Haltung, die wir im Moment glücklicherweise wieder wahrnehmen.
VdZ: Was würden Sie jungen Jurist*innen sagen, die in einer zunehmend digitalen Justiz arbeiten werden; was sollten sie lernen oder mitbringen?
Titz: Ich glaube, es wäre fast vermessen, den jungen Kolleginnen und Kollegen, die ja meist schon zur Generation der Digital Natives gehören, besondere digitale Kompetenzen zu empfehlen. Die bringen sie ohnehin mit. Was ich ihnen aber wirklich ans Herz legen möchte, ist, bei all dem digitalen Klicken, Verschieben von Dokumenten und Arbeiten im elektronischen Raum nicht zu vergessen, dass es dabei um echte Menschen und echte Schicksale geht. Auch wenn vieles heute nur noch in digitaler Form erscheint, steckt dahinter das reale Leben. Diese menschliche Dimension sollten sie nie aus den Augen verlieren.
Auch wenn vieles heute nur noch in digitaler Form erscheint, steckt dahinter das reale Leben.
VdZ: Wenn Sie in fünf Jahren zurückblicken: Woran würden Sie erkennen, dass der „Pakt für den Rechtsstaat“ wirklich gewirkt hat?
Titz: Man würde es vor allem an einer besseren Personalsituation erkennen. Wir brauchen ja nicht nur die digitale Seite des Pakts für den Rechtsstaat, sondern ebenso die personelle Säule. Wenn der Pakt gewirkt hat, dann ist die Personalnot bei Gerichten und Staatsanwaltschaften spürbar geringer geworden. Und wenn auch die digitale Säule Wirkung gezeigt hat, dann sind die Länder, die bislang etwas hinterherhinken, in ihrer Digitalisierung ein gutes Stück vorangekommen. Sie haben sich von der Anschubfinanzierung und den Impulsen des Bundes anstecken lassen und ihre Vorhaben mit mehr Schwung verfolgt. Natürlich wird es auch in fünf Jahren noch Verbesserungsbedarf geben, sowohl personell als auch digital. Aber vielleicht sind bis dahin die ersten spürbaren Fortschritte erreicht.
Andrea Titz beim 4. Digital Justice Summit
🗓️ 24.-25. November, Berlin Marriott Hotel
➡️ Hier geht's zum Programm
Andrea Titz ist Teil des Plenum am Mittag I.I (Kongresseröffnung): "Ein Staat, eine Aufgabe, ein Pakt: Bund und Länder im Schulterschluss für eine moderne Justiz?"