Circular Impact Procurement
Wie nachhaltige Beschaffung mit gemeinwohlorientierten Unternehmen gelingt
Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von der Klimakrise über Ressourcenknappheit bis hin zu sozialen Ungleichheiten – verlangen nach neuen, integrativen Lösungsansätzen in Wirtschaft und Gesellschaft. Während viele Akteure über Nachhaltigkeit sprechen, bleibt die Frage: Wie konkret und wirksam gelingt die Umsetzung einer nachhaltigen und zirkulären Wirtschaftspraxis? Ein wesentlicher, oft unterschätzter Hebel liegt in der Beschaffung. Öffentliche und private Einkäufer*innen – besonders in Deutschland mit einem öffentlichen Beschaffungsvolumen von über 500 Milliarden Euro pro Jahr – tragen eine enorme Verantwortung und zugleich eine große Chance. Seit Oktober 2024 bringt die Circular Impact Procurement Initiative (CIPI) von Yunus Environment Hub gemeinwohlorientierte Unternehmen mit zirkulären Geschäftsmodellen gezielt auf die Agenda.
Nachhaltige Beschaffung bedeutet nicht nur, einzelne Umweltstandards einzuhalten oder soziale Mindestanforderungen zu erfüllen. Sie ist als strategisches Steuerungsinstrument anzusehen, das die gesamte Wertschöpfungskette transformieren kann – von der Rohstoffgewinnung bis zum Produktlebensende. Auch das staatliche Lieferkettengesetz (LkSG), die neue EU-Richtlinie zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und weitere Regulierungen für gemeinwohlorientierte Unternehmen setzen klare Rahmenbedingen, die nachhaltige und verantwortungsvolle Beschaffung zunehmend erzwingen. Doch leider zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass gerade kleine und mittelständische gemeinwohlorientierte Unternehmen oft Schwierigkeiten haben, in öffentlichen Vergabeverfahren Fuß zu fassen.
Gemeinwohlorientierte Unternehmen – was macht sie aus?
Gemeinwohlorientierte Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihr Geschäftsmodell nicht an Gewinnmaximierung ausrichten, sondern an gesellschaftlichem Nutzen und ökologischer Wirkung. Sie bieten innovative Lösungen, welche ökologische Herausforderungen adressieren und zugleich soziale Themen wie Inklusion, faire Arbeitsbedingungen, lokale Wertschöpfung sowie (Umwelt-)Gerechtigkeit angehen.
In der Circular Economy tragen gemeinwohlorientierte Unternehmen dazu bei, Kreislaufprinzipien mit gesellschaftlichem Mehrwert zu verbinden. Das bedeutet, dass sie nicht nur ressourcenschonende und wiederverwertbare Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, sondern diese zugleich so gestalten, dass sie soziale Gerechtigkeit und Teilhabe fördern.
Typisch sind beispielsweise Firmen, die biologisch abbaubare Verpackungen produzieren, Unternehmen, die ressourcenschonende Werkstoffe herstellen, oder soziale Integrationsbetriebe, die Menschen am Arbeitsmarkt mit besonderen Hürden integrieren. Diese gemeinwohlorientierten Unternehmen stehen exemplarisch für das Konzept „Circular Impact“ – also einer Beschaffung, die sowohl ökologische Kreislaufwirtschaft als auch sozialen Mehrwert verbindet.
Der Status-Quo in Deutschland: Noch viel Luft nach oben
Der kürzlich veröffentlichte Bericht „Kreislaufwirtschaft: Status und Potential nachhaltiger Beschaffung von gemeinwohlorientierten Unternehmen“ des Yunus Environment Hub zeigt, dass nur weniger als 20 % der öffentlichen Beschaffung in Deutschland nachhaltige bzw. zirkuläre Kriterien systematisch berücksichtigen. Der Zugang für gemeinwohlorientierte Unternehmen zu öffentlichen und privaten Ausschreibungen ist mit bürokratischen Hürden, fehlenden Netzwerken und mangelnder Sichtbarkeit erschwert. Hinzu kommen Unsicherheiten in der Rechtsauslegung der relevanten Vergaberichtlinien und fehlende personelle Kapazitäten bei den Beschaffer*innen.
Viele gemeinwohlorientierte Unternehmen berichten von Schwierigkeiten bei der Skalierung ihrer Produktion, Zertifizierung und Logistik. Ebenso fehlt oft die Nähe zu etablierten Wertschöpfungsketten und Pilotkunden, die neue Lösungen testen würden. Ohne diesen Zugang bleibt das hohe Innovationspotenzial ungenutzt – eine verpasste Chance für Klimaschutz und soziale Gleichheit gleichermaßen.
Transparenz schaffen: Mapping und Profiling
Im Rahmen des Berichts wurde ein umfangreiches Mapping von gemeinwohlorientierten Unternehmen durchgeführt. Dabei wurden sowohl deren Rolle in Wertschöpfungsketten (Produzenten, Enabler, Input-Provider) als auch deren strategische Wirkungskategorien (soziale und ökologische Impact-Felder) analysiert. Diese systematische Erfassung bietet eine wichtige Orientierung für Beschaffer*innen, Förderinstitutionen und Politik.
Die Erkenntnis: Gemeinwohlorientierte Unternehmen bilden keine homogene Gruppe, sondern sind durch ihre Innovations- und Wirkungsorientierung heterogen, was flexible und differenzierte Förder- und Vergabestrukturen erforderlich macht.
Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Integration von gemeinwohlorientierten Unternehmen in Beschaffungsketten
Der Bericht benennt drei zentrale Erfolgsbereiche:
- Sichtbarkeit und Netzwerkbildung: Plattformen und Verzeichnisse, die gemeinwohlorientierte Unternehmen passgenau nach Wirkung, zirkulären Strategien und Produktkategorien listen, öffnen Türen. Matching-Events und intermediäre Vermittler steigern das gegenseitige Kennenlernen von Angebot und Nachfrage.
- Procurement Readiness: Gemeinwohlorientierte Unternehmen müssen befähigt werden, Ausschreibungen fachgerecht zu bearbeiten, Qualitätsstandards zu erfüllen und ihre Innovationspotentiale verständlich zu kommunizieren. Eigens zugeschnittene Schulungsprogramme und Coaching-Angebote für gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken hier die Wettbewerbsfähigkeit.
- Vergabestrukturen und Rahmenbedingungen: Gesetzliche Spielräume sollten konsequent genutzt und vereinfacht werden. Das laufende Vergaberechts-Transformationspaket ist ein wichtiger Schritt, um soziale und ökologische Zuschlagskriterien verbindlich zu integrieren und Direktvergaben unkomplizierter zu gestalten. Kleine gemeinwohlorientierte Unternehmen könnten so beispielsweise über Direktvergaben leichter Aufträge erhalten.
Praxisbeispiel: Innovationsfördernde Beschaffung in Kommunen
In einer deutschen Kommune konnte eine Ausschreibung für nachhaltige IT-Hardware durch die gezielte Einbeziehung eines sozialen Start-ups erfolgreich mit Fokus auf Reperaturfähigkeit, Ressourcenschonung und sozialer Wirkung umgesetzt werden. Das Unternehmen konnte dank Schulungen und Unterstützung der Beschaffungsstelle seine Kompetenz in der Angebotsabgabe steigern. Das Projekt reduzierte den Ressourcenverbrauch und bot gleichzeitig zertifizierte Arbeitsplätze für benachteiligte Gruppen. Solche Beispiele zeigen, wie strukturierte Begleitung und handlungsorientierte Tools wirkungsvolle Synergien schaffen.
Ausblick: Beschaffung als Hebel für eine sozial-ökologische Transformation
Nachhaltige und zirkuläre Beschaffung, die gemeinwohlorientierte Unternehmen gezielt einbindet, ist keine Nischenstrategie, sondern ein zwingender Schritt zur Gestaltung resilienter und sozial-ökologischer Transformation. Neben Klimaschutz und Ressourceneffizienz eröffnen gemeinwohlorientierte Unternehmen neue Pfade zu sozialer Gleichheit und einer innovationsfreundlichen Wirtschaft.
Um diesen Wandel zu schaffen, braucht es auf allen Ebenen eine Veränderung des Mindsets im Einkauf: weg von klassischen Risikovermeidungs- und Kostenfokussierungen hin zu einem strategischen, wirkungsorientierten Beschaffungsverständnis. Die Circular Impact Procurement Initiative bietet hier wichtige methodische, vernetzende und praxisorientierte Impulse.
Wichtig ist die begleitende Einbettung in ein nationales und europäisches Nachhaltigkeits- und Innovationssystem mit klaren Förderoptionen, Rechtssicherheit und umfangreichen Fortbildungsangeboten. Nur so können gemeinwohlorientierte Unternehmen den großvolumigen und nachhaltigen Märkten von morgen wirkungsvoll begegnen.
Fazit
Der Bericht des Yunus Environment Hub zeigt eindrücklich das unverzichtbare Potenzial gemeinwohlorientierter Unternehmen in der Circular Economy als Gestalter*innen einer nachhaltigen Beschaffung. Die Transformation der öffentlichen und privaten Beschaffung ist ein Kraftakt, aber mit gezielten Strategien und vernetzter Zusammenarbeit eine gestaltbare Realität, die Umwelt- und gesellschaftliche Ziele verbindet – ein echter Gamechanger für den deutschen Nachhaltigkeitsmarkt.

Kiara Winona Sweeney bei der 26. Beschaffungskonferenz
🗓️ 22.–23. September, Kongressbereich im Hotel de Rome
➡️ Hier geht's zum Programm
Kiara Winona Sweeney spricht beim Plenum am Morgen der 26. Beschaffungskonferenz zum Thema Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Dilemma zwischen Effizienz, Bürokratieabbau und haushalterischem Druck.