Digitalisierung Justiz
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So wird die Justiz medienbruchfrei

Staatssekretärin Dr. Brückner im Interview

„Verbindlichkeit entsteht durch gemeinsame Standards“ – so beschreibt Dr. Daniela Brückner, wie die Modernisierung der Justiz gelingt. Im Interview erklärt sie, welche Maßnahmen Bund und Länder ergreifen, um Software, Standards und eine Justizcloud zu nutzen, damit der Rechtsverkehr effizienter und digitaler wird.

Verwaltung der Zukunft: In der DJS-Session steht die Frage im Raum: Wer steuert eigentlich die Modernisierung der Justiz? Wie sehen Sie die Rolle der Länder – insbesondere von NRW – im Zusammenspiel mit dem BMJ und der Digitalagentur des Bundes?

Dr. Daniela Brückner studierte Rechtswissenschaften in Mannheim, Madrid und Heidelberg und promovierte über einen Vergleich spanischer und deutscher Verfassungsbeschwerde-Verfahren. Nach Stationen als Richterin an Berliner Amts- und Landgerichten sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Verfassungsgerichtshof übernahm sie Führungsaufgaben, unter anderem als Leiterin der Insolvenzabteilung des Amtsgerichts Charlottenburg und später als Vizepräsidentin des Amtsgerichts Lichtenberg. Seit 2022 ist sie Staatssekretärin des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen und Vorsitzende des E-Justice-Rats.
© Land NRW / Ralph Sondermann

Staatssekretärin Dr. Daniela BrücknerZunächst einmal ist wichtig zu verstehen: Die Modernisierung der Justiz liegt zum großen Teil in der Verantwortung der Länder, weil sie im föderalen Staatsgefüge für die Ausstattung und Organisation der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten zuständig sind. Aber selbstverständlich gibt es in diesem Bereich enge Wechselwirkungen mit den anderen Ländern und mit dem Bund. So einfach ist die Antwort also nicht – gerade weil die Justizdigitalisierung ein komplexes Feld ist. Ich möchte aber gern einen Überblick über die wichtigsten Handlungsstränge geben.

Erstens brauchen wir für die Arbeit in den Justizbehörden spezielle Software, die passgenau auf die Bedürfnisse der Justiz zugeschnitten ist. Solche Lösungen gibt es am Markt nicht einfach zu kaufen, sie müssen eigens für die Justiz entwickelt werden. Damit das wirtschaftlich sinnvoll gelingt, arbeiten Bund und Länder in Verbünden zusammen.

Zweitens brauchen wir für diese Entwicklung verbindliche Standards. Das gilt zum einen dort, wo noch keine bundeseinheitlichen Lösungen bestehen – etwa, damit unterschiedliche eAkten-Systeme Daten problemlos austauschen können. Standards sind auch im elektronischen Rechtsverkehr unerlässlich, also in der Kommunikation mit Anwältinnen und Anwälten oder mit Unternehmen und Behörden. Hier setzen wir auf den XJustiz-Standard und auf das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach, das Tag für Tag zuverlässig Millionen von Nachrichten transportiert.

Drittens ist eine wirksame Modernisierung ohne Anpassung der gesetzlichen Grundlagen nicht denkbar. Dabei geht es sowohl um materielles Recht als auch um das Verfahrensrecht. Hier können die Länder nicht allein handeln, sondern müssen mit dem Bund eng zusammenwirken.

Um all diese Stränge zu koordinieren, haben Bund und Länder bereits 2012 den E-Justice-Rat gegründet. Hier werden auf Ebene der Amtschefinnen und Amtschefs die grundlegenden Fragen der Digitalisierung abgestimmt. Nordrhein-Westfalen führt den Vorsitz seit 2020 – eigentlich wäre nach vier Jahren ein Wechsel vorgesehen gewesen, doch auf Bitten des Bundes und der Länder habe ich mich bereit erklärt, den Vorsitz bis 2026 fortzuführen. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll, aber auch sehr spannend, und deswegen musste ich da nicht lang überlegen.

VdZ: Wie stellen Sie sich eine funktionierende Governance-Architektur vor, die föderale Eigenständigkeit respektiert, aber dennoch Verbindlichkeit schafft?

Dr. Brückner: Eine funktionierende Governance-Architektur in der Justiz muss mehrstufig aufgebaut sein: Auf der einen Seite brauchen wir klare politische Leitplanken, die gemeinsam von Bund und Ländern definiert werden – etwa durch den E-Justice-Rat als strategisches Steuerungsgremium. Diese Leitplanken geben die gemeinsamen Ziele, Prinzipien und Standards vor. Auf der anderen Seite müssen wir Raum für die notwendige Flexibilität lassen, damit jedes Land in seiner konkreten Umsetzung eigene Schwerpunkte setzen kann, solange die gemeinsamen Standards eingehalten werden. Die ersten Leitplanken haben wir für die Zukunft bereits mit unserer Digitalstrategie gesetzt.

Verbindlichkeit entsteht also aus gemeinsam verabschiedeten Standards, abgestimmten Architekturen und verbindlichen Zeitplänen. Wichtig ist dabei Transparenz: Jeder Fortschritt und jede Abweichung sollten regelmäßig evaluiert und gemeinsam besprochen werden. So bleibt der Prozess nachvollziehbar, kontrollierbar und fair.

Kurz gesagt: Eine gute Governance-Architektur verbindet Einheit in den Zielen mit Vielfalt in den Wegen. Nur so können wir die digitale Transformation der Justiz kraftvoll, effizient und zukunftssicher gestalten.

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Verbindlichkeit entsteht also aus gemeinsam verabschiedeten Standards, abgestimmten Architekturen und verbindlichen Zeitplänen.

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VdZ: Welche konkreten Standards fehlen aktuell am dringendsten, um medienbruchfreien Rechtsverkehr zu ermöglichen?

Dr. BrücknerGenau genommen fehlt es uns nicht in erster Linie an Standards – mit XJustiz verfügen wir über ein ausgereiftes Standardwerk für nahezu alle Kommunikationsszenarien und Inhalte. Mit der EGVP-Infrastruktur und den SAFE-Verzeichnisdiensten steht zudem ein sicherer, standardisierter Kommunikationskanal bereit. Und dort, wo neue Anforderungen entstehen – etwa im Zuge des elektronischen Notar-Verwaltungs-Austauschs (eNova) bei der Digitalisierung des Vollzugs von Immobilienverträgen – sind wir mit der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz und ihren Arbeitsgruppen bundesweit sehr gut aufgestellt.

Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die Kommunikationspartner zur konsequenten Nutzung der bestehenden Standards anzuhalten. Anwältinnen und Anwälte „sollen“ z. B. zwar nach den gesetzlichen Vorgaben einen XJustiz-Datensatz mit Mindestinhalten beifügen – in der Praxis geschieht das jedoch oft nicht. Auch bei der Kommunikation mit anderen Behörden sehen wir eine gewisse Uneinheitlichkeit: in vielen Fällen erfolgt die Kommunikation nach den abgestimmten Standards, in anderen nicht. So entstehen nicht nur bei den Justizbehörden, sondern beispielsweise auch bei Notarinnen und Notaren zusätzliche Aufwände.

Verbindlichkeit entsteht hier letztlich nur durch gesetzliche Vorgaben. Für die Kommunikation der Gerichte und Behörden haben wir – auch angestoßen durch den E-Justice-Rat – jetzt mit der Behördenaktenübermittlungsverordnung eine entsprechende Lösung.
Zusammengefasst: Wenn wir also einen medienbruchfreien Rechtsverkehr wollen, brauchen wir weniger neue Standards, sondern vor allem die konsequente und verbindliche Anwendung der vorhandenen.

VdZ: Wie gelingt es, Standards nicht nur zu definieren, sondern sie auch flächendeckend durchzusetzen – gerade in einem föderalen System?

Dr. BrücknerWie ich gerade schon festgestellt habe, gelangen wir zur Verbindlichkeit über die gemeinsame Verabschiedung von Standards. Das klappt in der Justiz schon seit langer Zeit sehr gut. Eines der besten Beispiele hierfür ist der schon erwähnte XJustiz-Standard.
Das föderale System ist hier kein Bremsklotz, sondern im Gegenteil eine Stärke: Über den E-Justice-Rat, die Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz und die Facharbeitsgruppen verfügen wir über bewährte Plattformen, um Standards gemeinsam zu entwickeln, zu vereinbaren und in die Fläche zu tragen.

Für die Interaktion mit Partnern außerhalb der Justiz helfen klare gesetzliche Vorgaben. Standards werden nur dann flächendeckend umgesetzt, wenn sie rechtlich verpflichtend vorgeschrieben sind. So sind wir etwa bei der Eröffnung des Elektronischen Rechtsverkehrs vorgegangen. Natürlich bedarf es dann auch verbindlicher Übergangsregelungen mit realistischen Fristen.

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Standards werden nur dann flächendeckend umgesetzt, wenn sie rechtlich verpflichtend vorgeschrieben sind.

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VdZ: Wie lässt sich Interoperabilität gewährleisten, ohne Innovation in den Ländern zu behindern?

Dr. Brückner: Aus meiner Sicht schließen sich die Gewährleistung von Interoperabilität und Innovation in den Ländern nicht aus. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass die bundesweite Innovationskraft gestärkt wird, wenn wir nicht aus dem Blick verlieren, dass unsere Systeme miteinander interagieren. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Eine Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz arbeitet gerade an einer Plattform für Künstliche Intelligenz. Mit Hilfe der KI-Plattform sollen Entwicklern – auch solchen, die noch nicht mit der Justiz zusammenarbeiten – einheitliche Schnittstellen und Datensätze zugänglich gemacht werden, die sie nutzen können, um kreative Softwarelösungen umzusetzen. Die so entstehende Software kann dann über die Plattform allen Ländern zur Verfügung gestellt werden. Die Idee dabei ist, dass der Bund und die Länder die Software aufgrund der zuvor vereinbarten Standards ohne Weiteres einsetzen können.

VdZ: In fünf Jahren: Wie sieht für Sie der Idealfall eines digital funktionierenden Rechtsverkehrs in Deutschland aus und was muss bis dahin unbedingt geschehen?

Dr. BrücknerIn fünf Jahren wünsche ich mir einen Rechtsverkehr, der vollständig digital und medienbruchfrei funktioniert. Akten liegen durchgängig digital vor und können zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaften, Polizei und auch länderübergreifend ohne technische Hürden ausgetauscht werden. Bürgerinnen und Bürger, Anwältinnen und Anwälte oder Unternehmen kommunizieren dann sicher, schnell und unkompliziert mit der Justiz – ganz ohne Papier. Im Idealfall gelingt es uns, eine Kommunikationsplattform aufzubauen, mittels derer alle Beteiligten zeitgleich auf die wesentlichen Dokumente zugreifen und versenden können.

Der entscheidende Baustein dafür ist eine bundeseinheitliche Justizcloud. Sie schafft eine gemeinsame Infrastruktur, auf der Anwendungen sicher betrieben und Daten zuverlässig ausgetauscht werden können. Sie vermeidet Doppelentwicklungen, ermöglicht eine effizientere Zusammenarbeit von Bund und Ländern und sorgt dafür, dass Innovationen schneller in der Fläche ankommen. Gleichzeitig behält jedes Land die notwendige Flexibilität für eigene organisatorische Entscheidungen.

Daneben braucht es weiterhin bundesweite Standards, moderne Softwarelösungen in der Breite und die Anpassung der gesetzlichen Grundlagen. Aber die Justizcloud ist der Schlüssel, der all diese Elemente miteinander verbindet. Gelingt uns das, wird der Rechtsverkehr in fünf Jahren deutlich effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher sein – und die Arbeit in der Justiz spürbar erleichtern.

 

Dr. Daniela Brückner beim 4. Digital Justice Summit

🗓️ 24.-25. November, Berlin Marriott Hotel
➡️ Hier geht's zum Programm

Dr. Daniela Brückner ist Teil des Forum I.IV.1 "Vision oder Illusion: Der Weg zu einer harmonisierten IT-Landschaft für einen modernen Rechtsverkehr".