Data Governance für alle
Wie können Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinwohlorientiert zusammenarbeiten?
Verwaltung der Zukunft: Was sind die Ziele Ihres Projekts – und wie würden Sie Data & Smart City Governance in diesem Zusammenhang beschreiben?
Prof. Dr. Max von Grafenstein & Dr. Maurice Stenzel: In unserem Projekt haben wir ein praxisnahes Modell für die Erhebung und Verarbeitung von Daten – ein sogenanntes Data-Governance-Modell – entwickelt. Der Grund: Viele Verwaltungen stehen vor der Herausforderung, Daten in eigenen Digitalisierungsprojekten wie zum Beispiel der intelligenten Verkehrssteuerung effektiv zu nutzen. Unser erstes Ziel war daher, die typischen Stolpersteine von Daten- und Digitalisierungsprojekten in Kommunen zu identifizieren. Im zweiten Schritt haben wir Werkzeuge und Handlungsempfehlungen entwickelt, mit denen Verwaltungen digitale Innovationen rechtssicher und gemeinwohlorientiert umsetzen können. Letzteres bedeutet, dass der Einsatz von Daten nicht nur einzelnen, sondern allen Akteuren wie Verwaltungen, Unternehmen und Bürger:innen zugutekommt – fair, transparent und im Interesse der gesamten Gesellschaft.
Im Fokus stand deswegen die zentrale Frage: Wie können öffentliche Verwaltungen, Wirtschaftsakteure und die Zivilgesellschaft bei der Erhebung und Verarbeitung von Daten auf Augenhöhe und zum Wohle aller Menschen in einer Gesellschaft zusammenarbeiten, um diese Ziele zu erreichen?
Damit Daten sicher, nachvollziehbar und konfliktfrei genutzt werden können, braucht es klare Regeln und Strukturen – rechtlich, technisch und organisatorisch. Dafür sorgt Data Governance. Gerade in einer Smart City ist das wichtig, da viele verschiedene Akteuren zusammenkommen. Und das mit teils unterschiedlichen Vorstellungen von Risiken und Nutzen einer solchen Datenverarbeitung.
Um diese Vielfalt zu koordinieren, braucht es abgestimmte Prozesse, Rollen, Entscheidungsregeln und Standards. All das fließt in unser Data-Governance-Modell ein, den sogenannten Data-Governance-Wegweiser. Als ein praxisnahes Werkzeug bildet dieser Wegweiser die Grundlage für eine zukunftsfähige, datengetriebene und digitale Stadtgestaltung.
Damit Daten sicher, nachvollziehbar und konfliktfrei genutzt werden können, braucht es klare Regeln und Strukturen – dafür sorgt Data Governance.
VdZ: Was sind die typischen Schwierigkeiten von Daten- und Digitalisierungsprojekten in Kommunen?
von Grafenstein & Stenzel: Unsere Forschung hat gezeigt: Die größten Hürden kommunaler Daten- bzw. Digitalisierungsprojekte liegen weniger in der Technik oder der Daten selbst. Viele digitale Vorhaben in Städten und Gemeinden scheitern in erster Linie an fehlenden Strukturen und Prozessen innerhalb der Verwaltung, um diese Technik und Daten effektiv und nachhaltig einsetzen zu können. Unsere Forschung zeigt, dass viele – insbesondere datengetriebene – Verwaltungsprozesse oft nur implizit ablaufen. Das bedeutet: Während die einzelnen Aufgaben dem Verwaltungspersonal vertraut sind, bleibt der übergreifende Prozess oft nur vage definiert. Dies führt zu zwei zentralen Problemen.
Erstens bringen datengetriebene Vorhaben in der Regel neue Aufgabenfelder und Zuständigkeiten sowohl innerhalb als auch außerhalb von Verwaltungen mit sich. Ohne ein klares Verständnis des Gesamtprozesses lassen sich diese Aufgaben jedoch nicht effizient intern oder extern zuordnen. Zweitens bleibt auch die geplante Nutzung der erhobenen Daten unklar, wenn Abläufe und erwartete Ergebnisse nicht transparent sind. Dadurch wird es schwierig, potenzielle Zielkonflikte bei der Planung und Umsetzung datengetriebener Vorhaben frühzeitig zu erkennen und aufzulösen.
Ein weiteres Hindernis sind Strategiepapiere externer Beratungen. Sie entfalten oft keine Wirkung, weil sie oft zu oberflächlich sind und insb. die kommunalen Mitarbeiter*innen nicht anleiten, wie datengetriebene Projekte konkret umgesetzt werden können. Zudem fehlen Ansätze, einmal gefundene Lösungen langfristig und in der Breite in der Verwaltung zu verankern: Zahlreiche datengetriebene Projekte bleiben dadurch isolierte Leuchtturmprojekte, ohne nachhaltig in die alltäglichen Abläufe der Verwaltung integriert zu werden. Das führt dazu, dass gewonnene Erkenntnisse und neue Prozesse nicht nachhaltig verankert werden. Sie bleiben Einzelmaßnahmen, die nach Projektende versanden.
Damit datengetriebene Lösungen also wirksam werden können, braucht es eine aktive und koordinierende Rolle der öffentlichen Verwaltung. Verwaltungen dürfen sich nicht darauf beschränken, digitale Technologien lediglich zu implementieren. Sie müssen vielmehr als Gestalter und Vermittler zwischen verschiedenen Akteuren auftreten. Gerade bei Projekten, die auf Kooperationen mit der Privatwirtschaft setzen, ist diese Koordinationsaufgabe entscheidend. In der Praxis erschweren jedoch unklare Zuständigkeiten sowie rechtliche und finanzielle Unsicherheiten die Umsetzung erheblich. Ohne klare Rahmenbedingungen bleibt die Zusammenarbeit häufig fragmentiert und kann ihr Potenzial für nachhaltige Veränderungen nicht entfalten.
VdZ: Wie sieht der Data-Governance-Wegweiser aus? Können Sie uns hier exklusive Einblicke geben?
von Grafenstein & Stenzel: Unser Data Governance-Wegweiser ist ein praxisnahes und skalierbares Instrument, das speziell für den Einsatz im Kontext einer Smart City Governance entwickelt wurde. Grundsätzlich kann der Ansatz jedoch auch auf alle anderen Kontexten, in denen es um Datenverarbeitung geht, übertragen werden.
Entwickelt wurde das Data Governance-Konzept am Anwendungsfall Luftgütemanagement in Berlin. Anschließend wurde es für eine breitere Anwendung in weiteren Kontexten und Kommunen generalisiert. Der Wegweiser wurde in den verschiedenen Stadien seiner Entwicklung bereits von zahlreichen Kommunen getestet und hilft nachweislich, die Kluft zwischen theoretischen Anforderungen und praktischer Umsetzung zu überbrücken. Der Wegweiser ist stark Use-Case-getrieben und führt die Nutzer:innen wie etwa Verwaltungsmitarbeitende, Chief Digital Officers von Kommunen, Vertreter:innen politischer Gremien oder auch externe Partner:innen zunächst durch eine Schritt für Schritt Analyse des Prozesses ihres Vorhabens. Data Governance wird mit unserem Wegweiser endlich praktisch anwendbar.
Jedes Modul besteht aus zwei Hauptbestandteilen: Wissensmodulen und Handlungsanleitungen. Die Wissensmodule vermitteln die notwendigen theoretischen Grundlagen und Hintergrundwissen. Sie behandeln beispielsweise die Rolle einer datengetriebenen Verwaltung sowie die Bedeutung von Prozessen und Prozessmodellen. Zudem wird aufgezeigt, welche Herausforderungen im Umgang mit Daten auftreten können, um diese durch den richtigen Ansatz zu lösen. Darüber hinaus wird erläutert, wie Data Governance-Strukturen langfristig etabliert werden können, wobei insbesondere auf die Schlüsselbereiche Beteiligung, Funktionen und Prozesse eingegangen wird.
Die Handlungsanleitungen bieten praxisorientierte Vorlagen, die dabei unterstützen, die im Wissensmodul vermittelten Inhalte konkret umzusetzen. Sie bieten Hilfestellungen, um ein Prozessmodell für eine erfolgreiche Data Governance zu erstellen, und ermöglichen es, die Datensätze für die gewählte Maßnahme zu überprüfen. Zudem wird aufgezeigt, wie der Prozess erweitert und optimiert werden kann, um alle erforderlichen Data Governance-Funktionen abzudecken und relevante Akteure einzubeziehen. Zusätzlich enthalten die Handlungsanleitungen Datenbanken mit weiterführenden Inhalten, Best-Practice-Beispielen für erfolgreiche Smart-City-Lösungen und anderen wertvollen Ressourcen, die die praktische Umsetzung weiter unterstützen.
VdZ: Welche Hindernisse ergeben sich für Data Governance, wenn öffentliche und private Akteure gemeinsam an Smart-City-Projekten arbeiten?
von Grafenstein & Stenzel: Verschiedene Akteure – darunter kommunale Verwaltungen, Unternehmen und die Bürgerschaft – haben unterschiedliche Interessen an Daten. Das bedeutet, dass sich die Einschätzungen darüber unterscheiden, welche Risiken und welchen Nutzen die Datenverarbeitung für die jeweiligen Akteure mit sich bringt. Für viele Datenhalter gilt: Sie sind nur dann bereit, ihre Daten zu teilen, wenn der erwartete Nutzen die wahrgenommenen Risiken entscheidend überwiegen. Dabei entsteht jedoch ein Dilemma. Denn viele Risiken, wie etwa Datenschutzrisiken oder wirtschaftliche Risiken, sind im Augenblick, in dem Daten geteilt oder genutzt werden sollen, sehr konkret oder verwirklichen sich sogar. Der konkrete Mehrwert stellt sich oft aber erst später heraus, also zum Beispiel nachdem die Daten geteilt werden. Nur dann kann man üblicherweise den erwartbaren Nutzen beziffern, beispielsweise in Form eines konkreten Gegenwerts oder einer besseren Planung.
Ein Beispiel: Eine Kommune könnte etwa mit den Daten von Mobilitätsanbietern eine automatisierte Verkehrsplanung entwickeln bzw. die Verkehrskonzepte verbessern. Durch diese Daten könnten sie ein viel genaueres Bild vom tatsächlichen Verkehrsgeschehen erhalten – etwa, wo es regelmäßig zu Staus kommt oder wo neue Fahrradwege sinnvoll wären. Eine datenbasierte, automatisierte Verkehrsplanung könnte so einen echten Mehrwert für die Stadt schaffen.
Aus Perspektive der Bürger:innen und Mobilitätsanbieter sieht die Lage aber anders aus: Bürger:innen befürchten zum Beispiel, dass sie auf Schritt und Tritt beobachtet werden können. Mobilitätsanbieter befürchten, dass durch die Weitergabe der Daten Geschäftsgeheimnisse gegenüber Dritten offengelegt werden. Diese Risiken nehmen Bürger und die Mobilitätsanbieter häufig als größer als den persönlichen Mehrwert wahr. Erst wenn die Kommune glaubhaft wirksame Schutzmechanismen aufzeigt – sei es kurzfristig, mittelfristig oder für die Zukunft –, kann sich das Verhältnis zugunsten des Mehrwerts verschieben. Erst dann ist es für die Anbieter lohnenswert, die Daten auch tatsächlich zu teilen.
In unserer Forschung haben wir beobachtet, dass es bislang keine skalierbaren Instrumente gibt, um solche akteursübergreifenden Interessenkonflikte zu lösen. Konkret sehen wir, dass die Beteiligten bei datengetriebenen Vorhaben grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen des Problems haben und daraus folgend unterschiedliche Lösungskonzepte entwickeln. Außerdem gehen sie jeweils von anderen Prozessen, Methoden und Terminologien aus. Vor allem sind sich die Disziplinen häufig schon intern uneinig. All dies macht eine Auflösung der Interessenkonflikte so herausfordernd.
VdZ: Wie lassen sich Bürger:innen aktiv in die Gestaltung von datenbasierten Smart-City-Projekten einbinden, sodass ihre Perspektiven einfließen und Entscheidungsprozesse nachvollziehbarer werden?
von Grafenstein & Stenzel: Die frühzeitige und problemzentrierte Beteiligung aller Akteure, die von einer Erhebung oder Verarbeitung von Daten betroffen sind, ist ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Data Governance. Das schließt natürlich Bürger:innen ein, genauso wie aber auch Unternehmen und insbesondere auch Politiker:innen, die am Ende die Entscheidung treffen.
Durch eine gezielte Beteiligung können Interessenkonflikte, die aufgrund unterschiedlicher Wert- und Risikowahrnehmungen entstehen, frühzeitig erkannt und aufgelöst werden. Wenn sich Betroffene zum Beispiel durch die direkten Auswirkungen einer Maßnahme benachteiligt fühlen, könnten sie juristisch dagegen vorgehen. Dadurch entstehen erhebliche Mehraufwände, Vorhaben können ins Stocken geraten oder sogar gänzlich scheitern. Beteiligung trägt dazu bei, dass das nicht passiert.
Unsere Forschung hat gezeigt, dass es nicht immer gleich neue Beteiligungsformate wie bspw. Bürgerräte braucht, um die Interessenkonflikte zu lösen. Wichtig ist vielmehr, dass Verwaltungen zunächst die bereits vorhandenen Spielräume für Beteiligung ausnutzen, um noch gezielter in die Lösung gehen zu können. Bereits hier sehen wir großes Potential für Verbesserung. Doch dafür müssen Verwaltungen sich dieser Spielräume zunächst einmal bewusst werden. Zweitens gibt es neben den weitreichenden Möglichkeiten formeller Beteiligung disziplinenübergreifend viele zielführende Ansätze für informelle Beteiligung, die im Rahmen der formellen Beteiligung fruchtbar gemacht werden sollten.
Nur um ein Beispiel zu geben: Ein Bebauungsplan muss bereits jetzt laut Gesetz öffentlich ausgelegt werden. Wenn man das Ziel dieses formellen Beteiligungsverfahrens ernst nimmt, reicht es nicht, den Plan in irgendeinem Hinterzimmer zur Verfügung zu stellen. Vielmehr kann man hier partizipative Formate in Ansatz bringen, die bisher vor allem für informelle Beteiligungsformate diskutiert werden. Das ist doch schade. Der Schlüssel liegt also darin, zunächst die Spielräume der ohnehin vorgesehenen formellen Beteiligung mit partizipativeren Formaten auszureizen. Erst wenn man so immer noch nicht alle Interessenkonflikte identifizieren oder auflösen kann, sollte man daran denken, die bereits vorhandenen Beteiligungsformate durch zusätzliche informelle Verfahren zu ergänzen. Auf diese Weise können also Interessenkonflikte zielgerichtet aufgelöst werden, ohne etablierte Abläufe dabei gänzlich neu denken zu müssen.
Die frühzeitige und problemzentrierte Beteiligung aller Akteure, die von einer Erhebung oder Verarbeitung von Daten betroffen sind, ist ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Data Governance.
VdZ: Wie bewerten Sie Berlins Fortschritte auf dem Weg zu einer Smart City insgesamt? Gibt es Best Practices aus anderen Großstädten, die übernommen werden könnten?
von Grafenstein & Stenzel: Berlin hat mit der Strategie “Gemeinsam Digital: Berlin” aus unserer Sicht die richtigen Weichen für den Weg zu einer Smart City gestellt. Diese Strategie zielt auf die digitale und smarte Transformation, um Berlin als nachhaltige, gemeinwohlorientierte, kooperative und resiliente Stadt zukunftsfähig auszurichten. Innovativ ist diese Strategie deshalb, weil sie nicht top-down und “Technologie first” gedacht wird. Ein wesentliches Merkmal von "Gemeinsam Digital: Berlin" ist der partizipative Ansatz: Die Strategie wurde gemeinsam mit der Stadtgesellschaft entwickelt und richtet sich mit konkreten Methoden und Formaten an alle, die an der digitalen Transformation Berlins mitwirken möchten. Unser Projekt zur Data Governance in der Smart City ist eine der Pilotmaßnahmen, die diese Strategie mit Leben füllen, die digitale Transformation und den Kulturwandel in der Verwaltung vorantreiben soll.
Durch die Anbindung an das Förderprogramm “Modellprojekte Smart Cities” vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen steht sowohl Berlin als Kommune als auch speziell unser Projekt im ständigen Austausch mit anderen Kommunen und Großstädten in Deutschland. Auf diese Weise können wir voneinander lernen, Ansätze für konkrete Fragestellungen diskutieren und Musterlösungen teilen.
Bei der Entwicklung unseres Data- Governance-Wegweisers haben wir von Beginn an auf die Netzwerke in der Berliner Verwaltung sowie in den MPSC-Kommunen und darüber hinaus zugegriffen und die Inhalte, Methoden und Vorlagen immer wieder getestet und verbessert. Auf diese Weise konnten wir sicherstellen, dass unser Ansatz bestmöglich auf die tatsächlichen Bedarfe zugeschnitten ist.
Das Feedback bislang ist äußerst positiv und wir sehen, dass wir damit einen echten Mehrwert für die digitale Transformation schaffen.
Der Data-Governance-Wegweiser ist ein Ergebnis des Forschungsprojekts „Data & Smart City Governance am Beispiel von Luftgütemanagement”, einer Pilotmaßnahme der Strategie Gemeinsam Digital: Berlin. Das Projekt wird gefördert von dem Regierenden Bürgermeister von Berlin - Senatskanzlei - aus Mitteln des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen sowie der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Dr. Maurice Stenzel beim 11. Zukunftskongress Staat & Verwaltung
🗓️ 24. Juni, 10:00-11:00 Uhr
➡️ Hier geht's zum Forum.
Dr. Maurice Stenzel spricht auf dem 11. Zukunftskongress im ZuKo-Datenpolitikforum „Deutschland, Deine Daten – Datenschutz, Regulierungen und Open Data in neuen politischen Blickwinkeln?“.