Dr. Irene Mihalic
© Stefan Kaminski

„Die Reform der Sicherheitsarchitektur wäre ein zentrales Projekt für eine Grüne Innenpolitik“

Im Interview: Dr. Irene Mihalic

„Wir müssen die Weichen umstellen von aktionistischem, anlassbezogenem Handeln auf eine evidenzbasierte Sicherheitspolitik“ sagt Dr. Irene Mihalic im VdZ-Interview und fordert eine Reform der Sicherheitsarchitektur für eine bessere föderale Zusammenarbeit sowie eine nachhaltige Personalpolitik im Bereich der Bundessicherheitsbehörden.
Dr. Irene Mihalic wurde am 17. November 1976 in Waldbröl, NRW geboren.Nach der Fachoberschulreife absolvierte sie eine Ausbildung zur Polizeibeamtin; sie studierte an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln Kriminologie und Polizeiwissenschaft (M.A.) an der Ruhr-Universität Bochum. 1993 trat Dr. Irene Mihalic in die Polizei NRW ein und war dort in verschiedenen Bereichen tätig, seit 2007 beim Polizeipräsidium Köln. Seit 2006 ist sie Mitglied von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und war ab 2007 in Kreis- und Landesvorstand NRW ihrer Partei tätig. Im Jahr 2013 zog sie erstmalig in den Deutschen Bundestag ein. Sie ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
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VdZ: Cybersicherheit, Terrorismus, Extremismus oder auch die Sicherheit auf der Straße - wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die innere Sicherheit?

Mihalic: Bedrohungen können sich sehr schnell ändern. Eine besonders hohe Gefahr geht derzeit sicherlich vom Rechtsextremismus beziehungsweise Rechtsterrorismus aus. Die größte Herausforderung aktuell ist es, die föderale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zu reformieren und zu effektivieren. Das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) für den islamistischen Terrorismus und das Gemeinsame Extremismusabwehrzentrum (GETZ), leisten derzeit nicht das, was sich die Menschen unter diesen Zentren vorstellen: Eine zwischen Bund und Ländern koordinierte Bekämpfung terroristischer Bestrebungen mit klaren Regeln für die Übernahme von Verantwortung. Viele Untersuchungsausschüsse haben die Defizite in diesem Bereich mehrfach herausgearbeitet, nun braucht es endlich grundlegende Reformen.

VdZ: Wo gibt es dabei die größten Diskrepanzen zwischen den Positionen von Bundesregierung und Opposition?

Mihalic: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen verharren in ihrem Konzept, auf Anschläge und Bedrohungen reflexhaft mit Maßnahmen zu reagieren, die eher in den PR- als in den Fachabteilungen der Ministerien und Behörden entstanden zu sein scheinen. Das sind dann oft Maßnahmen, die keinen wirklichen Sicherheitsgewinn mit sich bringen sondern zeigen sollen: Wir machen da irgendwie was. Mit solchen Maßnahmen machen wir uns und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern etwas vor und das kann nicht der Anspruch sein. Wir als Grüne setzen daher auf analyse- und evidenzbasierte Sicherheitspolitik. Wir wollen wieder regelmäßig erscheinende periodische Sicherheitsberichte auf wissenschaftlicher Basis, um wirklich angemessen und zielgerichtet auf Bedrohungen, Gefahren und die Kriminalitätsentwicklung reagieren zu können.

VdZ: Mobile Policing, digitale Überwachung, Gesichtserkennung, Polizei 2020, Predictive Policing - muss der Staat gegenüber der (organisierten) Kriminalität aufrüsten oder sehen Sie eher Daten und Freiheit des Einzelnen bedroht?

Mihalic: Dienstliche Smartphones können zahlreiche polizeiliche Aufgaben von der Halterabfrage bis zur Beweissicherung erleichtern. Anders als beispielsweise private Geräte können dienstliche Smartphones auch datenschutzkonform und hinreichend sicher betrieben werden. Ein solches Arbeitsmittel kann sehr sinnvoll sein.

Demgegenüber ist Gesichtserkennung datenschutzrechtlich problematisch, schafft aber vor allem für die polizeiliche Praxis erstmal neue Probleme: Zum einen braucht es viel extra Personal, um den zahlreichen Falschmeldungen, die die Software noch auf absehbare Zeit ausgeben wird, nachzugehen.

Zwischen Arbeitserleichterung und Datenschutz: das Smartphone in der Polizeiarbeit.

Zum anderen entstehend durch die Videotechnik Berge an Beweismitteln, die in jedem Einzelfall erstmal gesichtet werden müssen, auch wenn es in bestimmten Fällen nur sehr selten etwas bringt, weil eine Identifizierung des Täters dadurch erstmal auch nicht wahrscheinlicher wird.

Polizei 2020 und Predictive Policing sind Zukunftsprojekte und der polizeiliche Nutzen steht noch in Frage. Bei Predictive Policing überwiegen ganz klar die Bedenken, zumal auch viele Grundsatzfragen für einen entsprechenden Betrieb noch ungeklärt sind. Da wäre es weitaus sinnvoller Raumbezügen Daten, die bei polizeilichen Einsätzen ohnehin auffallen, entsprechend auszuwerten und für die polizeiliche Arbeit besser nutzbar zu machen. Was Polizei 2020 betrifft, wird es auf die konkrete Ausgestaltung der Planungen ankommen, wie diese zu bewerten sein werden. Vereinheitlichung und Überwindung von Fragmentierung sind auf jeden Fall gut, aber es muss alles rechtlich sauber geklärt sein. Und anders als der Name vermuten lässt, wird diese Klärung in 2020 noch nicht ansatzweise erfolgt sein.

VdZ: Bundestag und Bundesrat haben mit dem 3. Waffenrechtsänderungsgesetz kürzlich beschlossen, die Einrichtung von Waffenverbotszonen zu erleichtern, diverse bislang freie Waffen anzeige- oder erlaubnispflichtig zu machen und die Regelungen des legalen Waffenbesitzes zu verschärfen. Halten Sie dies für zielführend?

Mihalic: Waffenverbotszonen können lokal sinnvoll sein, sie dürfen jedoch nicht missbraucht werden, um anlasslose polizeiliche Kontrollen zu ermöglichen. Wenn eine Waffenverbotszone eingerichtet wird, muss daher vor allem auch genug Personal da sein, damit wirklich eine waffenfreie Zone entsteht. Ob und wo das möglich und nötig ist, hängt von den Umständen vor Ort ab.

Dass das Waffenrecht verschärft wurde, ist grundsätzlich richtig. Nicht alle Vorgaben der EU- Feuerwaffenrichtlinie sind am Ende jedoch so gekommen, wie sie ursprünglich gedacht waren. Nicht alle Regelungen sind daher jetzt so sinnvoll, wie sie hätten sein können. Grundsätzlich muss der legale Waffenbestand noch stärker kritisch in den Blick genommen werden. Allein die tausenden von legalen scharfen Schusswaffen die jedes Jahr als gestohlen oder sonst abhandengekommen gemeldet werden, machen deutlich, dass dieser Bereich erhebliche Bedeutung für die innere Sicherheit hat, denn diese Waffen sind ja nicht weg, sondern in der Regel nur woanders. Das ist gerade in Zeiten einer sehr starken rechtsextremistischen Bedrohung besonders besorgniserregend.

VdZ: Wenn Sie nach der nächsten Bundestagswahl Innenministerin würden: Wo lägen Ihre Prioritäten, was würden Sie (anders) machen?

Mihalic: Wir müssen die Weichen umstellen von aktionistischem, anlassbezogenem Handeln auf eine evidenzbasierte Sicherheitspolitik. Von diesem Grundgedanken leitet sich vieles andere ab. Die Reform der Sicherheitsarchitektur für eine bessere föderale Zusammenarbeit wäre ein zentrales Projekt für eine Grüne Innenpolitik, auch um den immensen Gefahren, die von islamistischem und rechtsextremistischem Terror ausgehen wirksam begegnen zu können. Außerdem wäre mir besonders wichtig, eine nachhaltige Personalpolitik im Bereich der Bundessicherheitsbehörden zu machen. Hier wurde jahrelang gekürzt, und jetzt wurden in relativ kurzer Zeit sehr viele Stellen geschaffen, um nun die Versäumnisse zu kompensieren. Einen Raubbau am Personal, so wie er zwischen 2006 und 2016 stattgefunden darf es nicht mehr geben.