Wolfgang Bosbach
© Simone M. Neumann

Friede, Freude, Politikversagen?

7 Fragen an den Rechtsexperten Wolfgang Bosbach

Das Märchen vom Frieden in Europa hat spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ein bitteres Ende gefunden. Neben Krieg spalten auch Desinformation und Fake News, politischer Extremismus und die zunehmende Schwächung demokratischer Institutionen die Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist eine starke und widerstandsfähige Demokratie notwendiger denn je.
Wolfgang Bosbach, ehemaliges Mitglied des Bundestags, gibt im VdZ-Interview Einblicke in dieses komplexe Thema. Seine lange politische Laufbahn – von der Kommunalpolitik bis zum Deutschen Bundestag – verleiht seinen Ansichten und Einschätzungen eine besondere Tiefe. Im Interview erörtert er die Notwendigkeit einer wehrhaften Demokratie angesichts globaler Bedrohungen und hinterfragt kritisch die Rolle von Politik und Medien in der Kommunikation mit der Bevölkerung.

Verwaltung der Zukunft: Lieber Herr Bosbach, Sie sind offizieller Kongresspräsident des Berliner Kongresses wehrhafte Demokratie. Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für unsere Demokratie, die eine „Wehrhafte Demokratie” erforderlich machen?

Wolfgang Bosbach, MdB a. D., ist Rechtsanwalt und Mitglied der CDU. Er blickt auf eine lange Laufbahn in verschiedenen politischen Ämtern zurück – vom Stadtrat in Bergisch Gladbach bis zum Innenausschuss des Bundestags. Seit 2017 ist er Präsident des Berliner Kongresses für wehrhafte Demokratie.
© Manfred Esser

Wolfgang Bosbach: Wir haben für den Kongress ganz bewusst die Überschrift „Wehrhafte Demokratie“ gewählt, um deutlich zu machen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, das zu Glück haben, in einer Demokratie leben zu können. Viele Milliarden Menschen haben dieses Glück nicht. Gleichzeitig muss diese Demokratie allzeit bereit sein, sich gegen ihre Feinde zu wehren. Ganz gleich, ob sie durch rohe militärische Gewalt, durch politischen und religiösen Fanatismus oder durch gezielte Attacken aus dem Cyberspace angegriffen wird.

VdZ: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage der inneren und äußeren Sicherheit ein? Glauben Sie, dass sich die Situation weiter verschärft oder wird sie sich normalisieren?

Bosbach: Wer hatte nach dem Fall der Mauer, dem Ende der deutschen Teilung und des Ost-West-Konfliktes nicht die Hoffnung, dass jetzt die Phase von unendlichem Frieden und globalen demokratischen Verhältnissen beginnen würde? Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wissen wir: Diese Hoffnungen müssen wir leider begraben. Israel kämpft – mal wieder – um seine Existenz, Nordkorea wird immer unberechenbarer, China bedroht Taiwan. Es wird eher schwieriger als besser.

VdZ: Wie kann die Regierung Ihrer Meinung nach die Gesellschaft auf die Veränderungen der Sicherheitslage vorbereiten?

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Politik soll erklären, die Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und dann die richtigen Prioritäten setzen. Genau daran fehlt es aktuell.

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Bosbach: Die Politik hat nicht die Aufgabe, die Menschen zu belehren oder gar zu erziehen. Politik soll erklären, die Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und dann die richtigen Prioritäten setzen. Genau daran fehlt es aktuell. Wer versucht, alles gleichzeitig zu erledigen und selbst fundamentale Kurskorrekturen mit Macht und Tempo durchzusetzen, überfordert sich und andere und wird am Ende scheitern.

VdZ: Es gibt Initiativen wie das Demokratiefördergesetz mit dem Ziel, die Demokratie zu stärken. Was halten Sie von dem Ansatz, dass die Regierung versucht, die Demokratie auf diese Weise zu steuern – sollte die Verantwortung nicht eher in der Gesellschaft liegen?

Bosbach: Zugunsten der Regierung unterstelle ich einmal, dass sie es gut meint. Aber gut meinen ist bekanntlich das Gegenteil von gut machen. Wenn der sogenannte vorpolitische Raum dauerhaft von der Politik mit Millionen versorgt werden soll, dann kann man die Präposition „vor” getrost streichen. Dann geht es um die Förderung politischer Vorfeldorganisationen zur Unterstützung der Regierungspolitik. Und ohne Extremismusklausel geht das gar nicht. Den Rechtsextremismus mit Linksextremismus bekämpfen zu wollen ist abwegig.

VdZ: Die Gesellschaft scheint sich auseinander zu bewegen und wendet sich vermehrt von den etablierten Parteien ab. Was denken Sie: Warum zerfällt das Vertrauen in die großen Parteien?

Bosbach: Wie viel Zeit geben Sie mir? Da gibt es nicht nur einen Grund, sondern ein ganzes Bündel. Die Politik redet zu oft über die Köpfe der Menschen hinweg, sie setzt Prioritäten wo die Bevölkerung ganz andere setzt, sie erweckt beim Publikum Erwartungen, die sie niemals erfüllen kann usw usw.

VdZ: Zuweilen gibt es Stimmen aus der Gesellschaft, sie sei fremdgesteuert und es herrsche sogar eine Zensur an manchen Stellen, Stichwort Cancel Culture. Finden Sie, die Politik hat in ihrer Kommunikation mit den Bürger*innen dabei Fehler gemacht?

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Politik und Medien glauben, es sei ihre Aufgabe, die Menschen nach ihren Vorstellungen formen und umerziehen zu müssen. Das geht immer mehr Menschen gehörig auf die Nerven.

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Bosbach: Diese Kritik müsste nicht in erster Linie an die Politik adressiert werden, sondern an die Medien und die Universitäten. Beide glauben, es sei ihre Aufgabe, die Menschen nach ihren Vorstellungen formen und umerziehen zu müssen. Sprachlich, gesellschaftlich, kulturell. Das geht immer mehr Menschen gehörig auf die Nerven und dann schlägt das Pendel in die entgegengesetzte Richtung aus.

VdZ: Welches Highlight oder welche besondere Erwartung haben Sie für den diesjährigen 6. Berliner Kongress?

Bosbach: Ernst nehmen,  klare Abgrenzung, inhaltliche Auseinandersetzung – und dem Publikum die Motive nehmen, dort sein Kreuz zu machen.

 

6. Berliner Kongress wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt

🗓️ 15. bis 16. Mai 2024
➡️ Hier geht es zu den Tickets

Der Titel des Kongresses steht für die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Rechtlich und technisch, politisch und gesellschaftlich. Der Kongress bietet eine Plattform für den Austausch über alle sicherheitspolitisch relevanten Themen zwischen Theorie und Wissenschaft, Praxis und Politik. Er beschäftigt sich mit den aktuellen, aber auch mit ganz grundsätzlichen Fragen der Inneren Sicherheit, die schon lange mit der Äußeren Sicherheit eng verzahnt gedacht werden muss.