Blockchain im Flüchtlingsmanagement
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Behördenübergreifendes Arbeiten mithilfe von Blockchain

Wie der Einsatz disruptiver Technologien das Flüchtlingsmanagement verbessern kann

Die Aufgabe des Flüchtlingsmanagements bindet viele Behörden auf Kommunal-, Länder- und Bundesebene ein. Rechts- und sozialstaatliche Prozesse in diesem Zusammenhang verlaufen daher oft langsam. Die beteiligten Apparate müssen aufeinander warten, der Austausch zwischen Sozial-, Ausländer- und Sicherheitsbehörden hat vielerorts Potential nach oben. Mithilfe des Blockchain-Verfahrens ließen sich alle nötigen Daten in "Fast-Echtzeit" übertragen. Experten aus dem öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft erklären, was es mit der Technologie auf sich hat, wie sie in die Verwaltungs-IT implementiert wird und welche Vorteile sich für die Arbeitsprozesse ergeben.
Anfang November 2018 diskutierten (v.l.n.r.) Uwe G. Becking (IBM Deutschland), Haris Trtovac (BAMF), Jürgen Zurheide (Moderator, WDR) und Holger Busse (LAF Berlin) in der Werkstatt I.B auf dem Gesellschaftlichen Dialog Migration und Integration in Berlin den Einsatz disruptiver Technologien im Flüchtlingsmanagement.
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 „Wir mussten unter Druck handeln“, erklärt Haris Trtovac, Projektleiter für Blockchain im BAMF. Neue Systeme seien im laufenden Betrieb implementiert werden, es kam zu zahlreichen Fehlern, Mehrfachregistrierungen und Sicherheitsmängeln. Mit dem Kerndatensystem wurde 2016 eine saubere Datenbasis für Zugewanderte geschaffen, welche allen beteiligten Behörden zur Verfügung steht.

Neue Herausforderungen im Flüchtlingsmanagement

Holger Busse ist im Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten für sämtliche Online-Aktivitäten verantwortlich. Zuvor war er mehr als 20 Jahre Systemadministrator in diversen IT-Stellen des Landes Berlin tätig.
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Bei Geflüchteten, die vor 2016 registriert wurden, könne es immer noch zu Doppelregistrierungen kommen, führt Holger Busse aus. Er ist seit 2017 als Chef vom Dienst für alle Online-Aktivitäten des Berliner Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) verantwortlich. Als ein weiteres Problem sieht Busse die verschiedenen IT-Strukturen der Verwaltungen. Im Flüchtlingsmanagement fehle es an technischen Voraussetzungen. Nicht einmal jede Behörde nutze das gleiche Textverarbeitungsprogramm.

 

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Wir müssen die zwischenbehördliche Kommunikation verbessern. Neue Technologien sollen Insellösungen ersetzen.

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Haris Trtovac

 „Wir müssen die zwischenbehördliche Kommunikation verbessern. Neue Technologien sollen Insellösungen ersetzen.“, macht Trtovac  klar. „Wir müssen unsere Probleme genau definieren und die technischen Möglichkeiten evaluieren.“ Uwe G. Becking, Leiter der strategischen Geschäftsentwicklung Digitalisierung für die  Öffentliche Verwaltung der IBM Deutschland GmbH  betont: „Bleibeberechtige stehen in den Prozessen nicht im Mittelpunkt.“

Um trotz dezentraler IT-Infrastruktur zielgruppenorientierte Arbeitsabläufe zu schaffen, will das BAMF zukünftig mit dem Blockchain-Verfahren arbeiten.

 

Was ist Blockchain?

Ralph Paul ist Client Executive für Öffentliche Auftraggeber bei IBM Deutschland.
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„Blockchain ist eine Technologie, mit der Informationen verschiedener Stellen innerhalb eines gemeinsamen Geschäftsprozesses in chronologischer Reihenfolge unveränderbar und für alle beteiligten Stellen nachvollziehbar gespeichert werden können“, erörtert Ralph Paul, Client Executive für  öffentliche Auftraggeber bei der IBM Deutschland GmbH.

Der IT-Experte fasst Blockchain als dezentrale, unveränderliche Verlaufsdaten zusammen. Damit diese Technologie zum Einsatz kommen kann, ist ein gleicher Informationsraum Grundvoraussetzung. „Blockchain ist keine Technologie für große Datenmengen“, erläutert  Trtovac. „Sie kann als eine Art Status genutzt werden.“ Das Verfahren ist eine dezentrale Lösung, es kann unabhängig von vorhandenen IT-Strukturen eingepflegt werden.

Blockchain als Chance im Asylprozess

Haris Trtovac ist Projektleiter für Blockchain beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Seit März 2018 ist er im Referat IT-Projektmanagement und Innovationsmanagement tätig.
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Blockchain solle die behördenübergreifende Kooperation und Kommunikation erleichtern, so der BAMF-Projektleiter.  Die Technologie gewährleiste, dass alle beteiligten Behörden den gleichen Informationsstand teilen.

Das könnte die Zusammenarbeit im Asylprozess begünstigen, den Zeitaufwand verringern und Transparenz zwischen den Behörden schaffen. Mit 580 Ausländerbehörden kommen über zehn verschiedene, nicht kompatible IT-Systeme zusammen. Über die Komplexität des Prozesses hinaus gebe es Medienbrüche, die den Informationsfluss erschweren.

 „Viele Akteure müssen an einem Prozess arbeiten. Hier kann Blockchain greifen“, legt Paul dar. Durch die Technologie entstünde ein wahrer, klarer Datenbestand, welche die Behörden zu weiteren Verarbeitung nutzen können.

Unterstützung von Entscheidungsprozessen

„Blockchain ist lediglich eine unterstützende Technologie“, unterstreicht Trtovac. 

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Blockchain ist lediglich eine unterstützende Technologie. Sie ist kein Ersatz für Fachverfahren oder die Entscheidungsprozesse der Sachbearbeiter.

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Haris Trtovac

Sie sei kein Ersatz für Fachverfahren oder die Entscheidungsprozesse der Sachbearbeiter und laufe parallel zum Kerndatensystem. Behördenmitarbeiter können Entscheidungen unabhängig vom Datenbestand der Blockchain treffen.

Die Daten regen lediglich zur Überprüfung der Vorhistorie an. Die Technologie verstärke die Prozesslogik und hilft so ungewollte Divergenzen zu vermeiden.  Sämtliche Prozessabweichungen sind innerhalb der Blockchain dokumentiert.  Alle beteiligten öffentlichen Einrichtungen verfügen nahezu in Echtzeit über den gleichen Sachstand.

Die Wartezeiten zwischen den Behörden fallen weg, Absprachen können schneller erfolgen, die Verwaltungen arbeiten effizienter.

Blockchain ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Daten, die über Hash-Verfahren verschlüsselt werden.
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Verschlüsselung und Datenlöschung

Um das Verfahren nutzen zu können, müsse die Identität der Asylbewerber bereits geklärt sein, so der Blockchain-Experte. Die Technologie kann lediglich Verlaufsdaten verlässlich wiedergeben. Sind Daten einmal im System gespeichert, sind sie nicht mehr löschbar.

Die Einträge in der Blockchain sind über ein Hash-Verfahren verschlüsselt. Um diese zu decodieren, wären nach heutigem Stand mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte notwendig.

Pilot-Projekt mit zentraler Ausländerbehörde Sachsen

Franziska Koehler ist fachliche Projektleiterin für die Pilotisierung von Blockchain beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
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Gemeinsam mit der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT hat das BAMF in diesem Jahr eine Machbarkeitsstudie für den Einsatz von Blockchain für den Asylprozess mit der zentralen Ausländerbehörde Sachsen durchführen lassen, erklärte Franziska Koehler, die als Projektleiterin die Pilotierung auf dem Kongress vorstellte. Welche Sachbestände sollten gespeichert werden? Welche Daten  sind für andere Behörden interessant? Welche Prozesslogik benötigt die Blockchain? Die Fachkonzipierung soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Durch den vorgesehen Zwischenschritt werden keine Daten aus der Blockchain auf die Arbeitsebene der Behörden übertragen.
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Für die Studie wurden keine Echtdaten verwendet, sondern lediglich die Strukturen nachgebaut. Die Behördenmitarbeiter können die Daten einsehen, diese werden aufgrund des Zwischenschritts jedoch nicht übertragen. Mithilfe dieser "Mittelschicht" können auch Löschungen personenbezogener Daten erfolgen.  Bis Ende 2019 will das BAMF das Blockchain-Verfahren für das Ankerzentrum Dresden umsetzen, so Koehler. Als langfristiges Ziel soll die Technologie dann auf alle Anker-Zentren übertragen werden.

Mentalitätswandel in den Behörden nötig

Uwe G. Becking ist Leiter der strategischen Geschäftsentwicklung „Digitalisierung Öffentliche Verwaltung“ bei IBM Deutschland. Davor war er neun Jahre im Management der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg aktiv.
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„Blockchain ist ein freiwilliger Prozess“, so Ralph Paul. „Für die Verbreitung der Technologie muss ein politischer Prozess folgen.“ Nach Trtovac Auffassung braucht es für dieses Projekt einen „Change of Mind“ und Kompromissbereitschaft in den Behörden.

Prozesse sollen so verändert werden, dass sie funktionieren und sich nicht zu stark an den bisherigen Arbeitsweisen orientieren, fordert Becking. Herrschaftswissen sei das Gegenteil von Digitalisierung. Die Verwaltung müsse hin zu: „Ich weiß was, also bitte kopiert mich“, fordert der IBM-Director.

Man müsse die Strukturen der Verwaltung aufbrechen, erklärte Holger Busse. Die Behörden müssen miteinander verzahnt werden, sowohl auf technischer als auch auf organisatorischer Ebene: „Wenn der Schritt des Mentalitätswandels gemacht ist, kann die Technik vieles leisten.“