Digitale Verwaltung für die Wirtschaft: Anspruch trifft Realität
]init[-CEO Harald Felling im Interview
Verwaltung der Zukunft: Sie veröffentlichen die Studie "Top 100 Wirtschaft 2.0". Können Sie der Leserschaft kurz vorstellen, worum es dort geht?
Harald Felling: Die Studie untersucht systematisch den Digitalisierungsstand von Verwaltungsleistungen, die speziell auf Unternehmen ausgerichtet sind. Uns geht es darum, sichtbar zu machen, wie groß die Lücke zwischen Anspruch und Realität wirklich ist, insbesondere bei digitalen Services für die Wirtschaft, die ja viel häufiger mit der Verwaltung zu tun hat als Bürger*innen. Für Unternehmen ist eine moderne, digitale Verwaltung entscheidend, damit sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können, statt durch Bürokratie ausgebremst zu werden.
Wir haben konkret aus Unternehmenssicht geschaut: Wie digital ist die Verwaltung heute wirklich? Wie sieht es mit Zugang, Qualität, Durchgängigkeit und Nutzbarkeit der Angebote aus?
VdZ: Welches Ziel verfolgen Sie mit der Studie?
Felling: Die erste Top 100 Wirtschaft-Studie liegt schon acht Jahre zurück. Damals haben wir die wichtigsten Verwaltungsleistungen identifiziert und nach Geschäftslagen geclustert. Mit der aktuellen Version schauen wir, wie weit die Umsetzung heute ist. Also wie flächendeckend die Services angeboten werden und wie es um ihre Qualität steht. Uns ging es dabei nicht nur um eine Bestandsaufnahme, sondern auch darum, ein Zielbild zu entwickeln: Wie könnte eine wirtschaftsorientierte digitale Verwaltung idealerweise aussehen? Welche Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren braucht es dafür?
Es geht darum, den Bürokratieabbau sinnvoll mit Digitalisierung zu verknüpfen. Um Investitionen zu erleichtern, die Interaktion zwischen Wirtschaft und Verwaltung zu beschleunigen und so die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum in Deutschland zu stärken
VdZ: Können Sie die Methodik der Studie erläutern?
Felling: Wir sind mehrstufig vorgegangen, klassisch mit einem quantitativen und einem qualitativen Teil. Im quantitativen Teil haben wir auf Basis der ersten Studie von vor acht Jahren untersucht, wie viele unternehmensrelevante Verwaltungsleistungen heute digital verfügbar sind. Dafür haben wir Daten aus dem Portalverbund Online-Gateway (PVOG) ausgewertet, konkret in sechs besonders wichtigen Geschäftslagen, die wir bereits früher identifiziert hatten.
Im qualitativen Teil haben wir dann 50 spezifische Online-Services – aus Deutschland und dem Ausland – anhand von Kriterien wie Nutzerorientierung, Automatisierungsgrad und Datenintegration analysiert. Daraus haben wir Erfolgsfaktoren und ein Zielbild für eine wirtschaftsfreundliche digitale Verwaltung abgeleitet.
VdZ: Wie haben sie die verschiedenen Perspektiven auf das Thema und die diversen Stakeholder in die Studie einbezogen?
Felling: Dieses Idealbild wurde anschließend mit Expert*innen aus Ministerien, Verbänden wie Bitkom oder DIHK sowie Verwaltungs-CIOs diskutiert und weiter geschärft. Die eigentliche Studienarbeit lief über etwa fünf Monate, von Oktober bis März. Insgesamt haben 26 Expert*innen teilgenommen, in Interviews und Workshops. Die Grundlagen für Methodik und Fragestellungen hatten wir bereits im Sommer davor erarbeitet, um frühzeitig Unterstützung und Relevanz bei den beteiligten Akteuren zu sichern.
VdZ: Sie skizzieren ein Idealbild digitaler Verwaltungsleistungen: zentrale Plattform, KI-gestützte Services, durchgängige Datenflüsse. Wie weit ist Deutschland heute von diesem Idealtypus entfernt?
Der Digitalisierungsgrad ist insgesamt zu niedrig, nicht flächendeckend, nicht einheitlich und nicht durchgängig.
Felling: Es besteht weiterhin eine große Lücke, wir schöpfen die Potenziale der Digitalisierung längst nicht aus. Konkret mangelt es an Erleichterungen, Kostensenkungen und Beschleunigungsmöglichkeiten für die Wirtschaft. Der Digitalisierungsgrad ist insgesamt zu niedrig, nicht flächendeckend, nicht einheitlich und nicht durchgängig. Die bestehenden Lösungen folgen keinem Gesamtbild. Daten müssen oft mehrfach übermittelt werden, obwohl sie längst vorhanden sind.
Die aktuelle Analyse zeigt: Nur rund 20 % der relevanten Leistungen sind bundesweit digital verfügbar, und selbst diese nicht einheitlich. Unternehmen mit mehreren Standorten müssen Vorgänge im schlimmsten Fall überall unterschiedlich abwickeln, je nach Bundesland oder Kommune. Ein zentrales Unternehmenskonto existiert zwar, ist aber nicht flächendeckend ausgebaut. Stattdessen gibt es viele Insellösungen mit eigenen Anmeldungen, Postfächern und Berechtigungslogiken.
VdZ: Wo liegen die größte Nutzungshemmnisse für die Unternehmen?
Felling: Unternehmen, besonders der Mittelstand, finden kein einheitliches Fundament, das sie über alle Prozesse hinweg nutzen können. Es fehlt ein zentraler Zugang, die Leistungen müssen mühsam zusammengesucht werden. Proaktive Angebote gibt es nicht. Auch der 'Once Only'-Grundsatz ist nicht umgesetzt: Daten wie ein Handelsregisterauszug müssen immer wieder neu beschafft und eingereicht werden. Das erzeugt überflüssigen Aufwand und verhindert effiziente Verwaltungsprozesse.
VdZ: Was sind die drei wichtigsten nächsten Schritte, um den Idealtypus umzusetzen?
Felling: Es gibt immer die Debatte: Erst Vision und Strategie oder direkt ins Handeln? Wir glauben, man kann beides verbinden – etwa durch ein Sofortprogramm zur wirtschaftsorientierten Verwaltungsdigitalisierung. Damit ließen sich priorisierte Geschäftslagen wie Gründungen, Genehmigungen oder Förderverfahren schnell und länderübergreifend digitalisieren. Ziel wäre es, bürokratische Hürden zu senken und Investitionen zu erleichtern.
Voraussetzung ist eine zentrale Steuerung mit klarer Governance, messbaren Zielen und transparentem Monitoring. Dafür braucht es gemeinsame Infrastrukturen und Architekturen, also eine zentrale Plattformstruktur nach dem Prinzip des 'Deutschland-Stacks', ergänzt um einen API-Katalog. So ließe sich über offene Standards eine durchgängige Integration mit Unternehmens-IT und bestehenden Fachverfahren ermöglichen.
VdZ: Worauf sollte dabei geachtet werden?
Felling: Wichtig ist dabei ein offenes, standardisiertes Ökosystem, das Datenaustausch und maschinenlesbare Kommunikation erlaubt, nachvollziehbar dokumentiert und leicht integrierbar ist.
Langfristig geht es nicht nur ums Digitalisieren des Bestehenden, sondern um echte Prozesskritik: Wie kann man automatisieren, vereinfachen, standardisieren? Wo lassen sich Nachweise, rechtliche Vorgaben oder Zuständigkeiten harmonisieren? Ziel ist datenbasiertes, automatisiertes und behördenübergreifendes Arbeiten – zum echten Nutzen für Wirtschaft und Verwaltung.
Langfristig geht es nicht nur ums Digitalisieren des Bestehenden, sondern um echte Prozesskritik.
VdZ: Die Studie empfiehlt ein zentrales KPI-Dashboard zur Erfolgsmessung. Welche Kennzahlen wären aus Ihrer Sicht entscheidend und warum fehlen sie bislang in der politischen Steuerung?
Felling: Bisherige Dashboards konzentrieren sich stark auf formale Umsetzungsziele. Etwa darauf, ob ein Service online verfügbar ist. Doch die Reifegrade der digitalen Angebote, also wie gut ein Dienst tatsächlich nutzbar ist, wurden zuletzt kaum noch berücksichtigt.
Deshalb brauchen wir ein neues Verständnis: Im Fokus sollten Wirkungsziele stehen. Geht es um Verfahrensbeschleunigung? Um die Reduzierung von Aufwand, sowohl für Unternehmen als auch für die Verwaltung? Automatisierung, Standardisierung und arbeitsteilige Organisation zwischen Bund, Ländern und Kommunen bieten große Potenziale.
Entscheidend wäre ein Dashboard, das nicht nur Umsetzung, sondern echte Wirkung sichtbar macht: Wie stark sinken Bürokratiekosten? Wie viel Zeit wird eingespart? Solche Messgrößen könnten gezielt Impulse in verschiedenen Wirtschaftssektoren setzen und den Nutzen digitaler Verwaltung konkret belegen.
VdZ: Sie sprechen von einem „Sofortprogramm“ für wirtschaftsorientierte Digitalisierung. Was müsste eine neue Bundesregierung konkret tun, um damit in den ersten 100 Tagen ein sichtbares Zeichen zu setzen?
Felling: Die Hoffnung ist, dass ein Sofortprogramm aufgelegt wird, das klar macht: Digitalisierung und Bürokratieabbau dürfen nicht getrennt gedacht werden. Es geht nicht nur darum, Regeln zu streichen, sondern sie systematisch auf digitalen Vollzug und Optimierung hin zu überprüfen, mit dem Ziel, Verfahren zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und schneller digital umsetzbar zu machen.
Wichtig ist dabei eine wirkungsorientierte Steuerung, wie sie bereits im Koalitionsvertrag verankert ist. Also: Welche KPIs, welche messbaren Ziele setzen wir uns? Wie machen wir Fortschritte sichtbar? Und wie gestalten wir Verfahren so, dass sie entlang dieser Ziele schnell angepasst werden können?
Die Definition dieser Wirkungsziele ist machbar. Man weiß, was erreicht werden soll. Jetzt geht es darum, diese Ziele konkret auf priorisierte Prozesse anzuwenden. Dann könnte das Motto des Digitalministeriums – „Wir machen“ – auch tatsächlich umgesetzt werden.
Voraussetzung ist politischer Mut und ein klares Commitment, gemeinsam mit den Ländern ein offenes, standardisiertes Ökosystem zu schaffen: mit vereinheitlichten Schnittstellen, definierten Datenstandards und registerbasiertem Datenaustausch. Daraus könnte eine echte Deutschland-Plattform entstehen, ein gemeinsamer „Government-as-a-Service“-Ansatz.
Voraussetzung ist politischer Mut und ein klares Commitment.
Wichtig dabei: Bestehende, gut funktionierende Einzellösungen, ob im Bund oder den Ländern, sollen einbezogen und nachgenutzt werden können. Wenn diese Offenheit gelingt, lässt sich schon in den ersten 100 Tagen viel bewegen
VdZ: Sie werden die Studie auch auf dem Zukunftskongress präsentieren. Was erwartet die Zuschauer*innen in Ihrem Forum?
Felling: Zunächst nochmal ein klarer Blick auf Zahlen, Daten, Fakten – also auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Wir schauen uns ausgewählte Geschäftslagen an, um herauszuarbeiten, welchen konkreten Beitrag die Digitalisierung leisten kann, gerade im Zusammenspiel mit Bürokratieabbau. Dabei geht es auch um das Potenzial, wie ein Idealbild digitaler Verwaltung tatsächlich umgesetzt werden kann.
Mit dem neuen Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung haben wir jetzt eine zentrale Stelle, die diese Themen gebündelt angeht, inklusive Bürokratieabbau und Deutschland-Stack. Wir wollen diskutieren, wie Sofortprogramme realisiert und konkrete Mehrwerte für die Wirtschaft geschaffen werden können. Wichtig ist dabei, die Perspektive der Unternehmen einzubeziehen: Welche Services bringen echten Nutzen? Welche Prioritäten setzen wir richtig und welche nicht? Und das wollen wir auch mit Studienergebnissen abgleichen und auf dem Kongress konkret diskutieren.

]init[ auf dem 11. Zukunftskongress Staat & Verwaltung
🗓️ 25. Juni, 10:45 - 11:45 Uhr
➡️ Hier geht's zur Session
ZuKo-Wirtschaftsforum III.I.1
Bürokratie abbauen, digital durchstarten – Wird die neue Bundesregierung den Wirtschaftsstandort wieder stark machen?