Digital Leadership
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"Das beinhaltet auch, politische Angriffe abzublocken"

Prof. Ines Mergel über Digital Leadership / Tipps gegen "Killer-Phrasen" und organisationelle Beharrlichkeiten|Interview

Ob Telearbeit, Onlinezugangsgesetz oder E-Akte - auch die öffentliche Verwaltung kann sich dem digitalen Wandel nicht länger entziehen. Um die nötigen Innovationen anzutreiben, Mitarbeiter zu entwickeln und die traditionellen Organisationsstrukturen der Verwaltung aufzubrechen, braucht es Digital Leader. Verwaltung der Zukunft hat mit Professor Dr. Ines Mergel von der Universität Konstanz über Digital Leadership gesprochen.
Dr. Ines Mergel ist Universitätsprofessorin für Public Administration im Fachbereich für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Konstanz und wurde kürzlich in die National Academy of Public Administration aufgenommen.
© Inka Reiter für Universität Konstanz

VdZ: Was bedeutet aus Ihrer Sicht „Digital Leadership“? 

Mergel: Digital Leadership hat zwei Bedeutungen: im englischen Sprachgebrauch wird darunter eine besonders herausragende Position einer Organisation oder einer Dienstleistung verstanden, die als Vorreiterrolle im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung zu verstehen ist. Dadurch werden vor allem die öffentlichen Dienstleistungen ausgezeichnet, die besonders gut die Transformation von ehemals analogem Angebot hin zu einem neuen digitalen Service geschafft haben. Dazu gehören, z.B. die Gov.uk-Website, das Dänische e-Invoicing und Estlands Datenplattform x-Road.

Digital Leadership


"Digital Leadership" beschreibt eine neue Art der Führung, um Herausforderungen der digitalen Transformation  zu meistern. Vor allem wird hiermit eine Querschnittskompetenz beschrieben, welche Mitarbeiterführung, Organisationsdesign und Technologie in Einklang bringt. Neben einer Medienkompetenz umfasst das "Digital Leadership" demnach Führungs- und Strukturprinzipien, um als Organisation auf immer kürzer werdende Innovationszyklen souverän agieren zu können.


Im deutschen Sprachgebrauch nutzen wir den Begriff Digital Leadership nun auch vermehrt um digitale Führungskompetenzen in der öffentlichen Verwaltung zu definieren. Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung müssen quasi aufgrund ihrer Position an der Spitze einer Organisation oder eines Amtes als Digital Leaders auftreten, da ansonsten keine Veränderungen in der nachfolgenden Hierarchie entstehen kann. Ein Digital Leader ist aus meiner Sicht eine Führungskraft, die es im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten schafft, neue Ansätze der digitalen Transformation zusammen mit den Organisationsmitglieder zu denken und dann die Teammitglieder dazu befähigen kann, diese im Sinne der Gesamtmission der Organisation umzusetzen. Ohne das klare Mandat von oben geht es nicht – es ist aber dann im Folgenden nicht unbedingt eine praktische Beteiligung des Digital Leaders in den Gestaltungsprozessen notwendig – im Gegenteil!

VdZ: Welche Bedeutung hat diese Art der Führung für die öffentliche Verwaltung?

Mergel: Führungskräfte gehören oftmals aufgrund ihrer Seniorität in der Organisation nicht zu den digital natives. D.h. sie sind nicht mit Laptops, iPads und Smartphones aufgewachsen und denken Prozesse, aus einer digital first-Perspektive. D.h., in deutschen öffentlichen Verwaltungen werden Prozesse und Dienstleistungen aus der Mandatsperspektive, also dem Gesetz, der Richtlinie oder der bestehenden internen Logik der Verwaltung designt – selten jedoch mit dem Anspruch eine Dienstleistung zunächst aus der Perspektive des Nutzers zu denken, der diese heute vor allem unkompliziert auf dem Smartphone oder zuhause am Laptop erledigen möchte. Die Führungskräfte der öffentlichen Verwaltung kennen sich aufgrund ihrer oftmals rechtswissenschaftlichen Ausbildung sehr gut mit den rechtlichen Rahmenbedingungen aus und haben deren limitierende Auswirkungen im Laufe ihrer Karriere kennengelernt.

VdZ: Welche Folgen haben diese Einschränkungen?

Mergel: Entsprechend ist die Implementierung oftmals auf die Umsetzung von Gesetzen limitiert, jedoch nicht unbedingt darauf ob das Endprodukt für Bürger nutzbar ist. Wir haben viele von diesen nicht nutzbaren Verwaltungsleistungen in den letzten Jahren gesehen – ein Beispiel ist die Online-Funktion des neuen Personalausweises, die hunderte Millionen Euro gekostet hat, aber nur von wenigen Prozent der Bürger genutzt wird. Oftmals raten Bürgerbüros davon der Aktivierung ab, da der Mehrwert unklar ist.

Die Digitalakademie Baden-Württemberg entwickelt gemeinsam mit der Führungsakademie Baden-Württemberg Fortbildungen im Bereich "Digital Leadership"
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VdZ: Welche besonderen Kompetenzen muss ein Digital Leader in der öffentlichen Verwaltung mitbringen?

Mergel: Ein Digital Leader sollte deshalb in seiner Organisation ein Klima schaffen, dass für die Mitarbeiter den Kontext bereitet, in dem sich ein digitales Mindset entwickeln kann. Wer die öffentliche Verwaltung in Deutschland kennt, weiß dass Verwaltungsmitarbeiter nur auf Anordnung handeln dürfen und sehr wenig Handlungs- oder Entscheidungsspielraum haben um Neues auszuprobieren. Das ist einerseits eine Errungenschaft des Rechtsstaats, behindert aber andererseits besonders, wenn es zu der Mammutaufgabe Digitalisierung kommt, das Handeln und vor allem das Denken in neuen Dimensionen.

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Die Rolle des Digital Leaders beinhaltet auch, sich bewusst vor die Ergebnisse zu stellen, die durch innovative Veränderungsprozesse zusammen mit den Mitarbeiter entstanden sind.

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All das sollte ein Digital Leader mit den Zielen oder der Mission der Verwaltung in Einklang bringen können und vor allem gegenüber höherrangigen Vorgesetzten oder der Politik verteidigen können. D.h., die Rolle des Digital Leaders ist es auch politische Angriffe abzublocken oder sich bewusst vor die Ergebnisse zu stellen, die durch innovative Veränderungsprozesse zusammen mit den Mitarbeiter entstanden sind.

VdZ: Welche Fähigkeiten schulen Sie, um Führungskräfte zu Digital Leads zu machen?

Mergel: Ich orientiere mich in meinen Seminaren vor allem daran, was ich aus meiner internationalen Forschung zu digitaler Transformation aus den Digital Service Teams in den USA, England, Italien, Dänemark, Finnland und Estland kennengelernt habe. Das sind Teams, die neben den traditionellen Chief Information Officers (CIOs) eingesetzt werden, um digitale Innovationen in der öffentlichen Verwaltung umzusetzen. Dazu nutze ich außerdem das EU Digital Competency Framework, dem auch Deutschland zugestimmt hat.

VdZ: Warum ist es so wichtig, das Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung sich zu "Digital Leadern" fortbilden?

Mergel: Auch im Bereich der Digitalisierung gilt: Wissen ist Macht! Führungskräfte müssen sich aufgrund der abgemagerten Kompetenzen in den IT-Abteilungen der öffentlichen Verwaltung und dem jahrelangen e-Government-Investitionsstau auf Hochglanzbroschüren und Versprechen von externen Consultants verlassen.

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Auch im Bereich der Digitalisierung gilt: Wissen ist Macht!

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Dadurch werden sie oftmals von einem Innovationshype zum nächsten gejagt und schlussendlich wissen sie nicht mehr worauf sie sich konzentrieren müssen: Brauchen wir Blockchain um Meldebescheide auszustellen? Wie viele Stellen fallen weg, wenn künstliche Intelligenz die menschlichen Entscheidungen obsolet macht? Welche digitalen Kompetenzen müssen aufgebaut werden? Dadurch ist das Thema Digitalisierung zu einem Angstthema bei den Mitarbeitern geworden und es ist eine immense inhaltliche wie auch technische Abhängigkeit von externen Dienstleistern entstanden.

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Lassen Sie sich darauf ein, dass es in Ihrer eigenen Organisation Digital Leaders gibt, die Ihnen zwar hierarchisch untergeordnet sind, aber gerade in diesem Bereich mehr Produkt- und Prozesswissen haben.

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Ich plädiere dafür, dass sowohl organisatorische als auch technische Innovationsprozesse vor allem durch bewusstes internes Veränderungsmanagement angestoßen werden müssen. Führungskräfte sollten in der öffentlichen Verwaltung die Innovationsmotoren sein, die ihre Mitarbeiter dazu befähigen, erst einmal unabhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen Innovationen für die Bürger zu denken. Im zweiten Schritt können dann die rechtlichen Grundlagen gecheckt werden. Dann erst ggf. mit Stadträten zusammen die Budgets geändert werden oder die Endprodukte durch externe IT-Dienstleister umgesetzt werden.

VdZ: Was geben Sie Führungskräften mit auf dem Weg, um die Unternehmenskultur in ihren Behörden in Hinblick auf den digitalen Wandel umzugestalten?

Mergel:

„Show me the law!“

Aussagen wie “Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder „Das dürfen wir so gar nicht“ – entgegne ich immer gerne mit der Bitte, mir das Gesetz oder die Richtlinie zu zeigen in der steht, dass genau diese Vorgehensweise oder diese Tools verboten sind. Das sind Killerphrasen die jede Innovation – sei es organisationskultureller oder technischer Natur - aushebeln und Erneuerung verhindern.

Haben Sie weniger Angst – be bold!

Gerade beim Thema Digitalisierung wird es immer Experten geben, die Ihnen weit überlegen sind. Legen Sie das Denken ab, dass Sie als Führungskraft immer alles Wissen haben müssen. Wenn ein Dienstleister oder Ihnen überlegener Mitarbeiter mit viel technischem Know-how Ihnen nicht vermitteln kann, wie ein Tool oder ein Prozess funktioniert, dann wird es auch anderen so gehen. Also bleiben Sie beharrlich und lassen Sie es sich erklären, bis es klar ist. Lassen Sie sich aber auch darauf ein, dass es in Ihrer eigenen Organisation Digital Leaders gibt, die Ihnen zwar hierarchisch untergeordnet sind, aber gerade in diesem Bereich mehr Produkt- und Prozesswissen haben. Dadurch wird schnell klar, dass es bei Digitalisierung weit weniger um technische Kompetenzen von Führungskräften geht als vielmehr um organisationale und kulturelle Veränderungskompetenzen und die müssen Führungskräfte anstoßen.

Erste Berührungspunkte
Künstliche Intelligenz; KI; Verwaltung; Bots; Baden-Württemberg; Pforzheim; Verwaltung

Erste Berührungspunkte

Stadt Pforzheim bildet Digitallotsen aus / Baden-Württemberg setzt schon jetzt auf KI in Justiz- und Finanzbehörden

Schaffen Sie Experimentierräume, um Digitales zu verstehen!

 Nur wer Teil wird und ausprobiert, kann gute Entscheidungen treffen. Papier ist geduldig, aber das Experimentieren - hands-on - mit neuen Technologien eröffnet Ihnen die Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt. Denken Sie daran, dass sowohl Ihre Organisationsmitglieder als auch Bürger vor den Veränderungen mit großen Augen stehen und Kompetenzen aufbauen müssen. Gehen Sie die Schritte miteinander. Nur wenn Sie verstehen, wie Digitalisierung funktioniert und es ausprobiert haben, können Sie die Bürger dazu anleiten die neuen Tools zu nutzen, vor allem befähigen Sie Ihre eigenen Mitarbeiter, damit zu experimentieren. Ein gutes Beispiel für diese gelebte Veränderung ist das Verschwörhaus der Stadt Ulm.

Örtlichkeit als Innovationsquelle
Verschwörhaus Stadt Ulm; Digitalisierung; IoT; gesellschaftliches Engagement

Örtlichkeit als Innovationsquelle

„Zukunftsstadt 2030“: Ulm holt Bürger in Innovation Labs, um an Lösungen rund um das IoT zu basteln

Brechen Sie organisationale Beharrlichkeit und Trägheit auf!

Viele Verwaltungsmitarbeiter haben Verwaltungsreformen kommen und gehen sehen – vor allem haben sie sie scheitern sehen. Und genau da müssen Sie ansetzen: Ermuntern Sie Amtsleiter dazu, ihren Mitarbeitern Freiräume für die Teilnahme an Veranstaltungen von internen Innovationslaboren zu geben, laden Sie spannende Redner zu Workshops ein, in denen den Verwaltungsmitarbeitern neue Perspektiven und Kompetenzen vermitteln werden. Hierbei geht es viel weniger um „shock and awe“-Vorträge wie z.B. einer Reise nach Estland, die deutsche Verwaltungsmitarbeiter eher verschreckt zurücklässt, als vielmehr pragmatische Vorträge und Workshops, die Kompetenzen vermitteln, wie z.B. ein Design Thinking Workshop in dem konkret ein Chatbot erstellt wird oder ein Verwaltungsprozess neugedacht wird. Erlauben Sie dann auch die Umsetzung und Anwendung des Gelernten. Nur wer Digital Leadership vorlebt, in die traditionelle Handlungsformate einbringt und deren Umsetzung auch zulässt, wird eine aktive Rolle in den kommenden Jahren spielen können und nicht jeder Modeerscheinung überrascht sein, sondern die eigene digitale Transformation aktiv mitgestalten können!