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„Quick Freeze“ – Geheimwaffe oder Platzpatrone?

Ein Mann wurde vom Zug überrollt, ein Pferdehofbesitzer als vermisst gemeldet, zwei schwere Raubüberfälle begangen. Wie wurden diese drei Fälle gelöst? Jedenfalls nicht mithilfe der sogenannten „Quick Freeze“ Methode, die Ermittlungsbehörden eigentlich dabei unterstützen soll, relevante Telekommunikationsdaten wie z.B. IP-Adressen oder Telefonnummern umgehend einfrieren („Freeze“) zu lassen. Ein Plädoyer Bosbachs für die kritische Auseinandersetzung mit dieser Methode.

Gott sei Dank kein ganz alltäglicher, aber leider ein realer Fall:

Vor über 10 Jahren wurde am Bahnhof in Flensburg der Leichnam eines 50-jährigen Mannes gefunden, der von einem Zug überrollt worden war. Zunächst ging man von einem Suizid aus, später entdeckte Spuren wiesen jedoch auf ein Tötungsdelikt hin. Einen Tag später ergab sich ein Tatverdacht gegen einen gleichaltrigen Geschäftsmann, der über lange Zeit ein sexuelles Verhältnis mit der Ehefrau des Getöteten gehabt hatte. Dieser räumte einen einzigen (!) telefonischen Kontakt zum späteren Opfer ein. Erst durch die Hinzuziehung von rückwirkenden TK-Verbindungsdaten über mehrere Monate konnten die Einlassungen des Tatverdächtigen widerlegt werden. Bei der Aufklärung des Falles und der Überführung des Täters spielten die retrograd erhobenen Daten eine ganz entscheidende Rolle. Ergebnis: Verurteilung wegen Mordes.

Im gleichen Jahr wurde ein Pferdehofbesitzer von seinem Freundes- und Bekanntenkreis vermisst. Anfangs war unklar, ob der Grund ein freiwilliges Verschwinden oder aber ein Verbrechen war. Erst einen Monat später wurde sein schon verwester Leichnam gefunden, kurze Zeit danach gab es einen vagen Verdacht auf einen mutmaßlichen Täter. Erst durch die Herausgabe der retrograden Daten zu den Anschlüssen des Opfers konnte der Tatverdacht gegen den späteren Täter erhärtet werden.

Was hätte in diesen beiden Fällen – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen – das vom Bundesjustizminister Buschmann favorisierte Modell „Quick Freeze“ (der TK-Daten der Tatverdächtigen) für die Ermittler gebracht? Nichts. „Quick Freeze“ soll ja gerade verhindern (!), dass zur Ermittlung eines Tatkomplexes auch rückwirkend Daten der TK abgefragt und ausgewertet werden können. Jedenfalls solche, die nicht (mehr) bei den Providern gespeichert sind. Kein Wunder, dass das für die Innere Sicherheit zuständige Bundesinnenministerium einen anderen Ansatz favorisiert. Dort sieht man offensichtlich die Not der Ermittler, falls retrograde Auswertungen zukünftig scheitern sollten.

Innerhalb von nur einer Woche kam es in Lübeck zu zwei schweren Raubüberfällen. Betroffen waren ein Juwelierehepaar und die Geschäftsführerin eines Krankenhauses. Den Opfern wurde zu Hause aufgelauert, sie wurden gefesselt und geknebelt. Früh gab es Hinweise auf eine Bande aus Rumänien, die von einem mit einer Rumänin verheirateten Deutschen geführt wurde. Die Täter wurden später in der Vorbereitungsphase eines weiteren Raubes festgenommen. Entscheidend für die Verurteilung der ZUVOR begangenen Taten war die Auswertung der retrograd erhobenen TK-Daten. Ohne diese wäre eine Verurteilung wohl nicht zu erreichen gewesen.

Das Kriminalitätsgeschehen hat sich rasant verändert. Klassische polizeiliche Ermittlungsinstrumente reichen leider nicht mehr aus, um viele Tatkomplexe aufklären zu können. Die Flüchtigkeit von Daten sowie Kryptierungs- und Anonymisierungstechnologien machen die Arbeit der Polizei immer schwieriger. Vor dieser Entwicklung darf die Politik ihre Augen nicht verschließen. Und bitte keine Lösungen offerieren, die im Kern eine Politik-Simulation sind, denn die bleiben schlichtweg ohne größere praktische Auswirkungen für strafrechtliche Ermittlungen.