Gerhard Zotter 26. Beschaffungskonferenz
© Wegweiser / Simone M Neumann

Erfolgsmodell zentrale Beschaffung

BBG-Geschäftsführer Zotter im Interview

Mag. Gerhard Zotter ist Geschäftsführer der österreichischen Bundesbeschaffung GmbH (BBG), die seit über 20 Jahren zentrale Einkaufsdienstleistungen für die öffentliche Hand erbringt. Im Interview spricht er über Erfolgsfaktoren zentraler Beschaffung, den Einsatz digitaler Werkzeuge und die Bedeutung einer konstruktiven Fehlerkultur in der Verwaltung.

Verwaltung der Zukunft: Können Sie den Leser*innen kurz vorstellen, was die Bundesbeschaffung GmbH macht und welche Rolle sie in Österreichs Verwaltung spielt?

Mag. Gerhard Zotter: Die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) wurde 2001 als non-profit Einkaufsdienstleister der öffentlichen Hand gegründet und nimmt Aufgaben auf dem Gebiet des Beschaffungswesens mit dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Volumens- und Bedarfsbündelung zur Optimierung der Einkaufsbedingungen nach wirtschaftlichen und qualitativen Kriterien wahr.

Wir bieten als zentraler Einkaufspartner der öffentlichen Hand ein umfassendes Portfolio mit derzeit mehr als 3 Millionen Produkten und Dienstleistungen. Das Angebot wird vom Bund, von Bundesländern, Städten und Gemeinden, aber auch ausgegliederten Unternehmen, Hochschulen und Einrichtungen im Gesundheits- und Bildungsbereich sowie Feuerwehren genutzt. Die BBG bringt unternehmerisches, wirtschaftliches, technisches und juristisches Know-how mit und führt Vergabeverfahren effizient, kostengünstig und vergaberechtssicher durch.

VdZ: Was würden Sie als die zentralen Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Einrichtung und Entwicklung der BBG nennen?

Gerhard Zotter (rechts) und Martin Schallbruch von der govdigital auf der 26. Beschaffungskonferenz im Forum "IT-Beschaffung im Wandel".
© Wegweiser / Simone M. Neumann

Zotter: Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat die BBG gezeigt, dass eine zentrale Beschaffungsstelle durch die Bündelung von Fachwissen und Ressourcen die Effizienz und Qualität der Beschaffungsprozesse erheblich steigern kann. Um den größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit zu generieren, wurde sie als Gesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht gegründet. Die BBG versteht sich als Expertenorganisation für größtmögliche Transparenz und faire Vergabeverfahren.

Als Erfolgsfaktoren können die folgenden Punkte angeführt werden:

  • Politische Entscheidungen und Fragestellungen:

Auf politischer Ebene sind ein klarer Wille, eine klare Vision sowie messbare Zielsetzungen zu definieren: Was soll durch die Zentralisierung bzw. kooperative Beschaffung konkret erreicht werden? Ebenso ist eine eindeutige Entscheidung darüber erforderlich, auf welcher Ebene die Zentralisierung stattfinden soll – national, regional oder sektoral. Dies schließt hinsichtlich Nutzung der Dienstleistung die Entscheidung über verpflichtende oder nicht verpflichtende Kunden ein. Darüber hinaus ist die Aufbereitung einer fundierten Entscheidungsgrundlage zur Organisationsform einer zentralen Beschaffungseinheit essenziell: Soll die Zentralisierung innerhalb einer Behörde erfolgen oder durch ein staatseigenes Unternehmen (State-Owned Enterprise) - wie eben die BBG - umgesetzt werden?

  • Rechtliche und regulatorische Anpassungen:

Die Einrichtung einer zentralen Beschaffungsstelle erfordert rechtliche Anpassungen sowie die Schaffung eines geeigneten rechtlichen Rahmens. Dies kann zeitaufwendig und komplex sein, insbesondere wenn bestehende Gesetze und Vorschriften geändert werden müssen. Jedenfalls eine Investition, die sich lohnt.

  • Finanzierung und Ressourcen:

Die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel und Ressourcen stellt eine weitere Herausforderung dar und erfordert eine Entscheidung hinsichtlich eines geeigneten Finanzierungsmodells. Ohne ausreichende Finanzierung oder ein tragfähiges Ertragsmodell könnten die Implementierung und der Betrieb der zentralen Beschaffungsstelle beeinträchtigt werden.

  • Verwaltungsprozesse und Controlling:

Komplexe Verwaltungsprozesse und bürokratische Hürden können die Umsetzung verzögern. Es ist wichtig, effiziente Prozesse zu entwickeln und die Bürokratie zu minimieren, um eine reibungslose Implementierung zu gewährleisten. Hierfür ist zum Beispiel die Bereitstellung von elektronischen Procurement-Tools notwendig sowie eine Harmonisierung und Standardisierung von Daten. Dies ermöglicht zudem eine effiziente Kontrolle und Berichterstattung.

  • Einbindung von Stakeholdern:

Die Einbindung sämtlicher relevanten Stakeholder, einschließlich Regierungsbehörden, öffentlicher Auftraggeber und Lieferanten, ist entscheidend. Eine mangelnde Einbindung sowie mangelhafte Kommunikation können zu Widerständen und Verzögerungen führen.

  • Schulung und Kapazitätsaufbau:

Die Schulung von Beschaffungsfachkräften und der Aufbau von Kapazitäten sind wegweisend für den Erfolg der zentralen Beschaffungsstelle.

VdZ: In Deutschland ist die Beschaffung oft föderal und zersplittert organisiert. Welche Vorteile bringt es, dass die BBG als GmbH mit öffentlichem Auftrag, aber eben nicht als Behörde arbeitet?

Zotter: Eine Ausgliederung hat neben den üblichen Vorteilen der größeren Wirtschaftlichkeit und höheren Transparenz im Fall der BBG den Vorteil, mit ihrem Service nicht nur den Bundesorganisationen bekannt und nützlich sein zu können, sondern allen öffentlichen Auftraggebern. Gerade bei Beschaffungen entscheidet der Faktor Bündelung des Ausschreibungsvolumens über die Verhandlungsmacht gegenüber der steigenden Anzahl großer internationaler Konzerne wie etwa im IT-, Kraftfahrzeug oder Pharmasektor. Durch gemeinsame Ausschreibungen kann so auch eine kleine Gemeinde von guten Preisen bei hoher Qualität profitieren. Andererseits kann beim beachtlichen Vergabevolumen der öffentlichen Hand darauf geachtet werden, dass Klein- und Mittelunternehmen gefördert und gesellschaftspolitische Aspekte nicht außer Acht gelassen werden, wie es möglicherweise bei großen gewinnorientierten Vergabeorganisationen wahrscheinlich wäre.

VdZ: Sie haben auf der Beschaffungskonferenz betont, dass Wertschätzung und frühe Einbindung entscheidend sind. Wie gelingt es Ihnen, Beschaffung nicht als „Hindernis“, sondern als „Enabler“ für Innovation und Modernisierung wahrzunehmen?

Zotter: Wie bereits erwähnt, ist die frühe Einbindung sämtlicher relevanten Stakeholder entscheidend. Dabei gilt es, die Erfahrungen und das Know-how bisheriger bzw. bestehender Strukturen zu nutzen, davon zu lernen und gemeinsam weiterzuentwickeln. Gerade durch den Status als ausgegliedertes Unternehmen, das zwischen seinen Kunden der öffentlichen Hand und den Bietern bzw. Lieferanten agiert, haben wir tiefes Verständnis für die Bedürfnisse und Herausforderungen aller Stakeholder entwickelt. Ein gesunder Wettbewerb, die Langfristigkeit von Rahmenvereinbarungen und vor allem unser klares Bekenntnis zu Innovation und Nachhaltigkeit sorgen ganz automatisch für den Blick nach vorne, der für eine moderne und effiziente öffentliche Verwaltung unerlässlich ist.

Mit der Etablierung der IÖB-Servicestelle als zentrale Anlaufstelle für Beratung zum Thema innovationfördernde öffentliche Beschaffung (IÖB) hat die BBG meines Erachtens eine kluge Entscheidung getroffen. Ihre Kernaufgabe ist das Zusammenbringen von öffentlichen Auftraggebern und innovativen Unternehmen.

VdZ: Wie verbinden Sie in der Praxis die strengen Vorgaben des Vergaberechts mit dem Bedarf an Agilität und Innovation?

Zotter: Wir kennen die Besonderheiten öffentlicher Vergabeverfahren ebenso wie die Anforderungen auf Auftraggeberseite. Unsere Arbeit ist geprägt von höchster Sorgfalt, Verlässlichkeit und dem Anspruch, optimale Ergebnisse für die öffentliche Hand zu erzielen. In mehr als 3.800 durchgeführten Ausschreibungen haben wir unsere umfassende Fachkenntnis unter Beweis gestellt und passgenaue Lösungen für unterschiedlichste Anforderungen entwickelt.

Die Bündelung von Bedarfen und strategischer Einkaufskompetenz hat sich ebenso als zentraler Erfolgsfaktor für die Optimierung von Preis, Qualität und Effizienz erwiesen. Ein zentrales einkaufsstrategisches Element ist die Modularisierung – also die Zerlegung von Leistungsanforderungen in klar definierte Module.

Im Gegensatz zur klassischen Standardisierung erlaubt Modularisierung eine bedarfsgerechte Berücksichtigung individueller Kundenanforderungen, ohne auf die Vorteile der Bündelung und Skaleneffekte zu verzichten. Dies ermöglicht u.a. Flexibilität bei der Zusammenstellung von Leistungen für unterschiedliche Bedarfsträger (bis hin zur spezifischen “Konfiguration”) und schafft hohe Transparenz, da die Preisunterschiede für unterschiedliche Ausprägungen einer Leistung sichtbar werden und der Bedarfsträger eine entsprechende Entscheidungsgrundlage für die „richtige“ Auswahl bekommt.

© Wegweiser / Simone M. Neumann

VdZ: E-Procurement, automatisierte Prüfungen, KI-gestütztes Vertragsmanagement – welche digitalen Werkzeuge setzen Sie bereits ein, und was sind die nächsten Schritte?

Zotter: Die BBG setzt konsequent auf Digitalisierung und innovative Technologien, um den gesamten Beschaffungsprozess effizient, transparent und zukunftsorientiert zu gestalten und weiterzuentwickeln. Unser E-Procurement umfasst die elektronische Unterstützung des gesamten Beschaffungsprozesses. Unsere integrierten E-Procurement-Tools lassen sich in die Systeme und Workflows unserer Kundinnen und Kunden sowie Vertragspartner integrieren und unterstützen sie während der gesamten Vertragslaufzeit.

Unser e-Shop ist das Herzstück des digitalen Einkaufs bei der BBG. Über diese Plattform können mehr als 3 Millionen Produkte und Dienstleistungen einfach, rechtssicher und rund um die Uhr abgerufen werden. Der e-Shop bietet darüber hinaus zahlreiche Funktionen, die weit über den klassischen Produktkatalog hinausgehen.

Für die Durchführung und Veröffentlichung von Vergabeverfahren nutzt die BBG den ANKÖ (Auftragnehmerkataster Österreich) als zentrale Vergabeplattform. Über ANKÖ werden Ausschreibungen digital abgewickelt, Angebote elektronisch eingereicht und die Kommunikation mit Bietern rechtssicher dokumentiert.

Wir setzen darüber hinaus auf eine Reihe von KI-gestützten und automatisierten Lösungen, die die Effizienz und Qualität im Kundensupport und in der operativen Abwicklung deutlich steigern.

Zukünftig wird es weitere Effizienzsteigerungsmöglichkeiten mittels KI-gestützter und automatisierter Workflows geben. Dies wird wiederum Ressourcen freisetzen, um gezielt in strategische Weiterentwicklungen und die Stärkung unserer Kunden- und Lieferantenbeziehungen zu investieren.

VdZ: Sie haben von „Fehlerkultur“ gesprochen: Wie kann man in einem stark regulierten Umfeld wie der öffentlichen Beschaffung eine Kultur des Lernens und Scheiterns etablieren?

Zotter: Fehler und Scheitern müssen erlaubt und möglich sein, zumal sie die Basis für eine gesunde Weiterentwicklung darstellen. Eine Fehlerkultur zu etablieren ist eine Frage des Mindsets und bedarf Mut. Wir sehen Fehler als Chance und empfinden ein temporäres Scheitern nicht als Kränkung, sondern Ansporn.

Die Schulung von Beschaffungsfachkräften und der Aufbau von Kapazitäten sind wegweisend für den Erfolg der zentralen Beschaffungsstelle. Ohne ausreichende Schulungen und Kapazitätsaufbau könnten die Fachkräfte nicht in der Lage sein, die neuen Prozesse und Systeme effektiv zu nutzen. Weiterhin bleibt es essenziell, Experten mit entsprechendem Markt- und Produkt-Know-how in die Beschaffungseinheiten einer zentralen Beschaffungsstelle zu integrieren. Wir bieten unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neben einem sehr ausführlichen Onboarding z.B. einen Zertifikatslehrgang zur „Fachkraft der öffentlichen Beschaffung“ an, den wir gemeinsam mit der TÜV AUSTRIA Akademie entwickelt haben. Dankbar sind wir auch dafür, mittlerweile schon zum 5. Mal das Trainingsprogramm PPE+ Europe der Europäischen Kommission für Fachkräfte aus zentralen Beschaffungsstellen europaweit leiten zu dürfen.

VdZ: Wenn Deutschland Sie morgen bitten würde, die öffentliche IT-Beschaffung hierzulande neu aufzubauen, wo würden Sie anfangen?

Zotter: In der Anerkennung und Wertschätzung des bisher Geleisteten.