Flexiblere Beschaffung, mehr Chancen für kleine Unternehmen
Der UK Procurement Act – Interview mit Tracy Pritchard
Verwaltung der Zukunft: Nach dem Brexit hatte das Vereinigte Königreich die Möglichkeit, sein Vergaberecht neu zu gestalten. Welche zentralen Ziele haben Sie mit dem neuen Procurement Act verfolgt?
Tracy Pritchard: Es gab nach dem Brexit ein klares Ziel, ein neues Vergaberegime zu entwickeln, das speziell auf die Bedürfnisse des Vereinigten Königreichs zugeschnitten ist. Unser Ziel war es, ein einfacheres und flexibleres System einzuführen, das einen einheitlichen Rahmen für alle Arten von Verträgen schafft; mit Flexibilität, die durch größere Transparenz während des gesamten kommerziellen Lebenszyklus ausbalanciert wird.
Wir wollten die öffentliche Beschaffung für neue Marktteilnehmer wie kleine Unternehmen und Sozialunternehmen öffnen, Innovationen in öffentlichen Dienstleistungen vorantreiben und gleichzeitig härter gegen leistungsschwache Lieferanten vorgehen und Lieferanten ausschließen, die inakzeptable Risiken darstellen.
VdZ: Was bedeutet das „Competitive Flexible“-Verfahren für die öffentliche Beschaffung? Wird diese Flexibilität in der Praxis genutzt, und können Sie vielleicht ein oder zwei Beispiele nennen, wie sie sich positiv ausgewirkt hat?
Tracy Pritchard im Eröffnungsplenum Teil 2 der 26. Beschaffungskonferenz, auf dem Podium mit Totis Kotsonis (Pinsent Masons).
Tracy Pritchard ist mit über 20 Jahren Erfahrung in der öffentlichen Beschaffung und einem LLM in Public Procurement Law and Policy seit sieben Jahren im Cabinet Office des Vereinigten Königreichs tätig. Dort war sie maßgeblich an der Entwicklung, Ausarbeitung, Gesetzgebung und Umsetzung des neuen Procurement Act beteiligt, der im Februar dieses Jahres in Kraft trat.
Pritchard: Das „Competitive Flexible“-Verfahren ist zentral für mehr Spielraum und Innovation, die wir durch das neue Regime vorantreiben wollen. Es ist spannend zu sehen, wie unsere Beschaffungsteams ihre Kreativität einsetzen, um Verfahren zu entwickeln, die wirklich für sie und ihren Markt funktionieren – beispielsweise durch vorgelagerte Markterkundung, um zu verstehen, wo möglicherweise Verhandlungsbedarf besteht.
Anfangs waren Teams etwas nervös, das neue Verfahren zu nutzen, mit nur 61 gestarteten „Competitive Flexible“-Verfahren im März (von denen viele dem „beschränkten Verfahren“ nach EU-Richtlinien sehr ähnlich sahen!), aber diese Zahl stieg auf 190 im Juli und steigt weiter.
Um dies zu unterstützen, haben wir „Communities of Practice“ ins Leben gerufen, die sich als unschätzbare Ressource für Beschaffungsteams erweisen, in denen sie Probleme diskutieren und bewährte Praktiken teilen können. Wir haben gesehen, dass Teams zusätzliche Verhandlungsphasen zu spezifischen Themen einsetzen und verstärkt Live-Tests und Demonstrationen nutzen. Kürzlich wurde eine Ausschreibung für Baumpflege veröffentlicht, die einen 45-minütigen praktischen Test beinhaltete, und wir haben auch eine Ausschreibung gesehen, die Live-Tests von Proben zur Prüfung der Wasserqualität erfordert.
VdZ: In Ihrer Präsentation auf der Beschaffungskonferenz (unten verlinkt) wird der notwendige Kulturwandel hin zu einem „outcome-orientierten“ Denken in der Beschaffung thematisiert. Was meinen Sie damit, und wie fördern Sie diesen Wandel in der Praxis?
Pritchard: Outcome-orientiertes Denken, also die Fokussierung auf Ergebnisse, bedeutet, unsere Lieferanten dazu einzuladen, sich zu überlegen, wie sie die gewünschten Ergebnisse am besten liefern können, anstatt vorzuschreiben, wie dies geschehen soll. Dabei geht es darum, Innovation in den Prozess einzubauen, kleine Unternehmen mit unterschiedlichen Ansätzen zu ermutigen und neue Technologien zu nutzen.
Wir fördern die vorgelagerte Sondierung des Marktes, damit Einkäufer besser verstehen können, was der Markt liefern kann – und wie der Beschaffungsprozess (einschließlich der optimalen Nutzung unseres neuen „Competitive Flexible“-Verfahrens) gestaltet und strukturiert werden können, um diese Lieferung im daraus resultierenden Vertrag zu optimieren.
VdZ: Welche Maßnahmen waren besonders wirkungsvoll, um kleinere und innovative Anbieter stärker einzubinden?
Pritchard: Einige Elemente sind dabei ganz wesentlich – zum Beispiel veröffentlichte Pipelines, die kleinen Unternehmen Zeit geben, sich auf bevorstehende Beschaffungen vorzubereiten; und die Veröffentlichung durchsuchbarer Daten an einem Ort – über „Find a Tender“ –, was den Zugang zu diesen Beschaffungen viel einfacher macht.
Wir erlauben Vergabestellen nicht mehr, geprüfte Jahresabschlüsse oder Versicherungsnachweise von kleinen Unternehmen während des Ausschreibungsverfahrens zu verlangen, da das Feedback aus unserem Konsultationsprozess zeigte, dass dies viele Unternehmen von der Angebotsabgabe abhielt.
Die Förderung vorgelagerter Markterkundung ermöglicht es diesen Unternehmen, sich frühzeitig zu beteiligen und die Gestaltung von Verfahren vorzuschlagen, die keine künstlichen Eintrittsbarrieren schaffen. In Bezug auf Letzteres führt das Gesetz auch eine neue Pflicht für Vergabestellen ein, die Hindernisse für kleinere Unternehmen zu berücksichtigen und zu prüfen, ob diese Hindernisse beseitigt oder reduziert werden können. Kleine Unternehmen suchen oft den Dialog und wollen beweisen, was sie können, und wir ermöglichen dies durch flexiblere Verfahren, die darauf ausgelegt sind, die besten Ergebnisse für jede spezifische Beschaffung zu erzielen.
VdZ: Könnten Sie kurz erläutern, was sich hinter der digitalen Plattform „Find a Tender“ verbirgt, welche Funktionen sie bietet und welchen Nutzen sie für den Beschaffungsprozess hat?
Pritchard: Unsere neuen Transparenzangaben bedeuten, dass wir viel mehr Daten über unsere Beschaffungen im gesamten öffentlichen Sektor sammeln, was uns dabei hilft zu verstehen, was wir kaufen, mit wem wir handeln und wie wir es kaufen – und wir veröffentlichen all dies an einem Ort auf unserer neuen zentralen Plattform.
Lieferanten müssen sich nur einmal bei uns registrieren, wobei grundlegende Informationen in jede Beschaffung, an der sie beteiligt sind, übernommen werden, was die Belastung für kleinere Unternehmen erheblich reduziert. Unsere Beschaffungspipeline ermöglicht es Lieferanten, sich auf bevorstehende Ausschreibungen vorzubereiten und zu verstehen, was der öffentliche Sektor einige Jahre im Voraus zu kaufen plant, und ermöglicht auch unseren Beschaffungsteams, potenzielle Bereiche für Zusammenarbeit, Wissensaustausch und Skaleneffekte zu identifizieren.
Unsere Beschaffungspipeline ermöglicht es Lieferanten, sich auf bevorstehende Ausschreibungen vorzubereiten und zu verstehen, was der öffentliche Sektor einige Jahre im Voraus zu kaufen plant [...].
VdZ: Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung werden in der öffentlichen Beschaffung immer wichtiger. Wie verankert der Procurement Act diese Aspekte?
Pritchard: Die Beschaffung macht etwa ein Drittel der öffentlichen Ausgaben im Vereinigten Königreich aus, und es ist wichtig, dass diese genutzt wird, um breitere politische Ziele zu fördern, wo dies angemessen ist. Der Procurement Act etabliert das Konzept eines gesetzlichen „National Procurement Policy Statement“ (NPPS). Dies ermöglicht es der Regierung, die breiteren politischen Ziele zu setzen und zu kommunizieren, zu denen die öffentliche Beschaffung beitragen soll. Vergabestellen sind verpflichtet, die politischen Ziele zu berücksichtigen, die in der aktuellen NPPS enthalten sind.
Eine weitere kleine Änderung, die wir vorgenommen haben, ist die Anforderung, Verträge an das „vorteilhafteste Angebot" anstatt an das „wirtschaftlich vorteilhafteste Angebot" zu vergeben. Obwohl dies in der Praxis dasselbe ist, hoffen wir, damit eine klare Botschaft an öffentliche Einkäufer zu senden, dass „Wert“ in der Beschaffung viel weiter gefasst ist als das Preis-Leistungs-Verhältnis.
VdZ: Welche Impulse haben Sie von unserer Beschaffungskonferenz in Berlin mitgenommen, und welche zentralen Unterschiede oder Gemeinsamkeiten sehen Sie in der Vergabe zwischen Großbritannien und Deutschland?
Pritchard: Es war eine große Ehre, an der Konferenz teilzunehmen, und ich habe die vielen Präsentationen mit Freude verfolgt. Mir fiel auf, dass wir dieselben Gespräche führen und wir alle Lösungen zu den gleichen Problemen suchen – geopolitische Veränderungen, wirtschaftlicher Druck, der Aufstieg der KI, die Debatte um Zentralisierung vs. Dezentralisierung, die Förderung von Innovation und dafür zu sorgen, dass aus jedem ausgegebenem £ oder € der größtmögliche öffentliche Nutzen gezogen wird. Es gibt sicherlich viel, was wir weiterhin voneinander lernen und miteinander diskutieren können.
VdZ: Vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Einblicke!
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