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Runter von der Piste

Was deutsche Kommunen von österreichischen Skigebieten in Bezug auf Digitalisierung lernen können

Es fehlt in Deutschland der Wille oder auch nur die Lust zum berühmten „Blick über den Tellerrand“. In einer Europäischen Union von 27 Mitgliedsstaaten gibt es zumindest 26 andere Gemeinwesen, bei denen die Verwaltung, aber auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft nach „best practices“ suchen kann. So schreibt die Stadt Stuttgart beispielsweise auf ihrer Webseite „Voneinander lernen, Erfahrungen teilen und miteinander erleben – Städtepartnerschaften stärken den fachlichen und kulturellen Austausch.“. Aber inwieweit dieses Lernen vom anderen tatsächlich erfolgt, ist wohl von Kommune zu Kommune höchst unterschiedlich ausgeprägt.

Der Autor ist Skifahrer und Besitzer einer Saisonkarte für die Skiregion Dachstein west, die ihren Kunden und Kundinnen eine Reihe von Dienstleistungen anbietet, von der deutsche Kommunen durchaus etwas lernen könnten, nein: müssten.

Digitalisierte Personenbeförderung

Skigebiete sind in Österreich meist so organisiert wie Verkehrsverbünde in Deutschland. Verschiedene Liftgesellschaften schließen sich zu einer Skiregion zusammen, verkaufen als Region Tickets (Saisonkarten und Zeitkarten, faktisch kaum noch Einzelkarten) und teilen diese Einnahmen unter sich auf.

Das ÖPNV-Rätsel: Automatische Zählungen geben keinen Aufschluss darüber, ob Personen mit dem City-Ticket aus Berlin kommen oder einfach nur ein paar Stationen fahren. Befragungen sind kaum belastbar und wenig hilfreich für die Linienplanung.
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Im Gegensatz zu Verkehrsunternehmen in Deutschland sind die privaten Liftgesellschaften an einer Aufteilung auf Basis der tatsächlich erbrachten Leistung, also der echten Beförderungsfälle interessiert.

Deshalb haben die Skipässe einen Chip bzw. RFID-Technologie, damit erstens das Einsteigen schnell geht und zweitens eine exakte Erfassung stattfindet, wie viele Skifahrende den Sessellift Hornspitz Express 1 am 17. Januar 2024 genommen haben. Und wie viele davon Kinder mit Tageskarte, Erwachsene mit Saisonkarte oder Rentner mit Wochenkarte waren. (Nur) so ist eine exakte Aufteilung der Einnahmen nach der tatsächlich erbrachten Beförderungsleistung möglich.

Eine Presseanfrage beim Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), beispielhaft für die über 60 Verkehrsverbünde in Deutschland, ob solche Daten vorliegen, ergab hingegen

„Für Zwecke der Einnahmenverteilung ist diese Auflösung auch gar nicht erforderlich und wird auch nicht angestrebt. Hier reicht eine stichprobenhafte Erfassung der Fahrgastnachfrage völlig aus. Mit den traditionellen Verfahren der Fahrgastmessung wie manuellen Fahrgastzählungen und Verkehrsstromerhebungen sowie den modernen Verfahren wie der sensorgestützten automatischen Fahrgastzählung, die im VVS zunehmend eingesetzt wird, lässt sich ein statistisch ausreichend valider Wert für die Personenkilometer und die Anzahl beförderter Personen für ein Verkehrsunternehmen oder ein Teilnetz als Jahreswert ermitteln.“.

Manuelle Fahrgastzählungen, die zumeist auf Zählung in Stationen und in den Verkehrsmitteln erfolgen sowie eine sensorgestützte automatische Fahrgastzählung ermitteln nicht, ob der Fahrgast Jahreskartenbesitzerin, Einzelfahrscheinbesitzer oder Schwarzfahrerin ist. Und auch nicht, ob er oder sie eine lange oder kurze Strecke fährt. Wird jemand beim Einsteigen in einen Bus automatisch gezählt, weiß der VVS denkunmöglich nicht, ob es sich hierbei um eine Bahnfahrerin handelt, der oder die z. B. aus Berlin kommt und das City-Ticket der Bahn für eine Anschlussfahrt im VVS hat oder um einen Umsteiger von der U-Bahn oder um jemanden, der einfach nur mit diesem Bus ein paar Stationen fährt.

Bei automatisierten Systemen, wie sie in Stuttgart eingesetzt werden, weiß man nur, dass jemand in den Bus eingestiegen ist und dass es sich um ein Fahrrad, ein Kind oder einen Erwachsenen handelt. Fahrgastbefragungen ermitteln zwar die Ticketart, allerdings ist die Stichprobe bei ca. 400 Millionen Einzelfahrten im VVS – wie immer diese Zahl auch zustande kam – wohl nicht annähernd so belastbar wie eine vollständige Erfassung. Auch als Basis einer Linienplanung sind diese Daten nur wenig geeignet, da man vom einzelnen Fahrgast im besten Fall weiß, dass er in einem bestimmten Bus war – aber nichts über Start- und Endpunkt seiner Reise.

Und täglich grüßt der deutsche Bahnbetrieb
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Das Ticketing im deutschen ÖPNV ist weder zeitgemäß noch zukunftsfähig

Dem VVS kann man hier nichts vorwerfen, denn es handelt sich um politische Vorgaben. So gab der VVS richtigerweise die Auskunft

„In der Tat erfolgt die Einnahmenaufteilung im VVS nicht ausschließlich anhand der Daten für Personenkilometer und beförderte Personen in den Linienbündeln. Auf einer ersten Stufe werden die Gelder anhand von vertraglich gestützten Quoten auf verschiedene Teilpools (S-Bahn, Regionalzugverkehr, Netz der SSB, regionaler Busverkehr, Nebenbahnen) aufgeteilt und erst innerhalb dieser Teilpools nach nachfragebezogenen Parametern auf verschiedene Betreiber oder Linienbündel/Lose verteilt. “.

Eine exakte Aufteilung nach tatsächlich erbrachter Leistung, d.h. Fahrgastkilometer, erfordert, wie bereits in VdZ dargelegt, eine vollständige Erfassung der Fahrgäste wie beispielsweise in London mithilfe der Oyster Card – oder wie in österreichischen Skigebieten. Denn nimmt man den VVS, der 609 verschiedene Linien betreibt und die Einnahmen zwischen ca. 40 verschiedenen Verkehrsunternehmen aufteilen muss, so frägt man sich schon, wieso diese Verteilung nach anderen Kriterien als nach der Zahl der tatsächlich beförderten Fahrgäste erfolgt. Das Land Baden-Württemberg hat hier auch nur geringen Einfluss, wie aus einer Anfragebeantwortung hervorgeht, wobei sich ab 2025 die Mittelzuweisung des Landes an die kommunalen Aufgabenträger zur Finanzierung von Verkehrs- und Tarifleistungen im ÖPNV (jährlich ca. 250 Mio. Euro) aus einem Verteilschlüssel zu ergeben hat, der auch leistungsbezogene Parameter – mithin Fahrgastzahlen – zu berücksichtigen hat. Was belegt, dass sie bis dahin nicht berücksichtigt wurden und werden.

Warum es Zeit für eine realitätsnahe Vergütung des ÖPNV ist

Dass das Deutschlandticket diese Situation noch dramatisch verschlechtert hat, wurde ebenfalls bereits in VdZ dargelegt. Das ist natürlich auch dem VVS bekannt:

„Für eine deutschlandweite Einnahmenaufteilung arbeiten Branche und Länder intensiv an Lösungen, hier ist auch der VVS in den entsprechenden Arbeitsgruppen beteiligt. Bis diese in Kraft tritt, erhält der VVS für die „fehlenden” Einnahmen (sowie für die Mindereinnahmen, die entstehen, da das D-Ticket ja deutlich günstiger ist als der Schnitt der Bestandstarife) Ausgleichsmittel von Bund und Ländern.“.

Wie das Deutschlandticket Leistung und Entgelt entgleisen lässt

Dass diese Ausgleichsmittel anhand tatsächlich erbrachter Beförderungsleistung bemessen werden, muss mit Blick auf die (nicht) verfügbaren Daten massiv bezweifelt werden. Der VVS (und jeder andere Verkehrsverbund auch) kann keine Ahnung haben, wie viele Personen mit Deutschlandtickets der MVG, des HVV oder der LVB an einem Tag seine Leistungen in Anspruch nehmen. Auch hier kann der VVS, wie alle anderen Verkehrsverbünde, nur das ausführen, was die Politik vorgegeben hat. Weil die Verteilung der Einnahmen und Ausgleichszahlungen beim Deutschlandticket rein stochastisch ist, wäre vor kurzem der Landkreis Stendal aus dem Deutschlandticket ausgestiegen und wurde nur durch zusätzliche (Steuer-)Geldzusagen gehalten. Für eine realitätskonforme Vergütung von ÖPNV-Leistung anhand tatsächlich erbrachter Beförderungsleistung muss die Politik die Voraussetzungen schaffen. Oder wie im Falle der privaten, politikfernen Skigebiete regelt das der Markt im Sinne von Adam Smiths „invisible hand“.

Dass eine Verteilung der Ticketeinnahmen auf Basis von Skifahrendenbefragungen sowie -zählungen an einer Abfahrt an einem Tag pro Skisaison den Liftgesellschaften von Dachstein west als „statistisch ausreichend valider Wert für die Personenkilometer und die Anzahl beförderter Personen“ reichen würde, muss bezweifelt werden. Auch die Bundesländer Oberösterreich und Salzburg, in denen diese Skiregion liegt, würden hier wohl nicht finanziell aushelfen.

Pistenvergnügen mit Highspeed Gratis-WLAN

Die Skiregion Dachstein west bietet, wie viele Skigebiete, ihren Kundinnen und Kunden ein Gratis-WLAN an, welches auch die Skipisten und Lifte sowie die Skihütten versorgt. Eigene Messungen ergaben 40 MB/s Upload und bis zu 60 MB/s Download mitten auf der Skipiste. Dies hat einen einfach nachvollziehbaren Grund: Gerade junge Snowboarder und Skifahrerinnen haben gern Helmkameras und streamen bisweilen live. Deshalb gibt es dort zumindest seit 2009, seitdem der Autor dieses Skigebiet frequentiert eben ein WLAN. Zu dieser Zeit disputierten in Deutschland noch die Juristen und Juristinnen über die Störerhaftung, welche bis 2017 faktisch frei zugängliche WLANs in Deutschland verunmöglichte – und auch heute noch nicht völlig aus der (Gedanken)Welt ist.

Kostenloser ÖPNV für eine echte Klimawende

Will man tatsächlich eine Klimawende in der Mobilität, wie sie u.a. das baden-württembergische Verkehrsministerium propagiert, so sind sinnvollerweise alle ÖPNV-Träger gratis oder zumindest sehr günstig. Das hat auch die Skiregion Dachstein west verstanden und bietet die dort verkehrenden Busse während der Skisaison gratis an. Luxemburg hat das auch verstanden; dort ist der ÖPNV seit 2020 kostenlos. Sogar das aktuell vielgescholtene Ungarn bietet allen Ü65 aus allen EWR-Staaten den ÖPNV und sogar die Fernbahn gratis an.

Die Skiregion Dachstein West hat verstanden: Gratis oder stark vergünstigter ÖPNV ist ein Schlüssel zur Mobilitäts-Klimawende. Während der Skisaison bietet sie kostenlose Busse an. Luxemburg ist seit 2020 dabei und selbst Ungarn gewährt kostenlosen ÖPNV für alle Ü65 aus den EWR-Staaten.
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Sieht man sich hingegen die Preise für Einzelfahrscheine in Deutschland an, so ist man von einem Gratis-ÖPNV nicht nur in Berlin weit entfernt. Wobei sich, im Lichte der Aussage des Bundesrechnungshofes „Die Finanzierung des ÖPNV ist zu einem komplexen Gebilde geworden, das kaum noch zu überblicken ist. Der Bund weiß deshalb selbst nicht genau, wie viel Geld er insgesamt für den ÖPNV ausgibt“ die Frage stellt, ob man ihn sich nicht doch leisten könnte, vielleicht sogar mit weniger Steuergeldzuschüssen als heute.

Warum Deutschland sich ruhig eine Scheibe abschneiden darf

In Deutschland ist der ÖPNV spätestens seit Einführung des Deutschlandtickets – aber bereits auch davor – so gestaltet, dass eine fast schon völlige Entkoppelung von Leistungserbringung und Einnahmen stattgefunden hat. Das Entgelt hängt nicht ausschließlich von der Zahl der tatsächlich beförderten Fahrgäste ab, sondern von intransparenten Mechanismen der Zuteilung von Steuergeldern und Fahrgeldeinnahmen. Dass so für die einzelnen Verkehrsunternehmen kein Anreiz gesetzt wird, Fahrgäste zu befördern, liegt auf der Hand. Nicht nur Städte wie London, Lissabon oder auch Ljubljana, sondern auch österreichische Skigebiete erfassen ihre Fahrgäste detailliert – wiewohl dort die gleiche DSGVO gilt wie in Deutschland und einer solchen Erfassung nicht entgegensteht. Ein leistungsfähiges Gratis-WLAN und ein Gratis-ÖPNV sind Dinge, welche deutsche Kommunen schnellstens übernehmen müssen. Nicht sollten, sondern müssen! Denn es ist an der Zeit, endlich im digitalen Jetzt und Heute anzukommen. Sogar ein vielgescholtenes Unternehmen wie die Deutsche Bahn AG hat es in den letzten zwei Jahren geschafft, vom Papierticket wegzukommen und ein erträgliches WLAN in den Zügen und Stationen anzubieten.¹ Nur die Kommunen verharren, was diese Dinge betrifft, im 20. Jahrhundert.

Kundinnenorientierung ist ein wesentlicher Treiber der Digitalisierung, ebenso der Wunsch bzw. die Notwendigkeit der Aufteilung von Einkünften nach tatsächlich erbrachter Leistung. Beides bieten zwar österreichische Skigebiete selbstverständlich und seit vielen Jahren an, in Deutschland ist das allerdings zumindest im ÖPNV noch nicht umgesetzt. Einem Gratis-ÖPNV in Deutschland steht wohl vor allem ein völlig intransparentes und nicht an der tatsächlich erbrachten Beförderungsleistung ausgerichtetes Finanzierungs- und Abrechnungssystem entgegen. Dass dieses den ÖPNV in Deutschland für alle, vor allem für den Steuerzahler unnötig teuer macht, wäre ein naheliegender Schluss.


¹ Der Autor hat Goldstatus in bahn.bonus und ist häufiger Bahnfahrer, somit ist die Aussage zumindest für die Strecke München-Stuttgart valide.