Mit sehr seltenen Ausnahmen handelt es sich bei den digitalen Rathäusern der Kommunen um eine mehr oder weniger strukturierte Sammlung von Internet-Links auf die jeweiligen seitens der Kommune angebotenen OZG-Fachverfahren, bisweilen auch nur die jeweils für bestimmte Bürgeranliegen zuständigen Abteilungen, Personen und deren Kontaktdaten. In seltenen Ausnahmesituationen wird ein sogenanntes “virtuelles Bürgerbüro” angeboten, in dem - in der Regel mit vorheriger Terminreservierung - Beratung zu unterschiedlichen Fachverfahren angeboten wird.
Der Begriff des digitalen Rathauses ist deshalb interessant, weil er in den Köpfen der Digitalisierungs-Community so stark mit OZG-Fachverfahren verbunden ist, nicht aber die Vielzahl und Vielfalt der Interaktionen (innerhalb, zwischen Verwaltungen, Unternehmen und Bürgern) umschliesst, die in der öffentlichen Verwaltung - insbesondere auf kommunalem Level - tatsächlich passieren. Um genau diesen Kontrast soll es in dieser Beitragsserie gehen.
Es stellt sich daher die Frage, ob diese gedankliche Verengung bzw. Zuschreibung (Framing) des Begriffs “Digitales Rathaus” auf OZG-Fachverfahren dazu führt, dass den über die Fachverfahren hinausgehenden Anteile der Verwaltungsdigitalisierung nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird und die Herausforderungen und Potentiale einer ganzheitlichen Digitalisierung des Verwaltungshandelns selbst nicht gesehen werden?
In dieser kurzen Serie von Beiträgen möchten wir, ausgehend von drei Leitfragen zum physischen Rathaus, kritisch mit dem Begriff des “digitalen Rathauses” auseinandersetzen:
- Was passiert im Rathaus?
- Wer sind die handelnden Personen (Stakeholder) des Rathauses?
- Wo findet die Interaktionen statt?
Die Diskussion der Leitfragen soll helfen, die sich im Rahmen der Verwaltungsdigitalisierung ergebenden, zukünftigen Möglichkeiten aufzureißen und bewerten und auf dieser Basis Überlegungen anzustellen, wie eine ganzheitlich gedachte Verwaltungsdigitalisierung in Zukunft aussehen könnte.
Ohne maximale Rationalisierung und damit eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung der Fachverfahren ist der Erfüllungsaufwand bei sich abzeichnendem Fachkräftemangel nicht zu leisten - und der politische Druck ist nach der “ersten Runde” OZG (da ist die Verwaltung stehend K.O. gegangen) immens. Insofern geht es hier nicht um eine Kritik an Anstrengungen zur Umsetzung des OZG, sondern darum aufzuzeigen, dass die Umsetzung der OZG-Fachverfahren von einer ganzheitlich digitaleren Transformation der Verwaltung eben immens profitieren kann.
Hypothesen der Beitragsserie im Überblick
Über die Diskussion der genannten Leitfragen werden wir zeigen, dass die aktuelle Verwendung des Begriffs “Digitales Rathaus” den Blick auf Herausforderungen und Potentiale der digitalen Transformation als Ganzes verstellt. Es wird daher vorgeschlagen, die bislang entwickelten Ansätze als “(OZG-)Antragsportale” zu bezeichnen. Die auf einen Ort referenzierenden Begriffe wie “Digitales Verwaltungszentrum” (Rathaus, Kreishaus, RP etc.) wiederum verweisen auf Kommunikations- und Kollaborationsplattformen für alle Aufgabengebiete, Anspruchsgruppen und Ebenen der öffentlichen Verwaltung.
Beide Elemente - Antragsportal und Interaktionsplattform - definieren die “Citizen Experience” der Zukunft: funktionierende Ende-zu-Ende-Fachverfahren, proaktives Verwaltungshandeln (”ihr Parkausweis läuft in 4 Wochen ab, anbei der bereits mit Ihren Daten vorausgefüllte Antrag) und Verwaltungsmitarbeitende, die die zeitlichen Ressourcen haben, ihre Kunden und Partner bei Umsetzung ihrer strukturierten und nicht-strukturierten Anliegen zu unterstützen.
Durch das Anbieten digitaler Kanäle wird eine zeitgemäße Möglichkeit der Bürgerbeteiligung geschaffen. Dies ist gerade in Zeiten zunehmender Verwaltungsdigitalisierung wichtig, die ja den “menschlichen” Kontakt zwischen Bürger und Gemeinde zunehmend durch maschinellen Kontakt und Automatisierung ersetzt. Wir brauchen diesen “Klebstoff des menschlichen Austauschs” und müssen die Momente und Orte verstehen, an denen diese “Facetime” von Verwaltungsmitarbeitenden tatsächlich Mehrwert für die Gemeinschaft und damit das demokratische Miteinander schafft.
Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit einschneidender politischer und klimatischer Ereignisse zwingt gerade die öffentliche Verwaltung ihre Resilienz zu stärken - schnelle und unkomplizierte, Bereichs-, Organisations- und Ebenenübergreifende Zusammenarbeitsformate zwischen allen Anspruchsgruppen (Verwaltung, Bürger, Unternehmen, Interessenvertreter) sind hier unabdingbar: Wie kann ich Zusammenarbeit im Landkreis bei einem Starkwetter-Ereignis hinreichend schnell auf die Beine stellen? Die Zuweisung Geflüchteter ist nochmals drastisch erhöht worden - wie kann ich schnell eine leistungsfähige Taskforce aus Verwaltung, Unternehmen und Bürgern arbeitsfähig machen? Eine nachhaltige Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung birgt mögliche Antworten auf diese Fragen.