Bundesrepublik Deutschland
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Der deutsche Personalausweis

2024 wirklich noch zwingend notwendig oder entbehrlich?

Die deutsche Ausweispflicht gilt nicht für alle, denn rund 13,4 Millionen Nicht-Staatsangehörige sind davon ausgenommen. Die genaue Zahl der gültigen Personalausweise, d. h. derjenigen, die nicht verloren gegangen sind, gestohlen oder beschlagnahmt wurden, ist nicht bekannt und aufgrund der dezentralen Verwaltung schwer zu überprüfen. Welche Funktionen erfüllt der Perso und wie nützlich sind diese? Wofür nutzen ihn die Menschen im Alltag? Und warum sind so viele Menschen in Deutschland aktiv vom digitalen Fortschritt ausgeschlossen? In einem weiteren Beitrag seiner Serie „Die öffentliche Verwaltung unter der Lupe" wirft Prof. Dr. Müller-Török einen kritischen Blick auf die deutsche Personalausweispflicht und untersucht alternative Lösungen.

Personalausweispflicht – aber nur für maximal 86% der Bevölkerung

Der § 1 des PAuswG verpflichtet deutsche Staatsangehörige zum Besitz eines gültigen Ausweises, der wiederum nach § 2 (1) nur ein Personalausweis sein kann. Damit gilt im Umkehrschluss für ca. 13,4 Mio. Personen im Bundesgebiet, dass sie keinen Personalausweis haben, denn sie sind keine deutschen Staatsbürger*innen. Die darin enthaltenen ca. 9,4 Mio. Unionsbürger*innen besitzen zur Inanspruchnahme der Personenfreizügigkeit entweder einen Personalausweis oder einen Reisepass ihrer jeweiligen Herkunftsstaaten. Sich um Asyl bewerbende Personen erhalten hingegen zumindest einen Ankunftsnachweis nach § 63a AsylG, der ein amtlicher Lichtbildausweis ist.

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Es erscheint in Kenntnis der dezentralen Verwaltung Deutschlands nicht unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung gar nicht weiß, wie viele gültige Personalausweise bzw. Reisepässe überhaupt im Umlauf sind.

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Prof. Dr. Robert Müller-Török, Professor an der Uni Ludwigsburg

Wie viele personalausweispflichtige Personen in Deutschland leben, kann durch folgende Überlegung ergründet werden. Sehen wir von unter 16-Jährigen und den zahlenmäßig irrelevanten Gruppen ab, die von der Personalausweispflicht ausgenommen sind, sowie von den wenigstens 3,5 Millionen Auslandsdeutschen, so gibt es wohl circa 63 Millionen Betroffene – ausgehend von der letzten Bundestagswahl. Interessanterweise sind beim Statistischen Bundesamt nach Recherche mit Volllizenz keine Daten zur Zahl der ausgestellten Personalausweise verfügbar. Die dort gebotenen Zahlen zu den ausgestellten Reisepässen basieren nur auf einer Umfrage von YouGov. Es erscheint in Kenntnis der dezentralen Verwaltung Deutschlands nicht unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung gar nicht weiß, wie viele gültige Personalausweise bzw. Reisepässe überhaupt im Umlauf sind. Die einzigen Zahlen, über die das Bundesinnenministerium zu verfügen scheint, ist die – vermutlich via Bundesdruckerei gelieferte – Gesamtzahl der ausgestellten Personalausweise. § 23 (1) PauswG weist den Personalausweisbehörden, d.h. de facto den zigtausend Gemeinden, die Aufgabe zu, Personalausweisregister zu führen. Ein zentrales, dem österreichischen Identitätsdokumentenregister vergleichbares Register aller ausgestellten Pässe und Personalausweise existiert in Deutschland nicht.

Die „User experience“ beim Personalausweis

Ein Personalausweis kostet ggw. für Personen unter 24 Jahren EUR 22,80, für Ältere hingegen 37 Euro (plus die Kosten eines mitzubringenden Lichtbilds plus den Zeitaufwand für Beantragung und Abholung). Er ist teurer als die italienische Identitätskarte, um ein Vielfaches teurer als der ungarische Personalausweis, aber immerhin billiger als der österreichische Personalausweis.

Die Dauer bis zur Zustellung des neu beantragten Personalausweises kann unter Umständen recht viel Zeit in Anspruch nehmen. In anderen Ländern ist dieses Verfahren um einiges schneller.
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Die Bearbeitungszeit beträgt nach Auskunft auf den Homepages von verschiedenen Kommunen z. B. in Münchenetwa vier bis fünf Wochen“, in Neu Wulmstorf „in der Regel mindestens 2 bis 3 Wochen“, in Nürnbergetwa 3 bis 4 Wochen“ und in Berlin beträgt die „Durchschnittliche Bearbeitungszeit etwa 3 bis 4 Wochen. Im Einzelfall kann die Herstellung des Personalausweises deutlich länger dauern“. Eine Zusendung des Ausweises an den Bürger oder die Bürgerin durch eine qualifizierte Zustellung ist nicht vorgesehen. Damit ist die Servicequalität von Österreich mit „Sie bekommen Ihren neuen Personalausweis so schnell wie möglich. Er wird innerhalb von rund 10 Arbeitstagen per Post zugestellt“ nicht erreichbar, ebenso wenig die der Republik Irland mit „3-5 Working Days“. Der Vergleich zeigt das Potenzial gelungener Verwaltungsdigitalisierung. Ebenso wenig verwundert die ausführliche Presseberichterstattung über lange Warteschlangen bei Beantragung und Abholung der Personalausweise.

Wozu braucht man überhaupt einen Personalausweis?

Anstatt wie in vielen Kommunen Teilprozessschritte zu digitalisieren, indem man Automaten für Fotos und Unterschriftscans aufstellt, wäre bei einer vollständigen Organisationsanalyse zunächst zu hinterfragen:

  • Wozu und ob man den Personalausweis überhaupt braucht?
  • Ob es geeignete Substitute gibt?
  • Ob die ca. 63 Millionen Betroffenen oder - bei unterstellter Gleichverteilung und zehnjähriger Gültigkeit - 6,3 Millionen jährlich nicht reduziert werden könnten?

Hierfür empfiehlt sich der Blick über den Grenzzaun.

Reisedokumentsfunktion

Für die Reise innerhalb Europas ist der Personalausweis zumeist ausreichend, aber wie wir in Ländern ohne Personalausweispflicht sehen, wird meistens doch auf den Reisepass zurückgegriffen. So haben in Österreich nur knapp 10 % der Bevölkerung einen gültigen Personalausweis, hingegen 86 % einen gültigen Reisepass. Im Vereinigten Königreich haben per 2021 nur 13,5 % der Einwohner*innen überhaupt keinen Pass. 2011 – also vor dem Brexit – waren es auch nur 16,9 %.

Ausweisfunktion

Die häufigste Funktion ist die Ausweisfunktion, um gegenüber z. B. einer Postfiliale, einer Bank, einer Behörde oder sonst jemandem nachzuweisen, dass man tatsächlich die Person ist, die man zu sein behauptet oder für die eine Sendung zugestellt werden soll. Die Frage ist, ob diese Ausweisfunktion nicht auch durch andere amtliche Lichtbildausweise erbracht werden könnte – so es der Gesetzgeber entsprechend regelt – und die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Ja.

  • Dienstausweis: Deutschland verfügt über 5,2 Millionen öffentlich Bedienstete, darunter 1,9 Millionen verbeamtet bzw. im Richteramt tätig. Der Autor verfügte jahrelang über keinen Personalausweis, sondern konnte sich in Österreich mit seinem Dienstausweis des Bundesministeriums für Landesverteidigung ausweisen. Dass man z. B. in München für die Beantragung einer Meldebescheinigung als Polizist*in einen Personalausweis oder Reisepass besitzen muss, statt den Dienstausweis verwenden zu können, ist nicht nachvollziehbar.
  • Führerschein: Gegenwärtig werden gerade die alten Papierführerscheine final gegen neue, EU-weit standardisierte Plastikkartenführerscheine ersetzt, die von denselben Behörden ausgestellt werden wie die Personalausweise. Laut EU-Führerscheinrichtlinie sind die Lichtbilder spätestens alle 15 Jahre zu aktualisieren. Somit ist das Argument, dass man die Person nicht mehr erkennen kann, nicht mehr valide.
  • Weitere Ausweise: Geeignet wären der Waffenpass, der Jagdschein, der Fischereischein, der Schwerbehindertenausweis und sicherlich weitere amtliche Lichtbildausweise. Potenziell auch Studierendenausweise staatlicher Hochschulen und Universitäten, die in anderen Ländern als amtliche Lichtbildausweise gelten. Auch so exotisch anmutende Ausweise wie der Donauschifferausweis, der von den Donauanrainerstaaten als Passersatz anerkannt wird und in Deutschland von der Stadt Passau ausgestellt wird.

Funktion „Ersatz für ein nicht vorhandenes zentrales Einwohnermelderegister“?

Der deutsche Personalausweis beinhaltet eine Spezialität, nämlich die (Haupt)Wohnsitzadresse. Diese wird bei jedem Umzug von der Meldebehörde oder von der Bürgerin oder dem Bürger „aktualisiert“, indem ein Klebeetikett mit der nun neuen Adresse aufgebracht wird. Das ist anderen Verwaltungssystemen fremd, insbesondere dem US-amerikanischen, welches weder Meldepflicht noch Personalausweis kennt, und ist wohl einem ganz anderen Umstand geschuldet: Es gibt in Deutschland kein zentrales Einwohnermelderegister. Somit ist es z. B. einer Polizeistreife nicht so einfach möglich, eine Abfrage nach einer Adresse durchzuführen, denn wie sich aus § 34 BMG ergibt, ist diese Abfrage bei der jeweiligen Meldebehörde durchzuführen. D.h. wenn man nur Namen und evtl. ein Geburtsdatum kennt, müssten theoretisch alle ca. 5.100 Meldebehörden abgefragt werden. Das geht zwar vermutlich bereits weitgehend digital, aber eben immer noch bei allen Meldebehörden.

Gäbe es eine zentrale Sammelstelle, in der die Daten der Bürgerinnen und Bürger gebündelt werden, wäre das Leben um einiges leichter. So wäre es zum Beispiel nicht mehr notwendig, bei einer Fahrzeugkontrolle einen Führerschein oder eine Zulassungsbescheinigung mitzuführen.
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Verfügt man hingegen wie Ungarn über ein zentrales Führerscheinregister, ein zentrales Fahrzeugzulassungsregister, ein zentrales Einwohnermelderegister sowie ein Register für Personalausweise, so kann bürger*innenfreundlich bei Fahrzeugkontrollen auf die Mitnahme von Führerschein und Zulassungsbescheinigung verzichtet werden. Ungarn hat das zum 1.1.2023 eingeführt und damit die 2001 aufgestellte Forderung Gerhard Schröders „Die Daten müssen laufen, nicht die Bürger“ schneller umgesetzt als die Bundesrepublik.

Der EU-einheitliche Führerschein als Ausweg?

Nachdem es nun den EU-einheitlichen Führerschein gibt, wäre zumindest ein Gedanke, ihn im ersten Schritt innerdeutsch dem Personalausweis in Bezug auf die Ausweisfunktion gleichzustellen. Zum 1.1.2023 gab es in Deutschland davon 48,1 Mio. Stück – übrigens eine belastbarere Zahl als die der Personalausweise, da die EU Deutschland zur Führung eines Zentralen Fahrerlaubnisregisters verpflichtet, welches beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg geführt wird.

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Der EU-weit einheitliche Führerschein, der gegenwärtig keine Staatsangehörigkeit beinhaltet, könnte auch als Reisedokument im Schengenraum akzeptiert werden, wenngleich hierfür das Schengener Abkommen adaptiert werden müsste. 

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Prof. Dr. Robert Müller-Török, Professor an der Uni Ludwigsburg

In weiterer Folge könnte der EU-weit einheitliche Führerschein, der gegenwärtig keine Staatsangehörigkeit beinhaltet, auch als Reisedokument im Schengenraum akzeptiert werden, wenngleich hierfür das Schengener Abkommen adaptiert werden müsste. Da der EU-einheitliche Führerschein in absehbarer Zeit in allen Mitgliedsstaaten auch digital verfügbar sein wird, wenn es nach der Europäischen Kommission geht, erscheint dies auch zukunftsfähiger als der deutsche Personalausweis aus Plastik, wenngleich dieser mit einem Chip ausgestattet ist. In Österreich gab es nach einem Jahr bereits über 380.000 aktivierte digitale Führerscheine, wenngleich derzeit nur innerösterreichisch gültig.

Die Bindung der deutschen eID an den Personalausweis: Ein Fehler

Einer der Gründe, warum die eID und die qualifizierte elektronische Signatur in Deutschland bis heute nicht verbreitet ist, ist die Bindung der eID an den Personalausweis und damit de facto an die deutsche Staatsangehörigkeit sowie die Kostenpflicht der Signatur.

Die Bindung der eID an den Personalausweis hemmt die Nutzung sichtlich. Außerdem schließt sie damit Millionen von Unionsbürger*innen aus.
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Durch die Bindung an die Staatsangehörigkeit hat man Millionen Unionsbürger*innen ausgeschlossen, was dazu führte, dass die deutschen Verwaltung mit der eID-Karte für Unionsbürger zum 1.1.2021 eine Art „Perso für Nichtdeutsche“ eingeführt hat.  Dieser ist zum einen kostenpflichtig und zum anderen eine Absurdität für diejenigen, die über eine gleichwertige eIDAS-konforme eID eines anderen Mitgliedsstaates verfügen, die in Deutschland nach Artikel 6 eIDAS-VO von Behörden wie die deutsche eID/nPA anerkannt werden muss.

Die österreichische Bürgerkarte, die die beschriebene Funktionalität bietet, war nie an einen bestimmten Ausweis gebunden. Damit war auch eine einfache Verlegung in den digitalen Raum, sei es über die Handysignatur oder nun die ID Austria, problemlos möglich. So gab es sie als Dienstausweis, als Sozialversicherungskarte, als Ärzteausweis und in vielen weiteren Formaten, wie zum Beispiel als Studentenausweis (heute Studierendenausweis).

Aufwände der Verwaltung und Fazit

Bei jährlich wenigstens 6,3 Mio. auszustellenden Personalausweisen sind etliche öffentlich Bedienstete erforderlich, und die Bürgerinnen und Bürger verbringen viele Millionen Stunden auf Ämtern und mit dem Aufkleben neuer Adressaufkleber. Bei einer nur theoretisch erreichbaren und verwaltungsfreundlich gerechneten Bearbeitungszeit von 10 Minuten pro Personalausweisantrag – was allein für persönliche Antragstellung und Abholung nicht reicht – sprechen wir von 63 Mio. Minuten, 1,05 Mio. Stunden und 656 Vollzeitarbeitskräften, wenn diese täglich acht Stunden reine Arbeitszeit haben. Die Realität dürfte eher bei einem Vielfachen liegen. Hinzu kommen Kosten, Ressourcenverbrauch, CO2 und die mehr als 100 Millionen Stunden, die Bürgerinnen und Bürger jedes Jahr dafür aufwenden müssen. Und, bei 9 Millionen Umzügen im Jahr noch etliche Millionen erstellte, versandte und aufgeklebte Adressaufkleber für Personalausweise. Es wäre an der Zeit, erfolgreiche Lösungen anderer Staaten anzusehen und wirkliche Digitalisierung zu betreiben.

Deutschland zwingt seine Staatsangehörigen zum Besitz eines Personalausweises, obwohl andere, mit ein wenig gutem Willen gleichwertige amtliche Lichtbildausweise in Massen verfügbar und verbreitet sind. Dazu kommt, dass im digitalen Zeitalter und angesichts von E-Wallets viele Funktionen dieser Ausweise anders angeboten werden können.