Organisationslabor Cassini
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Mit dem Lab-Ansatz die Zukunft der Organisation gestalten

Organisationslabor: Innovation bei Sozialversicherungsträgern

Wie schaffen es Sozialversicherungsträger trotz massivem Fachkräftemangel und stetig steigender Aufgabenlast performant zu bleiben und sich weiterzuentwickeln? Cassini begleitete einen großen Sozialversicherungsträger dabei, einen innovativen Lösungsansatz zu implementieren: Ein Organisations-Lab sollte die Organisation befähigen, den vielfältigen aktuellen Anforderungen besser gerecht zu werden, und ihre Zukunftsfähigkeit stärken. Wir unterstützten bei Konzeption und Erprobung über einen Zeitraum von zwölf Monaten. Unsere wichtigsten Erfahrungen und Lehren aus diesem iterativen Prozess teilen wir als Impulse für Ihre eigene Transformation.

Sozialversicherungsträger stehen vor vielfältigen Herausforderungen

Die Träger der Sozial- und Rentenversicherungen sehen sich mit einem doppelten demografischen Wandel konfrontiert: Auf der einen Seite scheiden gut qualifizierte Fachkräfte aus dem Arbeitsleben aus und Stellen können nur schwer mit jüngeren Mitarbeiter*innen nachbesetzt werden. Auf der anderen Seite steigt die Arbeitsbelastung durch eine wachsende Anzahl an Rentnerinnen und Rentnern. Der Kund*innenstamm der Sozialversicherungen wird also größer, während die Aufgaben auf weniger Schultern verteilt werden müssen. Sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, würde die Personallücke allein bei der DRV Bund, der größten Trägerorganisation der Renten- und Pflegeversicherung, bis 2034 auf rund 3.500 Mitarbeitende steigen¹.

Zusätzlich verändern sich die Wünsche der Kund*innen. Sie sind aus anderen Bereichen des Alltags digitale und auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Angebote gewohnt und erwarten dies nun auch bei der Kommunikation mit Behörden und Sozialversicherern.

Diese und weitere sich ständig verändernde Rahmenbedingungen verlangen eine hohe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität von Organisationen und ihren Mitarbeitenden. Die Sozialversicherungsträger initiieren derzeit verschiedene Maßnahmen, um den wachsenden Anforderungen zu begegnen und die notwendige Transformation aktiv zu gestalten. Als eine innovative Maßnahme in diesem Zusammenhang gilt der Aufbau eines Organisations-Labs.

Die Idee: Ein Innovationslabor, in dem Optimierungen von und für die Sachbearbeitung umgesetzt werden

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Mitarbeitende aus der Organisation wissen selbst am besten, wo der Schuh drückt. Das ist die Grundidee, die hinter einem Organisations-Lab steht. Es schafft einen Raum, in dem Mitarbeitende konkrete Lösungen entwickeln, validieren und in den Rollout bringen, die ihren eigenen Arbeitsalltag unmittelbar verbessern.

Im Fokus des Organisations-Labs stehen Optimierungen in den Bereichen Arbeitsorganisation, Prozesse und IT. In der Pilotphase unseres Kundenprojekts optimierten beispielsweise Expert*innen aus der Sachbearbeitung und Rechtssachverständige in einem co-kreativen Ansatz die Nutzerfreundlichkeit von Arbeitshilfen und Anleitungen mit kritischem Rechtsbezug. Das Ergebnis erspart den vielen Beschäftigten in der Sachbearbeitung Zeit in ihrer täglichen Arbeit.

Im Organisations-Lab unseres Kunden arbeitet ein festes Team mit Methodenexpertise, das die einzelnen Lösungsentwicklungen begleitet. Für jeden Lösungsentwicklungsprozess wird ein temporäres cross-funktionales Team gebildet. Dieses besteht aus einzelnen Lab-Teammitgliedern sowie Expert*innen aus der Sachbearbeitung und den Fachabteilungen (IT, Recht etc.). Größe und Zusammensetzung des Teams richten sich nach der jeweils erforderlichen Expertise. Der Lösungsentwicklungsprozess fußt auf klar definierten Phasen und Rollen. Die Phasen orientieren sich am Design-Thinking-Ansatz, die Rollen sind durch die Scrum-Methode inspiriert. Das Lab-Personal führt durch den Prozess und unterstützt diesen durch passende Methoden für die Problemlösungen und Ideenfindung.

Lehren für den Aufbau von Innovationslabs in der öffentlichen Verwaltung

Zahlreiche Organisationen der öffentlichen Hand machen sich aktuell auf den Weg und entwickeln Innovationseinheiten und -labore, um Herausforderungen zu begegnen. Daher hoffen wir, dass unsere zentralen Lehren auch für andere Organisationen interessant sein werden. Unsere Tipps und Hinweise möchten wir im Folgenden mit Ihnen teilen.

1. Externe und interne Erfahrungen nutzen

Zu Beginn der Konzeptionsphase führten wir sowohl Gespräche mit Innovationslaboren anderer Organisationen als auch mit relevanten internen Stakeholdern. Auf diesem Wege generierten wir zahlreiche inhaltliche Impulse für die Konzeption: Manche Mitarbeiter*innen erhofften sich durch das Lab entscheidende Ideen, um die Veränderungsbereitschaft und Agilisierung der gesamten Organisation zu erhöhen. Sie waren sehr bereit, den gesamten Prozess zu unterstützen. Andere hatten Vorbehalte und wir standen im Projekt dann vor Schwierigkeiten, den Ansatz zu erläutern, ohne bereits spätere Ergebnisse aus dem Lab konkretisieren zu können.

In jedem Fall war es ein zentraler Erfolgsfaktor, frühzeitig zu kommunizieren. Der Lab-Ansatz lebt davon, in der Organisation verankertes Wissen zu heben und in Wert zu setzen. Denn jede Organisation tickt anders und in jeder Organisation gibt es Menschen, die bereits ähnliche Erfahrungen gesammelt und ihren eigenen Weg gefunden haben, Herausforderungen zu meistern. Führen Sie Gespräche im Haus, um aus diesem Erfahrungsschatz der Kolleg*innen zu lernen. Nutzen Sie die Gespräche aber auch, um von Bedenken zu erfahren, Schnittstellen und potenzielle Synergien zu identifizieren und die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu legen.

2. Zentrale Leitplanken formulieren und zielführend kommunizieren

Die oben formulierte Lab-Idee bildete den Ausgangspunkt für die Projektphase. Im Projektverlauf zeigte sich aber schnell, dass diese Idee viele unterschiedliche Bilder in den Köpfen der beteiligten Stakeholder erzeugte. Sie reichten von einem flexibel abrufbaren Team mit Methodenexpertise bis zum Rund-um-Lösungsentwickler für alle Herausforderungen der Organisation. Um zu verhindern, dass sich falsche Erwartungen und daraus entstehende nicht zutreffende Narrative in der Organisation verfestigen, definierten wir frühzeitig Leitplanken und stimmten diese mit den zentralen Stakeholdern ab: Was soll das Lab leisten und was nicht?

Im Lab wurde uns die Botschaft von Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ klar vor Augen geführt. Das richtige Maß für Umfang und Frequenz der Kommunikation zu finden, ist herausfordernd. Seien Sie sich dessen bewusst. Planen Sie aktive, regelmäßige und frühzeitige Kommunikation sowie Information beim Aufbau eines Labs ein. Wichtig ist auch, dass Sie Erfolge sichtbar machen, um Skepsis abzubauen, weitere Fürsprecher*innen zu gewinnen und Mitarbeitende zur Teilnahme an den Formaten zu gewinnen.

Hierbei hilft ein Kommunikationskonzept, in dem zentrale Botschaften für Zielgruppen in der Organisation formuliert und mögliche Formate definiert werden. Für die einzelnen Projekte im Innovationslabor sollten Sie ein einfaches Schema aufsetzen, das festhält, wann und zu welchen Aspekten standardmäßig kommuniziert werden soll.

3. Erproben, erproben, erproben

Ein Lab lässt sich nur begrenzt am grünen Tisch konzipieren. Rollen und Prozesse können entwickelt und durch externe und interne Impulse sowie Feedback geschärft werden. Einen klaren Blick darauf, was funktioniert und was nicht, bekommt man allerdings erst, wenn Ergebnisse in der Praxis erprobt werden. Führen Sie daher frühzeitig Prozesse zur Lösungsentwicklung durch und überprüfen Sie so Ihre gemachten Annahmen.

Hierbei hat es sich bewährt, in der Organisation auf bereits existierende Ideen zurückzugreifen. Zum einen minimieren Sie hiermit den Weg von der Ideenfindung bis zur Lösungsentwicklung, zum anderen lösen Sie bekannte Schmerzpunkte in der Organisation und können hierdurch gut kommunizierbare Erfolge generieren.

Die weiter oben erwähnten Arbeitshilfen mit rechtsrelevantem Inhalt benötigten so von der Ideenaufnahme bis zum Rollout beispielsweise nur etwa drei Monate. Die Arbeit für die im temporären cross-funktionalen Team beteiligten Mitarbeitenden beschränkte sich auf rund 3 kurze Workshops und wenige Input- bzw. Feedbackschleifen. Der entscheidende Mehrwert des Organisation-Labs: Es stellte eine zielführende Moderation sicher, sorgte für einen stringenten Prozess und ein Verständnis für die unterschiedlichen Sichtweisen und Bedürfnisse, die der Prozess hervorbrachte.

4. Lessons Learned systematisch evaluieren und nutzen

Während der Projektlaufzeit wurden insgesamt 5 Ideenentwicklungsprozesse zu unterschiedlichen Fragestellungen und mit unterschiedlichem Umfang begleitet. Diese Prozesse mit Pilotcharakter waren entscheidend, um bestehende Arbeitsabläufe und Rollenmodelle kritisch zu beleuchten und weiterzuentwickeln.

Eine Erkenntnis: Es bringt große Entlastung, wenn die Verantwortlichen für den Ideenentwicklungsprozess ständige Mitarbeitende des Labs sind und nicht etwa zu den Nutzenden bzw. Ideengebenden gehören. Dadurch werden Mitarbeitende aus der Linie nicht unnötig belastet und können sich auf ihre Rolle als Fachexpert*in im Prozess konzentrieren. Darüber hinaus kann so die Methoden- und Prozesskompetenz innerhalb des Labs weiter ausgebaut werden, was eine immer effizientere Ideenentwicklung ermöglicht.  

Für jede Erprobung sollten Sie mindestens einmal während und zum Abschluss des Prozesses systematisch Lessons Learned erheben und hieraus Erkenntnisse und gezielte Anpassungen der Konzepte ableiten. Hilfreich ist es, wenn Sie mit Hypothesen arbeiten, die Sie im Laufe der Erprobung überprüfen.

5. Führungskräfte einbinden

Für den Erfolg ist es maßgeblich, dass sich Mitarbeitende über einen festen Zeitraum an einem Prozess beteiligen und ihre Expertise in die Entwicklung einer Lösung einbringen. Für diese Beteiligung sollte ausreichend Zeit neben der Linientätigkeit zur Verfügung stehen.

Deshalb ist es wichtig, dass auch die Führungskräfte von der Relevanz des Organisations-Labs überzeugt sind, sie ihre Mitarbeitenden zur Beteiligung ermutigen und ihnen die notwendige Rückendeckung geben. Nicht zuletzt sind die Führungskräfte von Bedeutung, weil sie die Überführung der entwickelten Lösung in die Linie und den damit einhergehenden Veränderungsprozess begleiten. Information und Kommunikation sind hier die entscheidenden Stichworte. Im Projekt haben wir frühzeitig einen Plan entwickelt, um Führungskräfte über den Ansatz des Organisations-Labs einerseits und über einzelne Vorhaben, die durch dieses umgesetzt werden, andererseits zu informieren.

Binden Sie Führungskräfte frühzeitig ein und vermitteln Sie ihnen den Nutzen des Labs und des individuellen Prozesses. Gestalten Sie die Einbindung bedarfsgerecht – gemeinschaftlich oder in Form bilateraler Gespräche.

6. Sponsorship für das Lab gewinnen

Das Lab-Team braucht Rückhalt und Unterstützung durch einen Sponsor oder eine Sponsorin aus dem Management. Aufgabe der Führungskraft ist es, dem Team die notwendige Zeit zu verschaffen, um Strukturen zu durchdenken und aufzubauen. Sie muss auf Entscheidungsebene zudem stetig Überzeugungsarbeit leisten, um Mitarbeitende für die Beteiligung an Erprobungen zu gewinnen und sie zu motivieren, neue Arbeitsweisen und Wege der Zusammenarbeit auszuprobieren und zu erlernen.

Die Rolle sollte über Stellung und Mandat verfügen, im Lab entwickelte Lösungen schnell in den Rollout zu bringen, um auf diese Weise dabei zu unterstützen, dass konkrete Ergebnisse für die Mitarbeitenden in der Organisation sichtbar und erlebbar werden. 

Achten Sie deswegen bei der Gründung eines Labs als Organisationseinheit und ebenso beim Start eines jeden Ideenentwicklungsprozesses darauf, dass Sie einen relevante*n Fürsprecher*in an Ihrer Seite haben. Eine Person, die das Vertrauen der Mitarbeitenden in das Lab, seine Zielsetzung und die einzelnen Prozesse stärkt.

7. Etablierte Arbeitsweisen, Rollen und Methoden adaptieren

Die Arbeitsweisen und Rollen im Organisations-Lab orientieren sich an etablierten Vorbildern aus der agilen Welt, insbesondere dem Scrum-Framework und den Methoden und Grundideen des Design Thinkings. Die Orientierung hieran bietet viele Vorteile: Die Methoden passen gut zum agilen Arbeitskontext im Organisations-Lab und setzen auf hohe Eigenverantwortung der Teammitglieder, was zu einem hohen Maß an Partizipation und Engagement führt. Der Fokus liegt auf wenigen, aber dafür klar definierten Rollen. Hier kann das Lab-Personal auf Erfahrungen aufbauen, die es mit den Rollen in anderen Kontexten gesammelt hat.

Die effektive Nutzung der agilen Arbeitsweisen und Rollen ist ein zentraler Hebel für die erfolgreiche Umsetzung einer Erprobung, in der erhofften Zeit und mit dem erhofften Ergebnis. Planen Sie deshalb im Prozess hinreichend Zeiten für das Erläutern, Erlernen und Festigen von Arbeitsweisen und Rollen ein, damit diese von allen verstanden und gelebt werden können. Hierfür sollten Sie nicht nur zu Beginn, sondern während des gesamten Prozesses, gezielte Impulse setzen, beispielsweise durch kleine Learning Nuggets zu Beginn jedes Termins.

 

Die Reise geht weiter

Labs sind ein inzwischen bewährtes Mittel, um den Herausforderungen in einer sich immer schneller verändernden Welt zu begegnen. Indem die Mitarbeitenden aktiv in den Optimierungsprozess ihrer Organisation eingebunden werden, entsteht nicht nur praxisnahe Innovation, sondern auch eine stärkere Identifikation mit den Lösungen. Der Mut zum Experimentieren und zum – nur scheinbaren – Abgeben von Kontrolle wird vielfach belohnt: mit stetig wachsender Innovationskraft, steigender Motivation zum Mitdenken und Mitgestalten in der gesamten Mitarbeiterschaft, einem stärkeren Miteinander über Abteilungsgrenzen hinweg und vielen konkreten Lösungen für kleine, aber auch große Herausforderungen, denen sich Sozialversicherungsträger heute gegenübersehen.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Organisations-Labs gesammelt oder erwägen Sie eine Einführung? Wir freuen uns über den Austausch mit Ihnen. Sprechen Sie uns gerne an!


¹Vgl. Pressemitteilung der DRV Bund vom 23.06.2025, abrufbar unter: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Bund/DE/Presse/Pressemitteilungen/
pressemitteilungen_aktuell/2025/2025-06-23-vv-fasshauer.html
(16.10.2025)


 

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