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„Quick Freeze“

Effektives Mittel oder doch eher Platzpatrone beim Kampf gegen schwere Straftaten?

Seit nunmehr knapp 20 Jahren tobt in Europa, also auch bei uns in Deutschland, ein heftiger (Meinungs-)Kampf zum Thema Vorratsdatenspeicherung (VDS), das richtigerweise Mindestspeicherfristen genannt werden sollte. VDS hört und liest sich gerade so, als sei es der Staat, der sich die technischen Daten der Telekommunikation einfach auf Vorrat aneignen möchte. So ganz nach dem Motto: “Man kann ja nie wissen, ob man sie nicht doch eines Tages mal gebrauchen kann.“

Ein Blick in die Vergangenheit, der hilft: VDS.

Gerade das aber war nie geplant, vielmehr sollten die Daten dort für eine bestimmte Frist gespeichert bleiben, wo sie ohnehin anfallen, nämlich bei den Diensteanbietern. Der Staat, genauer gesagt die Strafverfolgungsbehörden, sollten sie erst nach Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen plus Richterbeschluss nutzen dürfen.

Die gesellschaftlich und rechtlich hoch umstrittene VDS basiert auf einer Richtlinie der EU, die nach den Terroranschlägen von Madrid (2004) und London (2006) erlassen wurde. Heute müsste man allerdings sagen: Sie basierte! Gerade die retrograde Auswertung der TK-Daten war für die Aufklärung des Tatgeschehens von großer Bedeutung. Ohne die Daten - den Blick in die Vergangenheit - hätten wichtige Erkenntnisse nie gewonnen werden können.

Nehmen wir nur ein Beispiel aus Deutschland: Am 28.5.2009 erhält das BKA über Interpol Luxemburg Hinweise auf 3.743 deutsche Zugriffe auf ein kinderpornographisches Board im Zeitraum 13.2.2009 bis 24.4.2009. Nach damaliger/inzwischen obsoleter Rechtslage konnten anschließend Adressen von 75 deutschen Providern ermittelt und 1.237 Tätern zugeordnet werden. Nach aktueller Rechtslage kämen wohl alle straffrei davon, denn außer diesen Ermittlungsansätzen gab es keine weiteren: Keine aussagebereiten Zeugen, keine DNA – oder Fingerspuren. Einige werden dies als Erfolg bei der Verteidigung der Bürgerrechte feiern, die Opfer werden das allerdings ganz anders bewerten.

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Ohne die Daten - den Blick in die Vergangenheit - hätten wichtige Erkenntnisse nie gewonnen werden können.

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Alternative "Quick Freeze"?

Nach der jüngsten Entscheidung des EUGH plant die Bundesregierung jede(!) Form von VDS rechtlich zu verbieten und preist alternativ „Quick Freeze“ an, u.a. mit folgender Argumentation: „Dabei werden Internetprovider erst bei einem Anfangsverdacht aufgefordert, Daten zu einzelnen Teilnehmern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern“ – zu Aufklärung oder Verhütung besonders schwerer Straftaten. Die Formulierung „zu einzelnen Teilnehmern“ (Achtung: NICHT gegendert!) setzt natürlich voraus, dass diese namentlich bekannt sind – im Falle des kinderpornographischen Boards, siehe oben, sind die Namen aber erst NACH dem Zugriff auf die Daten bekannt geworden. „Quick Freeze“ hätte also gar nichts bringen können.

Erstaunlich, dass die Bundesregierung die Erkenntnisse des BKA zu dieser Problematik entweder nicht (mehr) kennt oder als irrelevant betrachtet. Zur Vorbereitung auf eine Verhandlung vor dem BVerfG hatte das BKA schon vor Jahren 381 relevante Fälle ausgewertet. Ergebnis: „Die Verkehrsdaten hatten bei nahezu jedem Delikt Bedeutung für die Ermittlungen(…) eine Speicheranordnung (Quick Freeze) wurde in nur 17% der Fälle als geeignete Alternative angesehen.“

Noch pikanter wird es, wenn man den Fall des NSU-Trios (war es wirklich nur ein Trio?) betrachtet. Was hätte Quick Freeze denn ganz konkret bei der lückenlosen Aufklärung der beispiellosen, menschenverachtenden Mordserie helfen können? Zwei Tatverdächtige, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren tot, sie konnten also nicht mehr kommunizieren und Beate Zschäpe saß fortan ununterbrochen in Haft. Gut, das man damals, vor 11 Jahren, zumindest noch partiell, retrograd Daten auswerten und dadurch wichtige Erkenntnisse gewinnen konnte – was heute überhaupt nicht mehr möglich wäre. Und mit Quick Freeze auch nicht. Quick Freeze mag die Koalition befrieden, aber den Strafverfolgungsbehörden wird das nur sehr wenig helfen.

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Quick Freeze mag die Koalition befrieden, aber dem Strafverfolgungsbehörden wird das nur sehr wenig helfen.

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