Bosbach
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Aus aktuellem Anlass: Der Krieg und die Justiz

Rechts- und Sicherheitsexperte Wolfgang Bosbach über eine traurige Wahrheit: „Das (Völker-)Recht wird den Krieg in der Ukraine nicht beenden können.“

Welche juristischen Kriterien werden angelegt, um zu klären, ob eine militärische Intervention gegen einen anderen Staat völkerrechtlich legitimiert ist oder nicht? Was können Resolutionen und Sanktionen bewirken? Wolfgang Bosbach, Präsident des Berliner Kongress wehrhafte Demokratie, äußert sich über die Gesetzgebung auf internationaler Ebene.

Seit dem Angriff Putins auf die Ukraine wird landauf, landab, mal sachlich, mal polemisch, mal anhand nüchterner Fakten, mal mittels verwegener Behauptungen oder Vermutungen die Frage diskutiert, wer eigentlich an diesem Krieg schuld sei. Wer die Verantwortlichen für diese humanitäre Katastrophe seien. Anders formuliert: Wessen Politik dazu geführt habe, dass Teile der Russischen Streitkräfte am 24. Februar 2022 die Ukraine überfallen hätten.

Obwohl es kaum Völkerrechtler von Rang gibt, die ernsthaft bestreiten, dass es sich bei diesem Krieg gegen die Ukraine um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt, ohne jede irgendwie geartete völkerrechtliche Legitimation, gibt es nach wie vor nicht wenige, die hartnäckig auf der These beharren, „eigentlich“ hätte die Politik des Westens, namentlich der NATO, Putin unter Zugzwang gesetzt, so dass er sich halt hätte wehren müssen. Und da sich an diesem Diskussionsstand nach Lage der Dinge auch nichts ändern wird, soll dieser Text hierzu auch keinen Beitrag leisten.

Keine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg

Betrachten wir stattdessen einmal die Rechtslage: Welche Kriterien sind eigentlich maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob eine militärische Intervention gegen einen anderen Staat völkerrechtlich legitimiert ist – oder nicht? Das moderne Völkerrecht kennt keinen Rechtfertigungsgrund für einen ANGRIFFSkrieg.  Einen Krieg, der nicht geführt wird, um einen militärischen Angriff eines anderen Staates abzuwehren, um das eigene Staatsgebiet zu verteidigen.

Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen geht sogar noch weiter und verpflichtet die Nationen nicht nur auf Gewalt (gegenüber einem anderen Staat) zu verzichten, sogar die bloße Drohung mit Gewalt wird untersagt.

Gemäß Art. 20(a) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) soll auch reine Kriegspropaganda verboten sein.

Politische Konflikte zwischen Staaten sollen eben nicht mittels Einsatz militärischer Gewalt gelöst werden, sondern ausschließlich mit zivilen Mitteln, mit Politik und Diplomatie.

Recht auf Verteidigung

Richtigerweise unterscheidet das Völkerrecht zwischen einem Angriffs- und einem VERTEIDIGUNGSkrieg. Wenn ein Staat die eigene Armee mobilisiert und einsetzt, um das eigene Territorium  zu schützen, einen Angreifer abzuwehren, dann ist das auch völkerrechtlich legitim. Das Notwehrrecht gilt auch hier.

Im Einklang mit diesen international vereinbarten Prinzipien stehen auch unser Grundgesetz (GG) und unser Strafgesetzbuch (StGB). Art. 26 GG verbietet ganz prinzipiell schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges und gebietet es dem Gesetzgeber, derartige Handlungen ausdrücklich unter Strafe zu stellen. Folglich lautet § 80 StGB wörtlich:

»

Wer einen Angriffskrieg (…), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges (…) herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren bestraft.

«

Darüber hinaus ist bereits am 30. Juni 2002 das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft getreten, unter anderem mit den Straftatbeständen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression. Hintergrund war die Anpassung des nationalen Strafrechts an das Völkerstrafrecht, insbesondere an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. 

Resolutionen und Sanktionen

Neben all‘ diesen rechtlichen Überlegungen treten natürlich noch denkbare Resolutionen oder Sanktionen durch die UN, was in der konkreten Auseinandersetzung Putin vs Ukraine allerdings nicht hilft: Zwar hat die Generalversammlung der UN Russlands Überfall auf die Ukraine längst verurteilt, bei nur fünf (!) Gegenstimmen, und Putin aufgefordert, seine Truppen sofort aus der Ukraine zurückzuziehen, aber derartige Resolutionen sind weder bindend, noch machen sie auf autoritäre oder totalitäre Herrscher irgendeinen nachhaltigen Eindruck. Auf Atommächte schon gar nicht.

Anders wäre die Lage bei einer entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates, hier allerdings ist Russland ständiges Mitglied und würde – wie könnte es auch anders sein –,  sofort ein Veto einlegen. So etwas wie eine Befangenheitsregelung kennt man dort nicht.

Der internationale Strafgerichtshof

Bleibt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH). Auf Ersuchen von insgesamt 39 Staaten hat der dortige Chefankläger ein Ermittlungsverfahren zur „Situation in der Ukraine“ eröffnet, Putin wird noch nicht einmal erwähnt. Meine Vermutung: Das wird dauern und dauern.

Der IStGH soll Hauptverantwortliche für Gräueltaten und Kriegsverbrechen verfolgen. Aber Russland erkennt das Gericht nicht an. Dass sich der russische Präsident dort verantworten muss oder neben ihm andere militärische Führungskräfte, gilt in Fachkreisen als „nicht sehr wahrscheinlich“. Zumal der IStGH keine Haftbefehle ausstellen und (im Ausland) vollstrecken kann. Auch die Ukraine ist nicht Mitglied dieses Gerichtshofes, erkennt aber seit 2014 dessen Gerichtsbarkeit an.

Das Gericht selber wiederum darf nicht mit dem „UN-Kriegsverbrechertribunal“ verwechselt werden, das in der Vergangenheit explizit für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda zuständig war.

So traurig es klingt: Das (Völker-)Recht wird den Krieg in der Ukraine nicht beenden können. Bleibt die Hoffnung auf einen baldigen Frieden – der diesen Namen auch verdient- und friedensvertragliche Regelungen, die Putin nicht das Gefühl geben, am Ende habe es sich für ihn doch gelohnt, die Ukraine mit einem Krieg zu überziehen.

Der Autor ist Kongresspräsident des Berliner Kongress wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war Wolfgang Bosbach Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.