Ja, was denn jetzt? Nur 311 oder 6.948?
Wie man mit falschen Zahlen das Publikum in die Irre führen kann.
Schon hier fangen die kontroversen Debatten an, denn nicht wenige vertreten die Auffassung, dass es per definitionem überhaupt keine illegale Migration geben könne. Früher gerne plakatiert mit dem Satz „Kein Mensch ist illegal“, was ebenso richtig wie falsch ist – und daher für eine sachliche Debatte als Argument untauglich. „Ist“ bedeutet hier „Die menschliche Existenz“, die natürlich per se nicht illegal sein kann. Gelesen werden soll das Wörtchen „ist“ aber als „verhält“ – was natürlich falsch ist.
Leider verhalten sich viele Menschen nicht legal. Wie dem auch sei. Unstreitig dürfte sein, dass die EU ihr Versprechen „Vor illegaler Migration sichere EU-Außengrenzen“ nicht gehalten hat und vermutlich auch nicht wird halten können. Ein kurzer Blick auf die Landkarte genügt, um festzustellen, dass es sich selbst bei der Vervielfachung der Frontex-Aktivitäten um einen klassischen Fall objektiver Unmöglichkeit handeln dürfte.
Wenn dem aber so ist, was bedeutet das dann für den Reiseverkehr innerhalb der EU? Die einen zucken mit den Schultern und plädieren für das Modell „Trotzdem keine Grenzkontrollen!“ Für andere ist genau diese Haltung das eigentliche Problem, schließlich wäre das ein nicht zu unterschätzender Pull-Faktor. Einmal irgendwo irregulär in die EU eingereist – schon problemlose Weiterreise in einen anderen Staat der EU garantiert, auch nacheinander in mehrere.
Und weil gerade dies nicht mit dem berühmten „Geist von Schengen“ vereinbar und auch nicht Sinn und Zweck der einschlägigen Dublin-Verordnungen ist, kehrten sukzessiv immer mehr EU-Staaten zu stationären Grenzkontrollen zurück. „Kontrolle“ bedeutet hier aber nicht „Egal wer kommt – freundlich durchwinken“, sondern Kontrolle, ob die gesetzlichen Voraussetzungen zur Einreise (Personalausweis, Pass, ggf. Visum – alles am besten nicht gefälscht ...) vorliegen. Das wiederum ist der Natur der Sache nach einer personalintensiven Arbeit und jetzt beginnt der politische Ärger Teil 2. Diejenigen, die stationäre Grenzkontrollen ohnehin für überflüssigen Aufwand, reine Schikanen für Reisende halten, behaupten natürlich ganz offen, dass Aufwand und Ergebnisse in keinem Verhältnis stünden.
Garniert mit der Behauptung, leider auch im ÖRR, es hätte in letzter Zeit nur wenige Hundert Zurückweisungen gegeben. Was allerdings evident falsch ist! Seit Neuestem gibt es hierzu die amtliche Auskunft der Bundesregierung, nach der innerhalb von nur gut zwei Monaten (!) insgesamt 6.948 Personen an den deutschen Landesbinnengrenzen zurückgewiesen wurden. Was natürlich ohne entsprechende Kontrollen überhaupt nicht hätte festgestellt werden können. Und schon sieht das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis ganz anders aus.
Soweit sich die geneigten Leserinnen und Leser ob der großen Zahlendiskrepanz jetzt verwundert die Augen reiben, sei darauf hingewiesen, dass hier völlig verschiedene Sachverhalte munter vermengt werden. Die niedrige Zahl von nur etwa 300 soll den Eindruck erwecken, dass alle Kontrollen eigentlich mangels Effizienz sofort abgeschafft gehören, so als gäbe es nur die Zurückweisung von Personen mit Schutzgesuchen. Das aber ist nur ein Teil der Arbeit. Zurückweisungen gibt es insbesondere von Einreisewilligen, die einen Asylantrag (noch) nicht stellen, die eine ausdrückliche Wiedereinreisesperre haben, keine zum Grenzübertritt gültigen Papiere mitführen usw. usw.
Wie aber könnte in all diesen Fällen eine Zurückweisung erfolgen – ohne Kontrollen?
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 8. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 29. bis 30. Juni 2026 im Hotel de Rome in Berlin statt.