Bürokratieabbau; Akten; Digitalisierung
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Was Ronald Reagan zu den Eckpunkten des Bürokratieentlastungsgesetzes sagen würde

Im Koalitionsvertrag wurde 2021 ausgehandelt: Ein Bürokratieabbau muss her! Nun hat das Bundeskabinett das von Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgelegte Eckpunktepapier verabschiedet, das 51 konkrete Maßnahmen vorsieht. Das Papier soll die Grundlage für einen künftigen Gesetzentwurf sein. Die beiden Professoren Robert Müller-Török und Alexander Prosser haben sich kritisch mit den Details dieses Entwurfs auseinandergesetzt.

Eckpunkte zum Bürokratieentlastungsgesetz 

Die Bundesregierung veröffentlichte jüngst ein Eckpunktepapier, um u.a. unnötige bürokratische Belastungen abzubauen”, wobei in 26 der 51 Einzelmaßnahmen Digitalisierung der Verwaltung explizit erwähnt wird. In vielen anderen Punkten ergibt sie sich aus dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung implizit. Man kann also durchaus von einem Verwaltungsdigitalisierungspaket sprechen. 

Es fällt auf, dass – relativ zusammenhanglos – Einzelmaßnahmen aufgelistet werden. Was allerdings völlig fehlt, sind Maßnahmen oder Strategieaussagen zur notwendigen Basisinfrastruktur einer digitalen Verwaltung:

  • Jede Form von Verwaltungsdigitalisierung” erfordert Onlinezugänge, wie sie im OZG vorgesehen waren. Das OZG ist gescheitert; von 575 bis 2022 umzusetzenden Leistungen wurde einige wenige Dutzend realisiert. Der Präsident der bitkom, Achim Berg, meinte dazu, das digitale Deutschland ist ein Failed State”. 
  • Ein qualifizierter Onlinezugang erfordert eine eID, da der Antragsteller belastbar identifiziert werden muss. Das im Referentenentwurf vorliegende OZG 2.0” sieht als Identifikationsmittel nur noch das ELSTER-Zertifikat und eIDs gemäß eIDAS-VO vor; weitere sonstige niedrigschwellige Identifikationen” werden nicht mehr zugelassen. Siehe dazu weiterführend auch den VDZ-Artikel über Bürgerbeteiligung.

Die Justiz im digitalen Zeitalter. Wie gut funktioniert das e-Government in Deutschland?
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  • Die eID wiederum erfordert digitalisierte Register, vor allem im Melde- und Personenstandswesen und im Handelsregister (firmenmäßige Zeichnung). Dies ist auch im Registermodernisierungsgesetz RegMoG vorgesehen, der Anhang listet die zu digitalisierenden Register. Eine eID stellt dann darauf aufbauend die Verknüpfung eines digitalen Signaturzertifikats mit einem Eintrag im Register her, digital signiert und bestätigt von der Registerbehörde. Über den Umsetzungsstand des RegMoG liegt insgesamt wenig detaillierte und hier nicht aktuelle Information vor. 

Ohne diese Basisinfrastruktur aus digitalen und hochverfügbaren Registern und eID macht e-Government wenig Sinn. Das Scheitern des OZG 1.0 war ohne diese Basisinfrastruktur fast zwingend.  

Die „digitalisierungsfernen“ Eckpunkte 

Statt dieses Infrastrukturproblem anzugehen, bietet das Papier ein eklektizistisches Sammelsurium zusammenhangloser Einzelmaßnahmen, die noch dazu in Teilen nicht durchdacht erscheinen. Im Folgenden eine kleine Auswahl: 

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Die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege werden wir von zehn auf acht Jahre verkürzen.

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Eckpunktepapier des BMJ

Die meisten Unternehmen setzen schon lange auf ersetzendes Scannen. Damit ist die Aufbewahrungsdauer irrelevant. Gibt es tatsächlich Papierbelege, so gilt wohl: Wenn der Beleg erfasst und verarbeitet sowie abgelegt ist, ist es irrelevant, wie lange der physische Ordner im Schrank steht. Im Gegenteil, so werden Steuerfahndern und Staatsanwälten Belege zwei Jahre früher entzogen.

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Wir werden die Hotelmeldepflicht für deutsche Staatsangehörige abschaffen.

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Eckpunktepapier des BMJ

Dies steht wohl im Widerspruch zum allgemeinen Diskriminierungsverbot nach AEUV Art. 18. Eine Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit ist in der EU verboten – wie die BRD in Sachen PKW-Maut jüngst schmerzlich erfahren musste. Worin die sachliche Rechtfertigung für diesen Eingriff bestehen soll, erschließt sich den Autoren nicht. Offenbar unterstellt die Verwaltung, dass deutsche Staatsangehörige ausschließlich in Deutschland leben und Ausländer ausschließlich im Ausland.

Wir werden das Arbeitszeitgesetz und das Jugendarbeitsschutzgesetz mit dem Ziel anpassen, dass die jeweiligen Aushangpflichten durch den Arbeitgeber auch erfüllt werden, wenn er die geforderten Informationen über die im Betrieb oder in der Dienststelle übliche Informations- und Kommunikationstechnik (etwa das Intranet) elektronisch zur Verfügung stellt, sofern alle Beschäftigten freien Zugang zu den In-formationen haben."

In digitalisierten Staaten sind Gesetze via Internet (nicht Intranet!) staatlicherseits gratis verfügbar. Und zwar in einer rechtsverbindlichen Version, seit kurzem auch in Deutschland (1.1.2023). Diese Bestimmung fordert vom Arbeitgeber, dass er die Internetinhalte künftig in sein Intranet kopieren soll. In allen Fällen haben dann Beschäftigte ohne Intranetzugang oder z. B. mit Behinderung ein Problem. Was der Mehrwert daran wäre, erschließt sich den Autoren nicht. 

Das Eckpunktepapier enthält einen großen Block, der separater Erörterung bedarf.

Die Textform: Das Tor zur Unterwelt? 

Das Eckpunktepapier möchte an mehreren Stellen die bislang vorgeschriebene Schriftform durch die Textform ersetzen.

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Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wollen wir Schriftformerfordernisse insbesondere im Vereins-, Schuld- und Mietrecht aufheben. Beispielsweise soll das Schriftformerfordernis für Mietverträge über Gewerberäume gestrichen werden. [..] Im GmbH-Recht soll zum Beispiel klargestellt werden, dass im Falle der Beschlussfassung der Gesellschafter außerhalb einer Versammlung eine Abgabe der Stimme in Textform genügt, wenn sämtliche Gesellschafter einverstanden sind. Zudem wollen wir Schriftformerfordernisse im Schuldverschreibungsgesetz [..] aufheben.

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Eckpunktepapier des BMJ

Hierzu müssen wir in Erinnerung rufen, was Schriftform, was Textform und was elektronische Form ist. 


Schriftform ist ein rechtlich definierter Begriff, z. B. in § 126 BGB. Die elektronische Form hierzu findet sich in § 126a BGB und ist die qualifizierte elektronische Signatur. Diese wurde 1999 durch die Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen eingeführt und in Deutschland durch das SigG und die SigV  umgesetzt.  


Leider konnte sie, im Gegensatz zu anderen Mitgliedsstaaten, hier nie Fuß fassen. Möglicherweise deshalb, weil die damalige Bundesregierung diese Umsetzung durch eine eigene, nationale und folgerichtig gescheiterte „Lösung“, die De-Mail, konterkarierte.  

2014 ersetzte die eIDAS-VO die Signaturrichtlinie und ist unmittelbar anwendbares europäisches Recht.  

Die Textform ist im § 126b BGB definiert und unterscheidet sich von der elektronischen Schriftform durch eine ganz wesentliche Eigenschaft: Die Identität des Absenders kann und muss nicht überprüft werden, ebenso ist die Beweiswirkung eine völlig andere. Vereinfacht gesagt, erfüllt eine einfache E-Mail, eine SMS oder eine WhatsApp- oder sonstige Social Media-Nachricht die Textform. Und das ist das Problem: Während eine qualifizierte elektronische Signatur einer eigenhändigen Unterschrift zu Recht gleichkommt und nicht fälschbar ist, kann die Textform beliebig manipuliert werden.

Damit definiert das BGB drei Formen: Schriftform – elektronische Form – Textform.

Der oben zitierte Abschnitt (und auch weitere) lassen nun zwei alternative Schlussfolgerungen zu: 

  • Die Autoren des Eckpunktepapiers sind sich nicht darüber im Klaren, dass es im BGB bereits eine elektronische Form gibt und – bereits jetzt – "Die schriftliche Form [] durch die elektronische Form ersetzt werden [kann], wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt” (§ 126 (3)). Das setzt die Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur und der erforderlichen Register voraus.  

  • Oder aber den Autoren sind die Regelungen des BGB sehr wohl bekannt, sie glauben aber offenbar nicht mehr an Registermodernisierung und eine verbreitete eID samt qualifizierter elektronischer Signatur und setzen daher bewusst auf ein Cheap Surrogatedie nicht authentisierte Textform. 

Beide mögliche Erklärungen dieser Passagen lassen nicht optimistisch in die Zukunft blicken.  

Exemplarischer Versand einer anonymisierten E-Mail über den Server Emkei.cz
© https://emkei.cz/

Realisiert man aber „Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wollen wir Schriftformerfordernisse insbesondere im Vereins-, Schuld- und Mietrecht aufheben. Beispielsweise soll das Schriftformerfordernis für Mietverträge über Gewerberäume gestrichen werden.“, so ist es künftig jedem Kind nach kurzer Google-Suche möglich, bspw. bei https://emkei.cz/ oder bei https://anonymousemail.me/ möglich, mit dem Absender ricarda.lang@gruene.de eine E-Mail an den schnell googelbaren Vermieter der Landesgeschäftsstelle München mit der Kündigung des Mietvertrags zu senden. Inwieweit dieser die Fälschung erkennt, ist nicht beurteilbar. (Hinweis: nutzen Sie die zur Illustration angegebenen Services ausschließlich zu legalen Unterhaltungszwecken!) 

Schreibt die Bundesregierung weiters „Die besondere Beweisfunktion der Schriftform soll dadurch gewahrt werden, dass dem Erklärungsempfänger das Recht eingeräumt wird, die Übermittlung einer Originalurkunde nachträglich zu verlangen.“, so werden hier rechtsfreie bzw. rechtlich nicht belastbare Räume eröffnet, in denen E-Mails Rechtsverhältnisse verändern, begründen oder auflösen, die möglicherweise sogar aus gezielten Cyberattacken stammen. Diese sollten auch für Amateur-Cyberangreifer kein Problem sein. Und für eine quasi-staatliche Trollfabrik ohnehin nicht.  

Bewusst eine sichere Form wie die papierbasierte Schriftform nicht durch die ebenso sichere elektronische Form, sondern ganz bewusst durch eine völlig unsichere (Text-)Form zu „ersetzen“, ist nach Ansicht der Autoren ein massiver Angriff auf die Rechtssicherheit in Deutschland. Dass die zahlreichen Bundesregierungen seit 1999 es nicht geschafft haben, die qualifizierte elektronische Signatur und eine sichere eID einzuführen und zu verbreiten, entschuldigt diese Fehlleistung nicht. 

Register: die große Baustelle 

Die meisten dieser Fehlentwicklungen lassen sich auf das Fehlen wesentlicher digitaler Register zurückführen. Dies zeigt sich beispielhaft an der aktuellen Grundsteuerdebatte. Hier gibt es mehrere, parallel existierende, relevante Register.  

  • (ein seit über 20 Jahren „laufendes“ Projekt dabag – Entwicklung eines bundeseinheitlichen Datenbankgrundbuches) 
  • Ein kostenpflichtiges elektronisches Grundbuch pro Bundesland das eine Wirtschaftsart” ausweist, also beispielsweise Waldfläche oder Wohnbaufläche. Dass www.grundbuch-portal.de nicht einmal eine TLS/SSL-Sicherung (https!) aufweist, sondern eine ungeschützte URL ist, belegt den Zustand des deutschen e-Governments in 2023. 

  • BORIS-D, das Bodenrichtwertsystem des Bundes Dieses ordnet Flächen Bodenrichtwerten zu, die von einem pro Landkreis eingerichteten Gutachterausschuss festgestellt wurden. Die Bodenrichtwerte orientieren sich ebenfalls an der Art der Nutzung, wobei es allerdings keinen Datenabgleich mit dem Grundbuch gibt. Dieser Datenbestand ist aber für die Bemessung der Grundsteuer Neu relevant.  

  • Daneben existieren noch Flächenwidmungen der lokalen Bauämter, unabhängig von den beiden oben genannten Registern.  

Damit ist es vollkommen denkbar, dass beispielsweise eine Fläche im Grundbuch als Waldfläche und in BORIS-D als gemischtes Bauland ausgewiesen wird. Die Grundsteuer wird dann auf das gemischte Bauland berechnet, während diese Nutzung natürlich gemäß Grundbuch nicht möglich ist 

Somit wird das Grundbuch seiner wesentlichen, seit Jahrhunderten wichtigsten Funktion beraubt: Dem Publizitätsprinzip, wonach man sich auf die Richtigkeit des Grundbuchs verlassen kann. Die Last dieser mangelhaften Digitalisierung und Nicht-Harmonisierung der Register trägt der Steuerzahler, die Konsequenzen der Eigentümer.  

Ab hier geht es dann aber nicht mehr um bloßen “Bürokratieabbau”, sondern um das Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit der Verwaltung.

Fazit: Deutschland wird auch nach Meseberg das e-Government-Schlusslicht Europas bleiben 

Kontaktaufnahme mit der Bundesregierung über ihre offizielle Webseite
© https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/kontakt?view=

Anstatt endlich die Grundlage für funktionierendes e-Government von den erfolgreichen Vorbildern in Europa einfach zu kopieren, verliert sich Deutschland wieder in Einzelmaßnahmen und nationalen Alleingängen. Sogar Rumänien geht einen anderen Weg und schreibt Behörden die verpflichtende Anerkennung qualifizierter elektronischer Signaturen seit 4. Juli 2023 vor, auch Bulgarien ist hier erheblich weiter. Nur in Deutschland gibt es in jedem der 16+1 Verwaltungsverfahrensgesetze den § 3a VwVfG, der es jeder Behörde freistellt, die qualifizierte elektronische Signatur zu akzeptieren. Und verwehrt nicht nur dem Bürger den rechtssicheren elektronischen Verkehr mit der Behörde; sondern zwingt den Bürgern nun auch im Rechtsverkehr untereinander die völlig unsichere Textform auf. Und so ist auch der elektronische Kontakt mit der Bundesregierung 2023 i. W. über die gescheiterte De-Mail möglich. Auch für englischsprachige und französischsprachige Europäer. Dass die Links „Pour en savoir plus sur De-Mail, rendez-vous sur ici.“ bzw. „You will find more information about De-Mail here.“ broken links sind, verwundert beim Zustand der deutschen Digitalisierung wohl niemanden mehr. 

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In this present crisis, government is not the solution to our problem; government is the problem.

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Ronald Reagan

… und Ronald Reagan? 

Sein Kommentar wäre wohl derselbe gewesen wie in der inaugural address am 20. Januar 1981.

Bedenkt man die Bedeutung des englischen Wortes im Kontext, richtet sich seine Kritik an “Government” nicht an die Regierung, sondern an die Staatsorganisation per se. Liest man die Eckpunkte der Bundesregierung vom August 2023, mit der sie die Digitalisierung voranbringen will, dann scheint es, als ob diese von Spitzenbeamten der Verwaltung erstellt wurden, denen es an elementarem Digitalisierungswissen mangelt. Somit sind, wie bereits in der versäumten digitalen Vergangenheit, Strukturen in der Verwaltung das Problem – und nicht die Lösung.  

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