Carmen Wegge
© Stefan Brix

Zugang zum Recht darf nicht an einem Login-Fenster enden

Carmen Wegge im Interview

Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein, schon gar nicht in der Justiz. Für Carmen Wegge bedeutet „Zugang zum Recht“ im digitalen Zeitalter vor allem eines: gleiche Chancen für alle. Im Interview erklärt sie, wie digitale Verfahren bürgerfreundlich, sicher und gerecht gestaltet werden können.

Verwaltung der Zukunft: Wie definieren Sie „Zugang zum Recht“ im digitalen Zeitalter?

Carmen Wegge: Zugang zum Recht darf im digitalen Zeitalter nicht an einem Login-Fenster enden. Es geht um ein funktionierendes, barrierefreies System, das wirklich für alle da ist, unabhängig von Einkommen, Herkunft, Sprache oder digitaler Erfahrung. Natürlich gehört dazu, Dokumente online einzureichen oder Strafanzeigen zu stellen. Aber ebenso wichtig sind leicht verständliche Sprache (z.B. auch bei Gesetzestexten o.ä.), transparente Verfahren und faire Kostenstrukturen. Wenn Menschen spüren, dass der Rechtsstaat ihnen in ihrem Alltag zur Seite steht und nicht nur Großkanzleien oder Konzernen nutzt, dann stärkt das das Vertrauen in unsere Demokratie. Genau das ist unser Ziel.

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Wenn Menschen spüren, dass der Rechtsstaat ihnen im Alltag zur Seite steht, stärkt das das Vertrauen in unsere Demokratie.

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VdZ: Welche Technologien oder Tools treiben die Modernisierung der Justiz?

Wegge: Die elektronische Akte ist für mich das Herzstück einer modernen Justiz. Auch das geplante Onlineverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit spielt eine große Rolle. Wenn diese reibungslos funktionieren, sparen sie Zeit, Nerven und Papier, den Gerichten ebenso wie den Bürger*innen. Daneben kann künstliche Intelligenz helfen, Vorgänge zu strukturieren oder Informationen schneller zugänglich zu machen. Entscheidend ist aber, KI darf nur unterstützen, nie entscheiden. Die Verantwortung muss immer beim Menschen bleiben.

VdZ: Wie vermeiden Sie neue Barrieren durch die Digitalisierung?

Wegge: Digitalisierung muss Türen öffnen, nicht neue schließen. Deshalb braucht es immer auch ein Recht auf analoge Teilhabe. Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen oder Menschen ohne stabile Internetverbindung dürfen nicht abgehängt werden. Barrierefreiheit gehört von Anfang an ins Pflichtenheft jedes digitalen Projekts. Justiz hat auch eine menschliche Seite. Wer vor Gericht zieht, will gehört werden, manchmal buchstäblich. Der persönliche Kontakt mit Richter*innen zeigt Bürger*innen, dass ihr Anliegen zählt und trägt wesentlich zur Befriedung des Streits bei. Dieses Bedürfnis nach direktem Kontakt muss in jeder Digitalstrategie Platz haben.

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Digitalisierung muss Türen öffnen, nicht neue schließen.

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VdZ: Wie kann Datenschutz und Sicherheit bei digitalen Verfahren garantiert werden?

Wegge: Datenschutz ist aus meiner Sicht das Fundament des Vertrauens in digitale Justizverfahren. Das bedeutet modernste Verschlüsselung, klare Zugriffsrechte, Löschfristen und unabhängige Kontrollen. Nur wenn wir sensible Informationen wirklich schützen, werden Menschen bereit sein, den digitalen Weg mit gutem Gefühl zu gehen.

VdZ: Sie setzen sich stark für den Schutz vor digitaler Gewalt ein. Was braucht es, damit Betroffene schnell zu ihrem Recht kommen?

Wegge: Opfer digitaler Gewalt brauchen keine Hürden, sondern Hilfe. Wir arbeiten daran, Verfahren zu schaffen, mit denen etwa anonyme Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten gesperrt werden können. Plattformen sollen Schnittstellen zu den Strafverfolgungsbehörden bereitstellen, damit relevante Daten automatisiert und schnell abgerufen werden können. Gleichzeitig stärken wir Opferschutzorganisationen. Sie sind oft die ersten, die konkrete Unterstützung leisten. Wir erweitern zudem die Strafbarkeit bei bildbasierter Gewalt und wollen, dass Hersteller von Spionage-Apps stärker in die Pflicht genommen werden. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Digitale Gewalt muss im Rechtssystem Konsequenzen haben.

VdZ: Wie muss sich die Ausbildung in der Justiz verändern, um digital Schritt zu halten?

Wegge: Die digitale Transformation lebt von Menschen, nicht von Technik. Deshalb gehört in die Ausbildung von Jurist*innen und Justizpersonal nicht nur technisches Wissen, sondern auch Sensibilität für Datenschutz, Barrierefreiheit und Kommunikation im digitalen Raum. Wir brauchen juristische Profis, die technische Tools verstehen, aber immer den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Hier sehe ich die Bundesländer in der Pflicht, die Ausbildung zu digitalisieren und beispielsweise das digitale Ablegen von Examensprüfungen flächendeckend zu ermöglichen.

VdZ: Das Onlineverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit ist ein großes Projekt. Wo stehen wir aktuell?

Wegge: Der Gesetzgebungsprozess für das neue Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit ist bereits weit fortgeschritten und das Gesetz soll zum Jahreswechsel in Kraft treten. Es schafft die Grundlage für ein durchgängig digitales Verfahren bei Zahlungsansprüchen vor den Amtsgerichten, zunächst an ausgewählten Pilotgerichten. Klagen und Anträge können bequem von zu Hause aus eingereicht werden, direkt von der Couch aus. Ziel ist eine bürgerfreundliche, barrierearme Justiz, die schneller arbeitet und Bürokratie abbaut, ohne den menschlichen Kern des Verfahrens zu verlieren.